Malteser-SprechstundeHier wird Menschen ohne Krankenversicherung geholfen

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Dem Baby geht es gut: Dr. Hans-Josef Bastian während  der Ultraschall-Untersuchung einer Hochschwangeren, die keine Krankenversicherung hat.

  • In der Malteser-Sprechstunde bekommen Menschen ohne Krankenversicherung medizinische Hilfe. Auch immer mehr Schwangere nehmen das Angebot in Anspruch.
  • Ehrenamtlich arbeiten Ärzte und Pfleger in der Praxis der „Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung” (MMM).
  • Oft suchen Menschen ohne Krankenversicherung erst sehr spät Hilfe. Ihre Krankheiten sind dann oft schon weit fortgeschritten.

Euskirchen – Das Ultraschallgerät in der Notdienstpraxis am Marien-Hospital hat sicherlich schon bessere Tage gesehen. Für eine Untersuchung der Gallenblase reicht es indes allemal. Die schemenhaften Umrisse des Ungeborenen im Bauch der Schwangeren kann Dr. Hans-Josef Bastian allerdings nur mit fachmännischem Blick deuten. „Alles in Ordnung, die Ursache für Ihre Schmerzen kommt offenbar von dem kleinen Mann oder der kleinen Frau da drin“, sagt der Mediziner. Die junge Frau, die zum ersten Mal Mutter wird, ist erleichtert.

Sama (alle Patienten-Namen geändert) stammt aus Nordafrika. Mit ihrem deutschen Verlobten kommt sie seit etwa vier Monaten in die Praxis der „Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung“ (MMM). „Gott sei Dank gibt es dieses tolle Angebot hier“, sagt Oliver, der die 28-Jährige längst geheiratet hätte, wenn die bürokratischen Hürden in Deutschland nicht so hoch wären.

Viele Sorgen und Unsicherheiten

Visum und Pass seiner Freundin seien abgelaufen. Im Konsulat des Heimatlandes seien sie längst gewesen, aber die Mühlen mahlten leider sehr, sehr langsam. „Derzeit bekomme ich alle zwei Wochen eine Duldung vom Ausländeramt“, so die junge Frau, die mittlerweile im achten Monat ist und eine Schwangerschaftsdiabetes hat. Krankenversichert ist sie nicht.

Wie die nahende Geburt des Babys zu stemmen sein wird, weiß das Paar noch nicht. Geburtsvorbereitungskurs und Hebammenbetreuung? „Nicht für uns“, sagt Sama traurig. Die Vorfreude auf das Baby, so Oliver, sei entsprechend gedämpft: „Es gibt so viele Gründe, sich Sorgen zu machen, so viele Unsicherheiten.“

Es zählen nur die Beschwerden

„Wir versuchen auch hier zu helfen, schalten unsere Kontakte und Netzwerke ein“, verspricht Bastian und sagt der Frau, wie sie mit ihrer Ernährung den Zuckerwert in Schach halten sollte. Das gegenüber liegende Marien-Hospital habe schon einige Geburten „spendiert“, so der ehemalige Chefarzt der Allgemeinen Inneren Medizin. Aber Geburten sind teuer – kosten je nachdem zwischen 1850 und 4000 Euro. Geld, das man in der MMM jedenfalls nicht so einfach aufbringen kann.

Im Zimmer nebenan sitzt Hermine, eine kleine, fröhlich wirkende Frau. 59 Jahre ist sie alt. Sie hatte einen Herzinfarkt und leidet unter Bluthochdruck. „Hier sind alle furchtbar nett zu mir“, sagt sie und lacht. Warum sie die Dienste der MMM-Praxis in Anspruch nimmt, weiß hier niemand. „Wir fragen nicht danach, uns interessieren nur die Beschwerden der Patienten“, so Guido Broich. Der Allgemeinmediziner stellt Hermine ein neues Rezept aus und erklärt ihr, dass sie immer einen Zettel bei sich tragen solle, auf dem sie die Medikamente notiert, die sie einnimmt.

Krankheiten oft weit fortgeschritten

Broich, der auch lange als Notarzt im Einsatz war, verstärkt das Team seit einem halben Jahr. „Ich bin mit Leib und Seele Hausarzt gewesen“, so der Mediziner. Seine Praxis hat er 2018 an einen Nachfolger übergeben. „Nicht mehr als Arzt zu arbeiten, das war ein ziemlicher Einbruch für mich“, gesteht er. Das Angebot der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, sich ehrenamtlich in der MMM-Praxis einzubringen, kam ihm deshalb gerade recht. 

Patienten ohne Krankenversicherung suchen oftmals erst sehr spät Hilfe in der MMM-Praxis. Ihre Erkrankungen sind dann häufig weit fortgeschritten. Viele von ihnen nehmen lange Anfahrten in Kauf. „Wir haben Patienten aus der Eifel, aus dem Rhein-Sieg-Kreis, aus Bonn, Köln, Koblenz und Aachen. Sogar aus dem Saarland war schon jemand hier“, erzählt Hildegard Bastian, die als Sprechstundenhilfe am Empfang sitzt.

Gewaltige Dunkelziffer

„Wir sind die einzige Praxis dieser Art in einem Flächenkreis, die anderen 18 MMM-Praxen sind in Städten“, ergänzt ihr Mann. „Die offizielle Zahl der Bundesregierung von Menschen ohne Krankenversicherung liegt bei 80 000. Experten gehen aber von einer gewaltigen Dunkelziffer aus, die zwischen 300 000 und einer Million liegt“, so der Arzt weiter.

Im Wartezimmer sitzt ein weiterer Patient. Der Mann aus Sierra Leone war bereits häufiger in der Praxis. Er leidet an einer Diabetes. Sein Blutzuckerwert ist mit 305 auch heute weit über dem Normalmaß. Hans-Josef Bastian erklärt dem 39-Jährigen, dass das Medikament, das er nehme, nicht ausreicht. „Wir müssen Ihre Nieren, Augen und Blutgefäße schützen“, sagt Bastian auf Englisch. Der Patient nickt ernst. Das neue Präparat, das er einnehmen müsste, kostet 61 Euro – viel Geld für den Mann ohne Aufenthaltsstatus. „Aber wir haben kooperierende Apotheken, die uns mit großer Hilfsbereitschaft begegnen“, so Bastian.

Menschlichkeit und Zuwendung

Wie gut der ehemalige Chefarzt vernetzt ist und wie groß die Unterstützung der aktiven Kollegen ist, zeigt sich kurze Zeit später. Bastians Nachfolger auf dem Chefarztposten schneit herein. Aus der Kitteltasche zaubert Dr. Michael Bothe ein Blutzucker-Messgerät: für den Diabetes-Patienten. Bothe und Bastian beraten, wie dem Mann aus Sierra Leone zu helfen ist. „Die Versorgung bei uns ist eine, die immer zwischen dem Machbaren und dem Notwendigen zirkuliert“, resümiert Hans-Josef Bastian.

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Zwei Stunden vergehen schnell in der MMM-Praxis am Marien-Hospital, die jeden Dienstag ihre offene Sprechstunde hat. Vor der Tür warten Oliver und Sama, die ihren kugelrunden Bauch mit beiden Händen festhält. „Was die Malteser hier machen, ist so wertvoll. Es ist nicht nur kostenlose medizinische Hilfe, wir erfahren hier ganz viel Menschlichkeit und Zuwendung, wo wir uns ansonsten überwiegend alleingelassen fühlen“, so der werdende Vater. Und dann gibt er noch ein Versprechen: „Wenn unser Baby endlich gesund auf die Welt gekommen ist, dann weiß ich eins ganz sicher: Ich werde die Malteser bis an mein Lebensende unterstützen.“

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