Kriminalität trotz SanierungViehplätzchen-Viertel ist wieder ein Ort der Tristesse

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Im Viehplätzchen in Euskirchen ist die Euphorie nach der Sanierung längst wieder verflogen.

  • 2009 wurde das Viehplätzchen-Viertel saniert. Man wollte die Kriminalität eindämmen und den Niedergang des Quartiers stoppen.
  • Doch die Euphorie ist verflogen, die Kriminalität zurückgekehrt. Wie geht es nun weiter?

Euskirchen – Es sollte der Startschuss in eine bessere Zukunft werden. 2009 begann die Stadt mit der Sanierung des Viehplätzchen-Viertels. Sie sollte den Niedergang des Quartiers stoppen, das am Rand des Euskirchener Zentrums liegt. Vier Millionen Euro flossen in das Viertel, allein 700 000 Euro in den Rüdesheimer Platz an der Bendengasse. Doch die Euphorie ist verflogen, der Alltag zurück, das Viertel durch Kriminalität und öffentlichen Drogenkonsum wieder zum Problemviertel geworden.

Der Landtagsabgeordnete Klaus Voussem (CDU) versucht erst gar nicht, die Situation schönzureden: „Alle hochgesteckten Sanierungsziele sind nicht erreicht worden, so ehrlich muss man sein“. So sei die angestrebte soziale Durchmischung der Bevölkerungsschichten nicht geglückt. Auch die Nutzung des Rüdesheimer Platzes habe man sich anders vorgestellt, sagt der Vorsitzende des städtischen Planungsausschusses, der das Sanierungskonzept maßgeblich mitbestimmt hat: „Ein sozialer Brennpunkt ist das Viertel nicht, aber eins, auf das wir ein Auge haben müssen.“

Die Verwaltung dürfe – drei Jahre nach Beendigung des Projekts „Soziale Stadt“ – nicht hingehen und sagen, „das war es, wir machen nichts mehr“, sagt Voussem: „Wir müssen weiter für die Menschen da sein, dürfen sie nicht alleine lassen.“

Zwei dieser Menschen sind Mesut Aydogan und seine Schwester. Er sei täglich im Viehplätzchen-Viertel. Seine Schwester wohne direkt neben dem Kiosk in der zweiten Etage. Ruhige Abende habe sie selten, immer wieder komme es vor dem Kiosk zu Ruhestörungen. Und wenn es doch mal etwas leiser zugehe, spukten ihr die Erinnerungen an einen Tag im vergangenen Sommer durch den Kopf.

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Klaus Voussem

Ein Versuch, die Männer auf dem Platz vor dem Kiosk zur Ruhe zu ermahnen, sei kläglich gescheitert, berichtet Aydogan: „Die Situation ist so eskaliert, dass plötzlich Männer vor der Haustür standen. Nur die Polizei konnte die Lage mit viel Mühe beruhigen.“ Gebessert habe sich seitdem nichts – im Gegenteil. Die äußere Türklinke ist aus Sicherheitsgründen abmontiert. Auch, weil der Hinterhof weiterhin als Rückzugsort genutzt werde, um Drogen zu konsumieren.

Kriminalität ist allgegenwärtig

Nicht der einzige Vorfall in der jüngeren Vergangenheit, der die Polizei im Viehplätzchen auf den Plan rief – die Kriminalität ist allgegenwärtig. Im Mai 2016 kam es zu einer Schlägerei, zur Schlichtung erhielt die Euskirchener Polizei Unterstützung von Beamten aus Aachen, Düren, Bonn und dem Rhein-Erft-Kreis. Im Juni 2018 vollstreckten Beamten mehrere Durchsuchungsbeschlüsse und nahmen zwei Menschen fest.

„Verbesserung eingetreten“

„Am Viehplätzchen gibt es Straftaten, aber nicht im öffentlichen Raum“, sagt der Euskirchener Polizei-Pressesprecher Franz Küpper. Hinter den Fassaden würden vor allem „Drogengeschäfte und andere Straftaten im halbseidenen Bereich“ abgewickelt.

Laut Silke Winter, Pressesprecherin der Stadt, ist das Viehplätzchen kein sozialer Brennpunkt: „Das Ordnungsamt ist mit Polizei, Caritas und weiteren Beteiligten im ständigen Austausch, um die Situation zu verbessern. Drogenabhängige sind allerdings leider Bestandteil unserer Gesellschaft.“ Vergleiche man die Situation im Viertel mit der vor zehn Jahren, sei in vielen Belangen eine Verbesserung eingetreten. Die Treffen auf dem Viehplätzchen mögen für manchen zwar störend sein, solange die Menschen sich dort aber friedlich aufhalten, sei seitens der Stadt und der Polizei kein Handeln möglich und auch nicht nötig, so Winter. (tom)

Voussem sagt, er werde immer wieder mit dem Thema „Sicherheit“ konfrontiert. Er könne jede Frau verstehen, die die Straßen in dem Viertel meide. Das ungute Gefühl, das man beim Spaziergang durchs Viehplätzchen bekomme, habe aber nur wenig mit den Menschen zu tun, die in der Kapellen- und Bischofstraße sowie am Rüdesheimer oder Disternicher Torwall lebten. „Die kommen von anderen Straßen dorthin, um zu trinken“, sagt Voussem und fügt hinzu: „Es sind einige wenige, die durch rücksichtsloses Verhalten das Viertel immer wieder in Verruf bringen.“

Bernhard Becker, Caritasvorstand, berichtet: „Natürlich sind da auch unsere Kunden dabei. Aber die sind nicht da, weil wir in der Kapellenstraße unsere Anlaufstellen haben. Wir halten sie eher vom Viehplätzchen fern, weil sie wissen, dass wir in dem Viertel präsent sind.“

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Im Viertel Viehplätzchen in Euskirchen

Christdemokrat Voussem kritisiert allerdings auch die Hauseigentümer. Lediglich elf private Hauseigentümer haben laut Voussem im Rahmen des Integrierten Handlungskonzepts Fördermittel für private Sanierungen beantragt: „Das sind leider viel weniger, als wir erhofft haben.“ Silke Winter, Pressesprecherin der Stadt Euskirchen ergänzt: „Weniger optimal ist leider die Identifizierung der Menschen mit dem Viertel. Die erhofften städtebaulichen Verbesserungen im privaten Außenraum konnten nicht in dem Maße erreicht werden, wie sie erwartet wurden.“

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Vom Rüdesheimer Platz hat sich Voussem mehr versprochen: „Die Idee war, keinen Parkplatz zu schaffen. Doch genau das war der Platz zunächst, deshalb sind Poller aufgestellt worden.“ Das Wohn- und Geschäftshaus inklusive einer Kita sei aber ein Erfolg. Das sieht auch die Stadtverwaltung so. „Die Gestaltung des öffentlichen Raums ist gut gelungen“, sagt Winter.

Trotz aller Selbstkritik findet Voussem das Engagement der Stadt richtig und wichtig: „Wenn wir nichts gemacht hätten, weiß ich nicht, wie das Viertel heute aussehen würde.“ Stadtplaner Heinrich Heinz und dessen Büro waren federführend in die Sanierung des Viertels involviert: „Wir haben einiges geschafft. Zumal die Ausgangslage nicht einfach war, weil es ein kleines Gebiet ist. Dann ist es schwieriger, die Menschen zu motivieren.“ Die Anwohner müssten sich für das Quartier, für den Rüdesheimer Platz starkmachen. Sie bräuchten aber die Unterstützung der Stadt, meint der Experte.

Aktuell leben im Viehplätzchen-Viertel etwa 600 Menschen – knapp die Hälfte sind Ausländer oder Deutsche mit Migrationshintergrund. Dazu gehört auch Aydogan. Er ärgere sich, dass der Kitz immer noch als „Türken-Viertel“ verschrien sei. „Wir sind keine Ausländer, wir sind Euskirchener“, sagt der Türke, der seit 47 Jahren in der Kreisstadt wohnt.

Birgit Erlenbruch lebt erst seit wenigen Wochen an der Kapellenstraße: „Der schlechte Ruf ist schade. Dagegen muss man etwas tun. Die Ideen müssen aus der Bevölkerung kommen.“ Einige Anwohner wollen nun die Werbetrommel für ein Nachbarschaftsfest im Sommer rühren und es dann organisieren.

Mindestens 17 Immobilien stehen in dem Viertel leer. Ein Haus an der Kapellenstraße ist nach Informationen dieser Zeitung vor sechs Monaten verkauft worden. „Dafür haben wir zwei Jahre gebraucht“, sagt der Immobilienmakler. Es soll abgerissen werden. Mit einer entsprechenden Baugenehmigung ist laut Winter in den kommenden Wochen zu rechnen.

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