VR-Ausflüge und mehrWie die Tagespflege in Köln Senioren Abwechslung bringt

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Tagespflege VR

Kerstin Hehshaus betreut Hans-Dieter Baumgarten.

Köln – Hans-Dieter Baumgartner taucht. Nicht wirklich, aber virtuell. Er sitzt auf einem Drehstuhl in einem Nebenraum der Tagespflege und erlebt mit der VR-Brille vor seinen Augen riesige Schildkröten und bunte Fische, als würde er mit ihnen schwimmen. Ausflüge wie diese und zugleich eine feste Tagesstruktur bietet dem Bayenthaler das teilstationäre Angebot im Caritas-Altenzentrum St. Maternus.

Von rechts kommt ein roter Quallenschwarm. Unwillkürlich bewegt der 80-Jährige seine Hand in die Richtung. „Greifen Sie ruhig zu“, sagt Betreuerin Kerstin Hehshaus. „Dass ich das noch erleben darf“, meint Baumgartner, „super!“ Seit vier Monaten kommt er dreimal in der Woche hierher nach Rodenkirchen. „Zu Hause bin ich einsam und auch in Behandlung deswegen“, sagt der Witwer beim Gespräch im Gruppenraum. Sein Arzt empfahl die Tagespflege. „Meine Kinder haben dann dafür gesorgt.“

Kerstin Hehshaus Tagespflege

Virtuelle Realität macht’s möglich: Kerstin Hehshaus betreut Hans-Dieter Baumgarten bei seinen Tauchausflügen.

Von Montag bis Mittwoch holt ihn nun morgens um 8.15 Uhr der Fahrdienst zu Hause ab und bringt ihn ins St. Maternus-Haus; um 16 Uhr geht es wieder zurück. In der Tagespflege genießt er zuerst das Frühstück. Dann gibt es Programm. Heute hat Gudula Schneider die Zeitung vorgelesen. Die ehemalige Altenpflegerin kommt zweimal die Woche als Betreuungskraft und kennt ihre Zuhörer genau: „Frau Kastleitner will immer wissen, ob der Rhein steigt.“ Baumgartner interessiert sich besonders für Politik. Andere freuen sich auf den Witz des Tages oder das Horoskop.

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Fachkräfte kümmern sich um Pflege

„Manchmal machen wir Gymnastik“, sagt seine Tischnachbarin Gisela Hoy. „Dann rutscht das Mittagessen besser.“ Schlemmerfilet Bordelaise oder Dicke Bohnen mit Speck stehen auf dem Speiseplan; ein Gericht ist immer vegetarisch. Je nach Wunsch und Bedarf wird das Essen den Gästen auch stückchenweise angereicht oder püriert. Fachkräfte kümmern sich um Pflege: Sie geben die Medikamente aus, helfen beim Toilettengang oder baden die Tagesgäste „Wir sprechen mit den Angehörigen ab, was notwendig und gewünscht ist“, sagt Katarzyna Stenzel, Leiterin des Caritas-Altenzentrums.

Die Plätze in der Tagespflege sind begehrt. Durch die Corona-Abstandsregeln kann Katarzyna Stenzel pro Tag zurzeit nur neun Plätze besetzen statt zuvor zwölf. Wer auf ihrer Warteliste steht, muss sich vier bis sechs Wochen gedulden, bis ein Platz frei wird. Wie viel der kostet, richtet sich nach dem Pflegegrad des Gastes. „Etwa 100 Euro pro Tag“, gibt Stenzel an. Einen Teil davon übernimmt die Pflegekasse (siehe Kasten).

Tagespflege: Gesellschaft und Betreuung für Senioren

Die Pflegekasse übernimmt bei den Pflegegraden 2 bis 5 bis zu einer bestimmten Summe die Kosten für die Tagespflege. Das Geld gibt es zusätzlich zu Pflegesachleistungen und Pflegegeld. Besucher mit Pflegegrad 1 können den Entlastungsbetrag dafür einsetzen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will die Finanzierung allerdings ändern: Nach seinem Entwurf für die Pflegereform sollen Pflegesachleistungen und Pflegegeld nicht mehr in voller Höhe mit dem Geld für die Tagespflege kombinierbar sein.

Die Tagespflege als teilstationäres Angebot soll einerseits die pflegenden Angehörigen entlasten, die ihre Familienmitglieder gut versorgt wissen, während sie selbst zum Beispiel arbeiten gehen. Andererseits kann sie den Umzug der Pflegebedürftigen ins Pflegeheim hinauszögern oder sogar unnötig machen, so dass weniger Pflegeheimplätze gebraucht werden.

Harald Rau, Kölner Gesundheitsdezernent, sagt: „Die Tagespflege ist ein wichtiger Baustein in der pflegerischen Versorgung. Sie gewährleistet die gesellschaftliche Teilhabe von pflegebedürftigen Menschen und unterstützt gleichzeitig die pflegenden Angehörigen in ihrer verantwortungsvollen Aufgabe bei der häuslichen Pflege.“

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Tagespflegeeinrichtungen mit insgesamt 357 Plätzen gibt es zurzeit in Köln. Die Tagespflege Benderhaus mit 14 Plätzen wird zum 1. Juni in Braunsfeld den Betrieb aufnehmen. Weitere sieben sind im Bau oder baulich abgestimmt, so dass mit 120 zusätzlichen Plätzen fest geplant wird. Der Zweite Bericht zur Kommunalen Pflegeplanung weist für 2040 einen Mehrbedarf von etwa 90 Plätzen aus.

Nur in der Innenstadt fehlt das Angebot der Tagespflege: Nach Angaben der Stadt konnte dort seit der Schließung der einzigen Tagespflege im Stadtbezirk 2010 kein Ersatz etabliert werden. Aber es gebe konkrete Planungen für eine Tagespflege mit 14 Plätzen in der Innenstadt. (sab)

Doch vorher spricht Stenzel mit Interessenten und Angehörigen, ob die Tagespflege wirklich das Richtige ist. Ein Pflegegrad ist Voraussetzung. Aber abends zum Beispiel müssen die Pflegebedürftigen noch alleine zurechtkommen oder anderweitig versorgt werden. Bei einem Schnuppertag können die Interessenten selbst probieren, ob sie sich wohlfühlen würden. Angehörige von Demenzkranken fürchten manchmal, ihr Vater oder ihre Mutter würden sich in einer fremden Umgebung nicht zurechtfinden. Aber Stenzel hat viele Gegenbeispiele erlebt: „Auch sie gewöhnen sich ein und profitieren dann sehr von einem strukturierten Tag.“

Hans-Dieter Baumgartner kommt montags bis mittwochs ins Altenzentrum St. Maternus, wo die Tagespflege in einem eigenen Gang separat vom Pflegeheim untergebracht ist. Donnerstags besucht ihn ein ambulanter Pflegedienst zu Hause und „den Freitag halte ich mir frei für Termine“. Wenn er zum Arzt muss, dann geht er freitags. „Sonst müsste ich ja auf meine Zeit hier verzichten, und das will ich nicht. Ich freue mich, wenn ich Montagmorgen wieder herkommen kann.“

Ähnlich geht es Gisela Hoy. Die 86-Jährige ist seit acht Jahren in der Tagespflege und hat immer noch Freude daran. „Nach dem Essen dürfen wir uns hinlegen“, erzählt sie, „um halb drei gibt es Kaffee und Plätzchen.“ Für die Mittagsruhe stehen Ruhesessel und im Nebenraum zwei Betten bereit. Manchmal lockt aber auch die Sonne auf die Terrasse. Nach dem Kaffee spielen sie mit den Betreuern Bingo oder Elfer raus, „und dann ist der Tag auch schon wieder vorbei“. Das bedauert sie besonders am Freitag: „Dann kommt das langweilige Wochenende. Da vermiss’ ich euch all’!“

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