Erreichbarkeit, BüroräumeWas die Flut für unsere Redaktion bedeutet

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In der Redaktion Gemünd stand das schlammige Wasser bis zur Decke, nachdem es die Scheiben eingedrückt hatte.

In der Redaktion Gemünd stand das schlammige Wasser bis zur Decke, nachdem es die Scheiben eingedrückt hatte.

Kreis Euskirchen – „Warum habt Ihr noch nicht über uns berichtet? Bei uns ist es auch schlimm, aber über uns steht nichts in der Zeitung.“ Mit derartiger Kritik verzweifelter oder erzürnter Bürger und Kommunalpolitiker wurde die Redaktion seit der Flutnacht zig-fach konfrontiert.

Die Antwort: „Wir tun, was wir können. Aber unsere Möglichkeiten sind begrenzt.“ Denn wir stecken mit beiden Redaktionsstandorten im Kreis mitten drin in der Flutkatastrophe. Die Redaktion in Gemünd wurde wie die übrigen Geschäfte in der Dreiborner Straße völlig zerstört. Die Redaktionsräume in Euskirchen blieben zwar von den Wassermassen verschont, sind aber wie große Bereiche der Innenstadt ohne Strom und Datenleitung – und damit völlig nutzlos.

Kollegen aus Redaktionen auch privat betroffen

Und auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stecken mittendrin in der Katastrophe – mit ihren Familien, mit ihren Häusern und Wohnungen und den traumatisierenden Erlebnissen, die so viele Menschen in den überfluteten Gebieten haben.

Zwei Tage brauchten wir, bevor wir komplett über das Schicksal aller Kolleginnen und Kollegen informiert waren. Einige haben in der Flutnacht Todesangst erlitten, sind um ihre persönliche Habe gebracht worden, wurden evakuiert, entrümpeln nun ihre zerstörten Wohnungen, kämpfen mit dem alles bedeckenden Schlamm oder helfen – in der Familie, bei Freunden, in der Nachbarschaft, in Hilfsorganisationen oder irgendwo.

Die Kolleginnen und Kollegen, die es weniger hart getroffen hat oder die auswärts wohnen, waren von der ersten Minute an im Dauereinsatz. Der eigene vollgelaufene Keller hielt sie nicht davon, mit Kamera und Schreibblock loszuziehen und über die zu berichten, die es viel schlimmer getroffen hat. Über die, die vor den Ruinen ihrer Existenz stehen. Über die, die nicht weiter wissen. Und auch über die, die umgekommen sind. Als Lokalredaktion vor Ort und Journalistinnen und Journalisten, die hier leben, kennen wir viele der Namen, ihre Gesichter, mit manchen sind wir befreundet.

Wohnzimmer als Notredaktion und Reportagen per SMS

Der komplette Zusammenbruch der Kommunikations- und Datennetze, abgeschnitten von Informationen, unpassierbare Straßen, fehlende Ansprechpartner – all das hat uns nicht davon abgehalten, täglich zu berichten. Damit haben wir in der Katastrophennacht begonnen. Stets aktuell über die für alle freigeschalteten Onlineangebote dieser Zeitung, aber auch in der gedruckten Ausgabe und im elektronischen E-Paper.

Die ersten Reportagen wurden teils mit altmodischen SMS geschrieben, weil telefonieren nicht möglich war, mobile Daten nicht liefen, SMS aber auf wundersame Weise ankamen. In der Wohnung einer Sekretärin, die Internet hatte, haben wir unsere erste Notredaktion in Euskirchen eingerichtet. Dank Corona konnten einige aus dem Homeoffice arbeiten. Sie wurden zu Anlaufpunkten, damit andere Kollegen Fotos hochladen konnten – und dort gleich auch duschten, weil es bei ihnen kein Wasser gab. Oder ihre Handys aufluden, weil es bei ihnen keinen Strom gab.

Ein Kollege, der sich zufällig in Wien aufhielt, verlängerte seinen Aufenthalt, weil er von dort aus perfekt recherchieren, schreiben und Zeitungsseiten layouten konnte.

Zeitungen konnten nicht ausgetragen werden

Mit allen Mitteln halfen Kolleginnen und Kollegen aus anderen Redaktionen und den Zentralen in Köln aus. Wobei klar war, dass schon die Anfahrt in die Katastrophenbereiche Stunden benötigte. Und dann die Schwierigkeiten der ersten Tage. Die Transporter, die die gedruckten Zeitungen zu den Austrägern in der Katastrophenregion bringen sollten, kamen oft nicht durch, weil Straßen blockiert waren oder sie Absperrungen durch Militär und Polizei nicht passieren durften, da andere Hilfsgüter wichtiger waren. Und auch die Austräger, die die Leser mit den Ausgaben versorgen, steckten mitten drin – in der Katastrophe.

Dabei waren und sind gerade Informationen so wichtig für die Menschen, vor allem für die, die abgeschnitten waren. Redaktionsmitarbeiter und Kolleginnen in Rente zogen los und hängten an zentralen Orten Zeitungsseiten aus. An Essenausgaben und Unterkünfte liefern wir Zeitungsstapel, die dort an die Menschen ausgegeben werden.

Bei der Berichterstattung müssen wir gewichten, wir priorisieren nach dem Feuerwehrgrundsatz: „Wo ist die größte Gefahr? Wo ist es am Schlimmsten?“ Genau da sind unsere Reporter. Dann die Frage: „Wie lenken wir die Blicke der Menschen in aller Welt auf die Region?“ Klar, dass wir auch dort waren, wo Merkel, Laschet, Seehofer oder Woelki waren.

Not-Redaktionsbüro bei Euskirchener Firma

Denn da sind die Blicke der Welt. Und ganz hohe Priorität: Welche Infos brauchen die Menschen, um diese Katastrophe durchzustehen? Wo kriegen sie Grundnahrungsmittel? Wo wird ihnen geholfen? Wir werden noch Wochen und Monate über diese Katastrophe und ihre Folgen berichten. Über das Geschehene. Über das Aufräumen. Und das Wiederaufbauen. Wir werden auch zu denen kommen, bei denen wir noch nicht waren.

Und auch wir versuchen, die Folgen zu bewältigen. Wieder richtig in Tritt zu kommen.

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Unterstützt von den allgegenwärtigen Freiwilligen, wurde die Redaktion in Gemünd entrümpelt und entschlammt. Bei der Euskirchener Firma F&S Solar, die ein Büro für uns freimachte, haben wir jetzt eine Not-Unterkunft gefunden, bis wir zumindest in die Euskirchener Redaktion zurückkehren können. 

Update (27. Juli): Telefonisch sind unsere Redaktionen wieder erreichbar.

Gemünd unter 02444/95005380 und Euskirchen unter 02251/70045410.

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