Flutkatastrophe in EuskirchenDie Erftanlieger hat es hart getroffen

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Stotzheim/Rheder – Das Geräusch aus der Nacht, als ihr Keller voll lief – Irmgard Schenk hat es immer noch im Ohr. „Wie ein Wasserfall“, sagt die Stotzheimerin vier Wochen nach der Flutkatastrophe. Das Haus, das ihr Ehemann Thomas und sie 1982 bezogen haben, liegt an der Friedrichstraße, nicht weit vom Ortsrand entfernt.

Hinter zwei Kurven ging es früher hinaus aus dem Ort. Doch jetzt endet die Friedrichstraße als Sackgasse. Die Brücke, die die Erft überspannte, ist vom Hochwasser zerstört worden, die Verbindung in Richtung Billig gekappt.

Vom Wohnhaus der Schenks bis zur Erft sind es geschätzt 150 Meter Luftlinie. Mit Überschwemmungen hatten die Eheleute nie zu tun. „1926 gab es hier ein Hochwasser. Davon hat mein Vater uns früher erzählt“, sagt Thomas Schenks Mutter Betty. Sie ist 86 und wohnt nebenan in einem älteren Haus, das um einiges tiefer liegt als das Domizil von Sohn und Schwiegertochter.

Der Wall half nicht

Die Hoffmanns haben ihr Domizil in Rheder 2014 gekauft. „An dem Tag, an dem wir beim Notar waren, gab es ein Hochwasser“, erzählt Ellen Hoffmann. „Nachts stand das Haus unter Wasser.“ Die Überflutung hielt die Eheleute aber nicht davon ab, sich an der Erft niederzulassen.

Jan Hoffmann vervollständigte den Erdwall, mit dessen Bau die Voreigentümer auf dem Grundstück begonnen hatten, um sich vor der nächsten Überschwemmung zu wappnen.

Auch die Stadt Euskirchen wurde aktiv, allerdings mit einer Maßnahme, die in erster Linie dem nahe gelegenen Kieselweg galt. Sie errichtete einen Flutgraben, legte ein Stück der Dechant-Wolfgarten-Straße tiefer und änderte das Gefälle der Fahrbahn, um weitere Überflutungen des Kieselweges zu verhindern. Am 14. Juli entpuppte sich dieses Konzept aber als unzureichend. Auch der Schutzwall der Hoffmanns vermochte die Flut nicht zu stoppen. Das Ehepaar hofft nun, dass die Behörden effektive Schritte einleiten. (ejb)

Die Folgen waren schlimm: „Die Erft ist bei meiner Mutter durch das Erdgeschoss geflossen, vorne rein, hinten raus. Bis auf Schlafzimmer und Bad hat sie die komplette Einrichtung verloren“, berichtet Schenk und zeigt auf die Reste des Kachelofens, der seinen Namen jetzt nicht mehr verdient: Die Kacheln hat das Wasser mit seiner unvorstellbaren Kraft abgerissen.

Im Haus der Eheleute muss der Keller zurück in den Rohbauzustand versetzt werden. Estrich, Fliesen, Wandputz – alles unbrauchbar. Das Gleiche gilt für die Heizung, die Vorräte, den Party-Raum, für Schallplatten, CDs, Fußballpokale. „Damit sind viele Erinnerungen verbunden“, sagt Irmgard Schenk, die wie so viele, die von der Katastrophe getroffen wurden, aber auch auf positive Erfahrungen verweist: auf den Zusammenhalt unter den Betroffenen und auf die vielen Helfer. „Wir haben Unterstützung von unserer Familie erhalten, von Freunden, Bekannten und von vorher Unbekannten, die wir mittlerweile ins Herz geschlossen haben. Viele haben malocht von acht Uhr am Morgen bis neun Uhr am Abend. Diese Leute waren unsere Engel.“

Thomas Schenk hat sich im Chaos der Flutnacht, ohne es zunächst zu merken, am Fuß verletzt. Die Wunde brachte dem 62-Jährigen eine Blutvergiftung ein, er musste für eine Woche ins Krankenhaus. „Im Vergleich zu anderen hatten wir aber Glück“, betont er und denkt dabei auch an die Elementarschadenversicherung, die seine gleichaltrige Frau und er für das Wohngebäude abgeschlossen haben.

Bevor die Handwerker anrücken können, muss jetzt der Keller trocknen. Dass Anfang August endlich die Stromversorgung wiederhergestellt wurde, ist da ein großer Vorteil. „Ich hoffe, dass wir auch wieder eine Heizung haben, wenn es kälter wird“, sagt Irmgard Schenk.

Das Paar aus Stotzheim steht exemplarisch für ungezählte Menschen im Kreis Euskirchen, denen die Flut übel mitgespielt hat. Sie haben sich wochenlang abgeplackt, ihre verwüsteten Häuser aufgeräumt, sich über freiwillige Helfer gefreut und im nächsten Moment doch wieder geflucht über das Naturereignis, das so viel Unglück mit sich gebracht hat. Sie leiden immer noch und sagen trotzdem: „Vielen geht es viel schlechter als uns.“

Keine zwei Kilometer erftaufwärts, in Rheder, formuliert Ellen Hoffmann es so: „Wir haben unser Haus noch, andere haben nichts mehr.“ Sie und ihr Mann Jan wohnen am Ende der Dechant-Wolfgarten-Straße, ihr Grundstück grenzt an die Erft.

„Wir mussten zusehen“, erzählt sie, „wie das Wasser von drei Seiten kam.“ Nicht nur aus dem Fluss selbst, der ein reißender Strom geworden war, und von der überfluteten Fahrbahn zwischen der nahe gelegenen Brücke und dem Ortseingang, sondern – wegen der riesigen Regenmengen – auch aus dem Oberdorf, von der Diamantstraße über die Ampelkreuzung und die Dechant-Wolfgarten-Straße.

Am Ende stand die braune Brühe 1,20 Meter hoch im Erdgeschoss. „Nachts hatten wir Angst, dass wir nicht mehr aus dem Haus kommen. Der Notruf war nicht erreichbar“, erzählt Jan Hoffmann. In den Tagen nach der Katastrophe „haben wir uns in der Nachbarschaft organisiert und uns so selbst geholfen“.

Hinzu kamen Externe wie die an so vielen Stellen präsenten Landwirte mit ihrem schweren Gerät, ein Trupp der Bundeswehr, andere Freiwillige oder auch Fremde, die Lebensmittel und Hygieneartikel spendeten.

Was die Überflutungsgefahr anbelangt, wird der Bereich, in dem die Hoffmanns wohnen, als Risiko-Gebiet eingestuft. „Nach Aussage unserer Versicherung liegen wir in der Hochwasserkategorie 4. Deshalb konnten wir keine Elementarschadenversicherung abschließen“, sagt Ellen Hoffmann.

Den Schaden, den die Flut an Haus und Grundstück, an Zäunen, Nebengebäuden, Geräten, Maschinen und Fahrzeugen verursacht hat, schätzen die Eheleute auf einen Betrag zwischen 50 000 und 100 000 Euro.

Ellen Hoffmann handelte sich zu allem Überfluss auch noch Verletzungen ein, als sie in der Flutnacht die Treppe hinunterfiel. Sie kam für einen Tag ins Krankenhaus. Nur Lob hat sie für ihren Arbeitgeber übrig, die Sparkasse Köln-Bonn. Sie habe sie unterstützt, wo es nur ging. „Und meine Kollegen haben mir ihre Plus-Stunden spendiert.“

Hier die Freude über Unterstützung beim Aufräumen und Wiederaufbauen, dort die Belastung – nervlich wie körperlich. „Wir haben jetzt vier Wochen hinter uns. Meine Kräfte sind weg“, sagt Ellen Hoffmann, während ihr Mann ausspricht, was viele Fluss- und Bachanrainer denken: „Ich habe Angst, dass so etwas noch einmal passiert.“

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