Soldaten und PanzerRadikale Corona-Schutzmaßnahmen in Jordanien

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Luisa Schlierf vor dem Panorama der jordanischen Hauptstadt

Luisa Schlierf vor dem Panorama der jordanischen Hauptstadt

  • Seit zwei Monaten bestimmt Sirenengeheul das Leben von Luisa Schlierf im Nahen Osten.
  • Die Coronavirus-Pandemie belastet das Leben der Menschen in der jordanischen Hauptstadt Amman sehr.
  • Die gebürtige Bad Münstereifelerin unterrichtet in Amman an einer Privatschule und erzählt von ihrem Leben im Zeichen des Coronavirus in Jordanien.

Amman/Bad Münstereifel – Die Luft ist erfüllt von schrillem Sirenengeheul. Es ist 19 Uhr in Amman. Die Sirenen setzten ein klares Zeichen: Ab sofort darf bis zum nächsten Morgen niemand das Haus verlassen. An allen Freitagen, dem heiligen Tag in der muslimischen Welt, herrscht sogar ganztägig und kompromisslos Ausgangssperre.

Seit zwei Monaten bestimmen die Sirenen an allen anderen Tagen mein Leben hier im Nahen Osten. Anfänglich durften wir von 10 bis 18 Uhr für Besorgungen aus dem Haus. Seit Kurzem wurden die Reglungen zeitlich ein wenig gelockert. Dennoch sind nach wie vor alle Cafés, Restaurants, Moscheen und Museen geschlossen.

Eine Andere Welt als Bad-Münstereifel

Gleiches gilt für die Schulen. Dadurch hat sich mein Alltag sehr verändert. Anstatt in die Schule zu gehen, unterrichte ich täglich meine Klassen online. Ich arbeite als Lehrerin für Deutsch als Zweitsprache an einer internationalen Privatschule im Herzen der Hauptstadt. Vor eineinhalb Jahren hat mich mein Weg von Bad Münstereifel nach Amman geführt. Seitdem lebe und arbeite ich im herzenswarmen, chaotischen Nahen Osten.

Fest steht, dass sich Amman doch merklich von Bad Münstereifel unterscheidet. Hier läuten keine Kirchenglocken, sondern der Muezzin ruft fünfmal täglich zum Gebet. Statt Schnitzel gibt es Falafel-Bällchen. Viele Frauen tragen ein Kopftuch statt einer Föhnfrisur. Auch die sozio-politische Ordnung ist völlig anders gestaltet.

Jordanien ist seit 1952 eine Monarchie, die darauf besteht, dass das Königshaus vom Propheten Mohammed abstammt. König Abdullah II. ist nicht nur Staatsoberhaupt, sondern auch Oberbefehlshaber des Militärs und benennt das Parlament. Die Königsfamilie spielt eine wichtige Rolle im jordanischen Leben.

In der kleinen Bäckerei an der Ecke sowie in großen Behörden prangen Porträts des alten und aktuellen Königs. Die Jordanier lieben ihren König – eine gesetzlich verordnete „Liebe“. Denn schlecht über das Königshaus zu sprechen, ist per Gesetz verboten. Sicherlich nicht nur, aber auch zum Teil wegen dieser Strukturen belegt Jordanien 2019 Rang 114 von 167 im jährlichen Demokratie-Index.

Als Mitte März die Ordnung der Welt durch Covid-19 umgeworfen wurde, handelte die jordanische Regierung autoritär. Sie bekämpfte Corona mit großer Entschlossenheit. Nach königlichem Beschluss wurde das Verteidigungsgesetz aktiviert, mit mehr Handlungsspielraum für die Regierung und weniger Rechten für das Volk.

Die Regierung verhängte innerhalb weniger Tage den zweiwöchigen Lockdown. Alle Geschäfte wurden geschlossen. Das Drucken von Zeitungen wurde gestoppt. Elf Millionen Menschen mussten in ihren Häusern ausharren. Krisentelefone wurden eingerichtet, über die im Notfall medizinische Hilfe angefordert werden konnte. Der Hafen im Süden und die Flughäfen des Landes wurden geschlossen.

In Amman

Seit eineinhalb Jahren arbeitet Luisa Schlierf als Lehrerin in der jordanischen Hauptstadt Amman. Die Bad Münstereifelerin beschreibt, wie sie dort seit Mitte März die Corona-Pandemie erlebt.

Dies alles wurde mit großer militärischer Präsenz durchgesetzt. „Ohne Nachsicht“, wie der König in einer Pressekonferenz verlauten ließ. Wer sich den Maßnahmen widersetzte, wurde verhaftet. Das führte dazu, dass am ersten Tag des Lockdowns 700 Menschen inhaftiert wurden. Zwei Schulen wurden zu Gefängnissen umfunktioniert. Internationale Medien attestieren Jordanien die härtesten Ausgangsbeschränkungen und die strikte Abrieglung von der Welt.

Noch heute prägen Panzer und bewaffnete Soldaten das Stadtbild und haben einen Beigeschmack von Bedrohung. Das Leben ist weit von Normalität entfernt. Nach einer verheißungsvollen Phase von neun Tagen ohne Neuinfektionen stieg die Zahl der Erkrankten wieder an. Unmittelbar danach wurden Lockerungen wieder kassiert.

Geringe Fallzahlen

Bis heute weiß niemand, wann die Grenzen geöffnet werden, wann wieder Flugzeuge in Richtung Heimat fliegen. Meinen Arbeitsvertrag habe ich nicht verlängert. Das aufregende Lebenskapitel Nahost neigt sich dem Ende zu. Bald steht wieder die Monatsmiete an und ich freue mich darauf, wenn ich sie in Deutschland zahlen kann. Auch wenn die Zahl der Infizierten in Deutschland proportional 35-mal höher ist.

Die Früchte des Erfolgs der radikalen Corona-Maßnahmen kann Jordanien durch eine verhältnismäßig geringe Zahl Erkrankter ernten. Aktuell gibt es im Land 184 aktive Fälle. Der Zusammenbruch des Gesundheitssystems wurde verhindert, Jordanien konnte sogar medizinische Hilfsmittel an andere Länder liefern. Im Spiegel dieses Erfolges werden die derer vergessen, die die Kehrseiten der Maßnahmen schultern müssen. Ein Großteil der Angestellten sowie 40 Prozent der jungen Jordanier sind arbeitslos. Schlimm trifft das vor allem die Tagelöhner, die ums Überleben kämpfen.

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Nun stellt sich die Frage, wie hoch der Preis an individueller Freiheit für gesamtgesellschaftliche Sicherheit sein darf. Egal, wie meine Antwort lautet, ich sammele jeden schönen Moment, wie Muscheln am Strand als Erinnerung an die guten Tage, bis mich ein Flugzeug nach Hause bringt. Solange, bis die Sirenen wieder heulen.

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