Mennoniten-Gemeinde EuskirchenAnfeindungen bedrücken die Mitglieder bis heute

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Das Bethaus an der Kommerner Straße ist das sonntägliche Versammlungszentrum der Euskirchener Mennoniten.

Das Bethaus an der Kommerner Straße ist das sonntägliche Versammlungszentrum der Euskirchener Mennoniten.

Euskirchen – Die Anspannungen, die sich im Zuge von Corona in allen Bevölkerungsgruppen eingestellt haben, führen zuweilen zu vorschnellen Urteilen. Das bekamen im vergangenen Jahr die Mitglieder der Mennoniten Brüdergemeinde (MBG) an der Kommerner Straße und die von ihnen betriebenen Einrichtungen wie die Schule zu spüren. Kritische Blicke, Anfeindungen und Abwertungen bedrücken die Mitglieder bis heute.

Anlass war im Juli der Corona-Ausbruch bei zwölf Mitgliedern einer Familie, die Mutter erkrankte schwer. Anschließend brandete eine Welle von Wut, Meinungen und Vorurteilen gegen die Besucher der freikirchlichen Gemeinde auf. Die Mitglieder sind überwiegend so genannte Russlanddeutsche und deren Nachfahren und Familien. Auch andere Aussiedlergemeinden wie in Herford gerieten wegen der Pandemie unter Beschuss.

Heftige Reaktionen nach Ansteckung

Gemeindepastor Johann Bergen und der Geschäftsführer vom Schul- und Kindergartenverein der MBG Euskirchen, Jakob Bergen, schildern mit Vorsicht, aber tief betroffen, wie nach dieser Ansteckung die Schule und die Gemeinde belagert wurden und Kommentare auf Facebook und Co. die Mitglieder kränkten. Derart heftige Reaktionen, zum Teil blanker Hass, erleben Schulen, Kitas und Altenheime mit Corona-Ausbruch in der Regel nicht.

Die Ereignisse in Euskirchen standen in engem zeitlichen Zusammenhang mit den Beschränkungen für den Kreis Gütersloh durch die Massenansteckung in der Fleischerei Tönnies. Die Angst vor einem Lockdown könnte entsprechend mitverantwortlich für die Wut gewesen sein. Die Ohnmacht angesichts der kaum greifbaren Gefahr durch das Virus schien ein Ventil zu suchen, sich auszudrücken.

Bereits vor dem Ausbruch sind im Bethaus der Gemeinde Schutzmaßnahmen installiert worden. „Die langen Bänke haben wir mittig durch Glasscheiben getrennt,“ so Jakob Bergen. Johann Bergen beschreibt, wie man nach jedem Gottesdienst lüftet, die Bänke desinfiziert. Und: „Die Gemeinde teilt sich nach den Anfangsbuchstaben der Nachnamen auf den Vormittags- und Nachmittagsgottesdienst auf. Der Raum ist riesig und zwischen jeder Bank bleibt eine Bank frei.“

„Gott war gnädig zu uns“

Nach der Testung von 870 Gemeindemitgliedern entpuppten sich 25 als infiziert. „Gott war gnädig zu uns“, so Jakob Bergen. Die Tatsache, dass man aus Unwissenheit keine Anwesenheitsliste im Gottesdienst geführt hat, tut dem Pastor, Johann Bergen, leid: „Auswirkungen hat das aber nicht gehabt. Wir konnten aufgrund der Maßnahmen, die wir ergriffen haben, genau sagen, wer wo und neben wem gesessen hat.“ Bis zum Ende des Sommers infizierten sich 38 Personen aus der Gemeinde, ein Zusammenhang mit Gottesdiensten wurde nicht festgestellt. In der Novemberwelle sind weitere Mitglieder an Corona erkrankt, eine 83-Jährige ist gestorben. Der Euskirchener Bürgermeister Sacha Reichelt, der im September noch dem Ordnungsamt vorstand, besuchte die Gemeinde. Er bestätigt: „Die Gemeinde hat sich sehr bemüht, den Regelungen nachzukommen.“

Jakob Bergen schaut auf das Treffen so zurück: „Wir waren für das Gespräch sehr dankbar. Herr Reichelt war sachlich und sehr korrekt. Er hat uns angeboten, was von seiner Seite her möglich sei, für uns zu tun.“

Meist eigenständige Vereine

Mennoniten gehen auf den ehemals katholischen Priester Menno Simons (1496-1561) zurück, der sich nach Zweifeln an den Dogmen des Abendmahls der Reformation in Form der Täuferbewegung zuwandte und sein Amt niederlegte. Kennzeichnend sind für Mennoniten die Ablehnung der Babytaufe und eine Abkehr vom sakralen Verständnis des Abendmahls.

In Deutschland gibt es rund 200 Gemeinden mit 40.000 Mitgliedern. Wie die Euskirchener Gruppe sind die meisten selbstständige Vereine. Mennonitengemeinden können sich stark voneinander unterscheiden.

Einige werden fast ausschließlich von Deutschen mit sowjetischem Lebenshintergrund besucht. In diesen sind Kinderreichtum, Kopftuch bei verheirateten Frauen und ein starker sozialer Zusammenhalt kennzeichnend.

Die ältere Generation ist stark geprägt durch das Unrecht harter Verfolgung christlicher Gruppen und Einstellung in der atheistischen Sowjetunion, wie Jakob Bergen berichtet. So erklärt sich vielleicht der Wunsch, besonders zuverlässig und anständig zu sein, was sich etwa in der tadellosen Kleidung schon bei Kindern und einer gewissen Uniformität ethischer Einstellungen äußert. (fkn)

Ende November wurde die Gemeinde gebeten, vorsichtshalber alle Gottesdienste einzustellen. Bis auf einen Weihnachtsgottesdienst mit allen Sicherheitsmaßnahmen habe man dies getan. „Gottesdienste stehen in NRW unter dem besonderen Schutz der Landesregierungen. Die ,Ein Haushalt Regel‘ gilt hier nicht“, erklärt Bürgermeister Reichelt.

Warum gerade hier?

Warum gab es aber gerade gegen diese Gemeinschaften so viel Ansturm? Schulleiter Bergen sieht es folgendermaßen: „Im Denken anderer sind wir zuerst Russen oder Aussiedler, weil wir angeblich nicht integriert sind. Man sieht uns nicht zuerst als Staatsbürger. Dabei tritt die Krankheit überall auf und ist ein medizinisches, kein politisches Problem. Die Herkunft hat mit dem Virus nichts zu tun.“

Eine ähnliche Gemeinschaft in Dom-Esch, die mit der Euskirchener in keiner Verbindung steht, wurde vor wenigen Wochen beim Ordnungsamt angezeigt, weil angeblich die Coronamaßnahmen nicht eingehalten wurden. Das Ordnungsamt konnte aber keine Verstöße feststellen. „Möglicherweise waren die genauen Corona-Regeln nicht bekannt, weil sie sich häufig ändern,“ so Reichelt. In einer Videobotschaft auf der Instagramseite der Stadt vom 6. Januar bittet er deshalb darum, genau zu schauen, was erlaubt ist, bevor andere angezeigt werden.

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Jakob Bergen hofft, dass die Andersartigkeit der Gemeinschaft als Teil einer Vielfalt akzeptiert wird. Demokratie bedeute für ihn schließlich nicht, „dass alle sich gleich verhalten müssen und abweichende Lebensentwürfe abgewertet werden.“ Johann Bergen ergänzt: „Wir freuen uns als Glaubensgemeinschaft, in diesem Land leben zu dürfen, in dem die Glaubensfreiheit im Grundgesetz verankert ist. Weiter schätzen wir es, dass auch in dieser Zeit vom Ministerpräsidenten Armin Laschet diese Werte hochgehalten werden.“

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