Ukraine-KriegSiebenköpfige Familie versucht in Euskirchen den Neustart

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Familie Sukhorukov auf dem Spielplatz beim Annaturmplatz.

Familie Sukhorukov auf dem Spielplatz beim Annaturmplatz.

Euskirchen – Yehor Sukhorukov ist 17 Jahre alt und übersetzt für seine gesamte Familie von Ukrainisch auf Englisch. Er, seine Eltern Olga und Aleksander und seine vier Geschwister seien im März nach Deutschland geflohen, ursprünglich hätten sie in einem kleinen Dorf, etwa 30 Kilometer von Kiew entfernt, gelebt.

Er erinnere sich noch ganz genau an den Zeitpunkt, als klar gewesen sei, dass die Familie ihr Hab und Gut zurücklassen und die Flucht ergreifen muss. „Um vier Uhr nachts rief uns ein Freund an und meinte nur: ’Der Krieg hat angefangen’.“ Das sei am 21. Februar gewesen.

„Unser Haus war einfach ... bumm, weg“

Sukhorukov erzählt, sie hätten sich in den folgenden Tagen immer wieder in einem Keller von Bekannten versteckt, als der Beschuss durch die russischen Soldaten begonnen habe. „Als wir einmal wieder aus dem Keller gekommen sind, haben wir unser Haus gesehen. Das war einfach ... bumm, weg.“

Ein Bekannter habe der Familie ein Auto zur Verfügung gestellt, mit dem sie dann geflohen seien. „Wir mussten alles zurücklassen. Die russischen Soldaten haben die Brücke zerstört, über die wir mit unserem Auto hätten fahren müssen, um aus dem Dorf zu kommen. Also mussten wir durch den Fluss, der hat zum Glück nicht viel Wasser geführt zu dem Zeitpunkt“, erzählt Sukhorukov: Auf der anderen Flussseite habe dann der Bekannte mit dem Auto gewartet.

Die Kinder tollen auf dem Euskirchener Spielplatz

Am 12. März dieses Jahres seien sie über die EU-Grenze gekommen, zwei Tage später hätten sie Deutschland erreicht.

Es ist ein starker Kontrast von dem, was Sukhorukov erzählt und dem, wie seine Familie heute in Deutschland lebt: Seine jüngsten Geschwister Margareta, 1,5 Jahre alt , und Matvey, vier Jahre alt, spielen miteinander auf dem Kletterturm auf dem Spielplatz beim Annaturmplatz. Mutter Olga Sukhorukov filmt die Kinder dabei mit dem Smartphone und lacht.

Aber wenn man die Familienmitglieder fragt, wie es sich angefühlt hat, als sie ihr zerstörtes Haus zum ersten Mal gesehen haben, ist die Antwort eindeutig. „Schrecklich. Es hat sich gar nicht echt angefühlt“, sagt Sukhorukov. Während er spricht, wirft sein Vater immer wieder Anmerkungen ein, auf Ukrainisch. Mehrmals während des Gesprächs zeigt er Bilder seiner Söhne beim Paartanz.

In der Ukraine Junior-Meister im Paartanz

„Ich bin Junior-Meister im Paartanz in der Ukraine. Und meine Brüder tanzen auch“, erklärt Sukhorukov. Die gesamte Familie wolle in Deutschland bleiben, sagt er weiter. Denn, so Sukhorukov: „Wir haben in der Ukraine nichts mehr. Wir haben hier zwar auch nichts, aber hier ist immerhin kein Krieg.“

In Deutschland wollen sie sich ihm zufolge etwas Neues aufbauen: „Ich möchte andere Menschen, vielleicht welche, die auch geflohen sind, aber eigentlich soll jeder junge Mensch sich angesprochen fühlen, ich möchte sie verbinden.“

Mit anderen jungen Menschen Tanztreff organisieren

Deshalb suche er aktuell nach Örtlichkeiten, wo er mit anderen jungen Menschen eine Art Tanztreff organisieren könne. Gerne wolle er auch Kinder im Tanzen unterrichten, unentgeltlich, sagt Sukhorukov: „Wir wissen aber noch nicht, wo und ob das geht. Aber ich habe in der Ukraine schon Kinder trainiert.“

Auch seine Eltern wollen ihm zufolge ihren Beruf in Deutschland weiter ausüben. „Meine Eltern haben einen Stihl-Fachhandel betrieben, meine Mutter hat den Laden geleitet, und mein Vater hat sie unterstützt. Mein Vater hat aber auch noch andere Jobs parallel gemacht, unter anderem hat er sich um ein Jagdgebiet gekümmert. Da konnte man für Geld jagen gehen, er hat sich unter anderem um die Tiere gekümmert.“

Nicht arbeiten zu gehen, das sei keine Option, betont Sukhorukov immer wieder. Im Gegenteil: „Es ist zermürbend, so wenig tun zu können.“ Hinzu komme, dass die Familie so viel Hilfe erhalten habe, dass sie nun etwas zurückgeben wolle, wie der 17-Jährige sagt: „Jeder, den wir getroffen haben, war so nett und wollte uns helfen. Jetzt wollen wir es umdrehen und auch helfen.“

Aktuell sei das aber noch schwierig, weil keines der Familienmitglieder gut genug Deutsch spreche. Sukhorukov habe zwar bereits einen Deutschkurs abgeschlossen, aber er wolle die Sprache noch besser kennenlernen. Auch seine Eltern seien bemüht, schnellstmöglich Deutsch zu lernen.

Deutsch lernen beim Job im Fastfood-Restaurant

Damit er noch schneller Deutsch lerne, fange er jetzt einen Job in einem Fastfood-Restaurant an, erzählt er und lacht: „Da ist man ständig im Gespräch mit Leuten, so lernt man schneller eine Sprache.“

So könne er auch die Zeit überbrücken, die er noch warten müsse, um sich auf einen Studienplatz zu bewerben. „Ich möchte Ingenieur werden“, erklärt er. Damit enden seine Pläne aber nicht: „Ich will versuchen, ein zweites Studium in der Ukraine aufzunehmen.“ BWL soll es werden. Ob das Ganze so funktionieren werde, wie Sukhorukov es sich wünscht, müsse sich aber erst noch zeigen, erinnert ihn sein Vater.

25 Quadratmeter für sieben Familienmitglieder

Aktuell seien die Sukhorukovs erst einmal damit beschäftigt, eine größere Wohnung zu finden. Etwa 25 Quadratmeter groß sei die aktuelle Wohnung, in der die siebenköpfige Familie in zwei Zimmern lebe.

Wer die Familie zudem bei ihrem Tanzprojekt unterstützen will, kann sich unter Tel. 0151/21842445 melden.

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