Besonderer WahlkampfBundestagskandidaten gehen in Flutgebieten nicht auf Stimmenfang

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Die Wahlplakate von Detlef Seif (CDU) bleiben in der Garage. Wie die meisten seiner Kollegen verzichtet er auf einen Stimmenfang im Kreis Euskirchen.

Die Wahlplakate von Detlef Seif (CDU) bleiben in der Garage. Wie die meisten seiner Kollegen verzichtet er auf einen Stimmenfang im Kreis Euskirchen.

Kreis Euskirchen – Dieser Wahlkampf ist anders. Er ist geprägt von der Corona-Pandemie und der Hochwasserkatastrophe. „Wahlkampf ist in den Katastrophengebieten absolut unangemessen“, sagt Dagmar Andres, Bundestagskandidatin der SPD im Wahlkreis 92.

Insgesamt zehn Kandidatinnen und Kandidaten kämpfen bis zum 26. September um die Stimmen der Kreisbürger und wollen in den Bundestag einziehen: Detlef Seif (CDU), Dagmar Andres (SPD), Markus Herbrand (FDP), Hans-Rüdiger Lucassen (AfD), Marion Sand (Grüne), Stefan Söhngen (Die Linke), Jan-Luis Wolter (Die Partei), Stefano Tuscherer (Piraten), Jörg Esser (Freie Wähler) und Paulo Michael Jesus Pinto (Die Basis).

Auf einigen Wahlplakaten geht es um die Flut

Wie Andres verzichten die meisten der Kandidaten auf einen aktiven Wahlkampf im Kreis Euskirchen und beschränken sich auf Brühl und Wesseling. Der Grund: Zum einen waren die beiden Städte von der Flutkatastrophe nicht betroffen, zum anderen gehört dieser Teil des Rhein-Erft-Kreises, genau wie das vom Hochwasser heimgesuchte Erftstadt, zum Wahlkreis 92.

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„Für mich ist ein gewöhnlicher Wahlkampf nicht denkbar“, sagt auch der Gemünder Markus Herbrand, der für die FDP wieder nach Berlin will. Er selbst verzichte auf Plakate oder einen Stimmenfang in völlig zerstörten Fußgängerzonen. Seine Partei hingegen hat laut Herbrand 20 Großplakate aufstellen lassen. Auf denen geht es wenig überraschend um die Flut, um den Zusammenhalt. Plakatwände mit dem FDP-Spitzenkandidaten Christian Lindner findet man hingegen kaum. Auch auf Flyer verzichte er im Kreis, sagt Herbrand.

Spende des Wahlkampfbudgets wäre rechtswidrig

Immer wieder werden die Bundestagskandidaten – vor allem in Sozialen Netzwerken – dazu aufgefordert, das Geld, das sie für den Wahlkampf ausgeben würden, zu spenden. Doch laut Gesetz ist eine Spende der Wahlkampfgelder gar nicht möglich. „Die Haushaltsmittel einer Partei sind größtenteils steuerbegünstigt“, erklärt CDU-Bundestagsmitglied Detlef Seif: „Wenn die Partei das Geld nun beispielsweise an Vereine weitergeben würde, wäre das eine Umgehung der Steuertatbestände. Und das ist rechtlich nicht zulässig.“

In seinem Fall wäre vom Budget für den Wahlkampf nicht mehr viel übrig geblieben. Denn die Kampagne sei bereits sehr frühzeitig geplant worden. Entsprechend seien Plakate, Flyer und anderes Wahlkampfmaterial schon lange gedruckt und bezahlt worden. Nach dem Parteiengesetz ist es laut Seif aber auch nicht zulässig, den möglichen Restbetrag zu spenden – so gerne man das auch tun würde. (tom)

Kandidaten beschränken sich auf Brühl und Wesseling

Stefan Söhngen, Kandidat der Linken, bezeichnet einen Wahlkampf in der Krisenregion als „grotesk“. Eine dezente Plakatierung in nicht betroffenen Gebieten könne er sich aber vorstellen. Zudem halte er Infostände in nicht stark betroffenen Gebieten für angemessen. Allerdings nicht als klassische Infostände mit dem Ziel, möglichst viel Material zu verteilen, sondern um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen.

Gespräche führen – das macht auch Detlef Seif. Der Bundestagsabgeordnete der CDU sieht sich als gewählter Direktkandidat des Wahlkreises auch als Vorbild. „Mit mir wird es keinen gewöhnlichen Wahlkampf geben“, sagt er. Auch der 59-Jährige beschränkt sich nach eigenen Angaben mit Plakaten und Co. auf Brühl und Wesseling.

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In einer Garage in Euskirchen lagern zahlreiche orangefarbene Kugelschreiber, Schreibblöcke – und vor allem Plakate. „Eigentlich wollten wir Mitte Juli mit dem Wahlkampf beginnen“, so Seif. Nach der Flut sei aber sehr schnell klar gewesen, dass man niemals zur Tagesordnung übergehen dürfe. Der Bundestrend spreche zwar gegen die Christdemokraten, dennoch werde er nicht von seiner Linie abweichen. Jetzt einen echten Wahlkampf zu führen, könne er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren.

Fragen an die Kandidaten

Vor der Bundestagswahl veranstalten der „Kölner Stadt-Anzeiger“ und und die Kölnische Rundschau am Freitag, 17. September, ab 17.30 Uhr eine Diskussion mit den Direktkandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien aus dem Wahlkreis 92.

Die Veranstaltung wird live per Stream aus dem Neven DuMont Haus an der Amsterdamer Straße in Köln übertragen. Bei der Diskussion stehen Detlef Seif (CDU), Dagmar Andres (SPD), Markus Herbrand (FDP), Marion Sand (Grüne), Rüdiger Lucassen (AfD) und Stefan Söhngen (Die Linke) Rede und Antwort.

Wer schon jetzt Fragen an die Kandidaten hat, kann die an redaktion.euskirchen@ksta-kr.de oder redaktion.gemuend@ksta-kr.de schicken. (tom)

Stattdessen wolle er den Menschen in der Krisenregion dienen – und sich für einen schnellen, unbürokratischen Wiederaufbau einsetzen. Er sei sich bewusst, dass ein zurückhaltender Wahlkampf Stimmen kosten könnte. Das nehme er in der jetzigen Situation aber in Kauf. So sieht es auch SPD-Kandidatin Andres. „In der Zeit, in der ich um Stimmen werbe, kann ich auch einen Keller ausräumen“, sagt sie. Sie habe ihre Wahlkampfhelfer gebeten, sich ebenfalls in den Krisengebieten zu engagieren.

Wahlkampf mit „Pietät und Würde“

Rüdiger Lucassen (AfD) sagt: „Infostände der AfD wird es in meinem Kreis keine geben. Allerdings werden wir mit Flyern auf unsere Wahlthemen aufmerksam machen.“ Alles in allem sei es aber kein gewöhnlicher Wahlkampf. „Der Wiederaufbau unseres Kreises muss die oberste Priorität haben“, so der Bad Münstereifeler, der bezweifelt, dass sich Angela Merkel und Armin Laschet (beide CDU) mit ihren Besuchen in der Krisenregion einen Gefallen getan haben.

Der Gemünder Liberale Herbrand und Christdemokrat Seif sehen das anders: „Es ist unheimlich wichtig, dass die Spitzenpolitiker hier waren. Man muss das Ausmaß mit eigenen Augen gesehen haben, um das Leid der Menschen verstehen zu können“, sagen die beiden Politiker unisono.

Paulo Pinto, der vor einigen Monaten aus der CDU ausgetreten ist und nun für die Basis in den Bundestag will, sagt: „Dass es keinen klassischen Wahlkampf gibt, während Menschen sprichwörtlich vor den Trümmern ihrer Existenz stehen, versteht sich von selbst.“ Allerdings werde er seinen Wahlkampf unbeirrt und mit der nötigen Pietät und Würde angesichts der Katastrophe in der Region durchführen. Dazu gehöre auch das Plakatieren.

Auf Stimmenfang im Internet

Marion Sand, Kandidatin der Grünen, hatte ihren Infostand in der vergangenen Woche bereits in der Zülpicher Innenstadt aufgebaut. Auch in Dahlem will sie noch aktiv für Stimmen werben. In manchen Orten hängen zudem Plakate ihrer Partei. „Wir beschränken uns auf die Gebiete, die nicht stark vom Hochwasser betroffen sind. Und wir haben den Ortsverbänden überlassen, ob und in welcher Form sie Wahlkampf machen wollen“, sagt die hauptberufliche Produktionsleiterin.

Stefano Tuchscherer (Piraten) war am Mittwoch in Euskirchen unterwegs – ausgestattet mit einer Leiter. Entlang des Pützbergrings befestigte der 21-Jährige einige Plakate mit seinem Konterfei. Markus Herbrand will – genau wie alle seine Konkurrenten – nicht komplett auf Wahlkampf verzichten. „Wir können nicht so tun, als wäre keine Bundestagswahl“, sagt der Eifeler. Entsprechend werde er in den verbleibenden Wochen bis zur Wahl vor allem im Internet um Stimmen werben.

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