„Mich kann keiner mehr ärgern“Wilhelm Hensch aus Kall-Keldenich hatte 100. Geburtstag

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Willi Hensch

Auf seiner Mundharmonika spielt Wilhelm Hensch oft und gerne. 

Kall-Keldenich – Als gebürtiger Keldenicher ist Wilhelm Hensch ein Urgestein des Dorfes, der viele Geschichten zu erzählen weiß – sein Fundus scheint schier unerschöpflich. Am Sonntag hat der ebenso humorvolle wie liebenswürdige und rüstige Senior seinen 100. Geburtstag gefeiert.

Hensch lebt alleine in seinem Haus, von seinen Kindern wird er versorgt und betreut. Geboren worden sei er in dem Nachbarhaus seines heutigen Domizils, in dem damals seine Großmutter gelebt habe, berichtet er. Zwei Kinder habe sie zur Pflege gehabt, und sie sei stolz auf deren gute Ernährung gewesen. Ihn aber habe sie immer sehr dünn gefunden.

Der Trick des kleinen Wilhelm mit der Sackwaage

Regelmäßig habe er sich daher mit den Händen an einer Sackwaage hochziehen müssen, um das Gewicht zu prüfen. „Bis ich eines Tages einen Balken zu meinen Füßen entdeckte, meine Zehen drunter steckte und dann kräftig zog“, erzählt Hensch.

Seine Großmutter habe dann seine Arme abgetastet und gerufen: „Dä hät ävver schwere Knauche!“ „Danach wurde ich nie mehr gewogen“, sagt Hensch und lacht.

Sein Vater war Schlosser und arbeitete später im Zementwerk in Sötenich, die Mutter kümmerte sich um Haushalt und Familie. „In den Ferien haben wir Kinder bei den Bauern auf den Feldern gearbeitet, da waren wir aus der Kost“, erinnert sich Hensch. Als Lohn gab’s dort Essen und ein Stück Butter oder Brot.

Der erste Job für 17 Pfennig die Stunde

Als er mit 14 Jahren die Schule verlassen habe, habe er zuerst in der Pappenfabrik in Nierfeld gearbeitet. Jeden Morgen habe er um 6.30 Uhr dort anfangen müssen. „Wenn ich etwas spät war, bin ich mit dem Fahrrad in Gemünd durch den Tunnel gefahren. Da habe ich ein paar Minuten gespart“, erzählt er schmunzelnd. Für 17 Pfennig die Stunde habe er Pappdeckel mit einer Waage nach Gewicht sortiert.

Ein halbes Jahr später begann er im Sötenicher Zementwerk eine damals vierjährige Schlosserlehre. Als er am 2. Januar 1941 zum Arbeitsdienst eingezogen wurde, hätte er eigentlich noch anderthalb Jahre Lehrzeit vor sich gehabt. Doch sein Meister habe dafür gesorgt, dass er schon seine Prüfung machen konnte.

Die schwere Verwundung in Russland

Drei Monate sei er in Aachen im Arbeitsdienstlager gewesen, bevor seine Kompanie in Frankreich einen Flugplatz gebaut habe. Nach einem kurzen Urlaub trat er seinen Militärdienst bei der 16. Infanteriedivision an. Bald ging es nach Russland, wo er zuerst in den Kaukasus, dann nach Kalmückien, südlich des damaligen Stalingrad, kam.

Kurz bevor die deutsche Armee dort eingekesselt wurde, wurde Hensch mit einer schweren Verwundung ausgeflogen: Ein Granatsplitter hatte ihm seinen halben Kiefer weggerissen.

Zuerst sei er ins Lazarett nach Konstantinowska gekommen. Feste Nahrung habe er nicht zu sich nehmen können, alle drei Stunden sei er mit Suppe ernährt worden. Dort sei er von einer Krankenschwester aus Stadtkyll versorgt worden, die auf seinen Namen aufmerksam geworden war, da ein Hensch dort auf der Kirmes Musik gemacht hatte. „Das war aber mein Vetter Hans Hensch aus Kall, der in einem Trio mit Trompete, Akkordeon und Schlagzeug spielte.“

Die Rückkehr in die Heimat nach Keldenich

Über Leipzig kam er dann nach Rheine, wo er wieder in eine Marschkompanie eingegliedert wurde, da der Oberstabsarzt dachte, er sei ein Simulant. „Da musste ich zu einem Zahnarzt, der fragte: Jung’, wo biste her?“, berichtet Hensch. Aus Keldenich bei Kall. „Oh, das kenne ich gut“, antwortete der Zahnarzt, ich bin nämlich der Dr. Euskirchen aus Köln“, so Hensch herzlich lachend.

Sein Kiefer wurde in einem Krankenhaus in Dormagen operiert. Auch dort fand er schnell Bekannte – etwa einen Unteroffizier aus Mechernich. „Von dem bekam ich an jedem Wochenende eine Heimfahrtgenehmigung“, erinnert sich Hensch.

Wieder genesen wurde er nach Dänemark kommandiert, wo er in einer Wäscherei Wache schob, die Kleidung für die Wehrmacht wusch. Hier erlebte er das Kriegsende, bevor er nach vielen Wirren, spannenden Abenteuern und Stationen nach Keldenich zurückkehrte. „Es war mein Glück, dass ich verwundet wurde“, resümiert er die Erlebnisse dieser Zeit – es sei ernst gewesen damals.

Die Hochzeit mit Jugendliebe Gerta

Zurück in der Heimat heiratete Wilhelm Hensch seine Jugendliebe Gerta, mit der er vier Kinder, zwei Söhne und zwei Töchter, bekam. Neun Enkel und neun Urenkel vervollständigen die Familie. 45 Jahre arbeitete er als Schlosser im Zementwerk. Seine letzte Schicht, als er mit 60 Jahren 1982 in Rente ging, machte er mit seinem Sohn Peter gemeinsam, der mittlerweile als Elektromeister ebenfalls dort arbeitete.

Die große Freude für Hensch war, Fußball im FC Keldenich zu spielen: „Ich war links wie rechts.“ Mit 41 Jahren machte er sein letztes Spiel für den Verein. Auch als Karnevalist ist Hensch bis heute bekannt.

Mit seinen Brüdern Hans und Hermann trat er oft mit dem Akkordeon auf und brachte Krätzchen dar. Mit seiner Frau Gerta stellte er auch das Prinzenpaar. Noch vor zwei Jahren stand er beim Altentag in Keldenich in der Bütt und unterhielt sein Publikum mit Anekdoten aus dem Dorfleben.

Die Leidenschaft des 100-Jährigen zur Musik

Das Akkordeonspiel habe er aufgeben müssen, da seine Finger nicht mehr mitmachten, sagt er traurig. Doch die Mundorgel, die Mundharmonika, spiele er noch gern und oft – und tritt sofort mit einem kleinen Konzert den Beweis an. „Das hat mir meine Mutter beigebracht.“ Mit „Hänschen Klein“ habe sie ihm die Grundzüge vermittelt.

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Jetzt sei seine Tochter bald in Urlaub, kündigt er verschmitzt an. „Dann kann ich morgens länger schlafen“, sagt er und grinst. Zum Mittagessen geht er zu seinen Kindern, das Abendessen macht er sich immer selbst. Oft löst Hensch seine geliebten Sudokus oder Kreuzworträtsel. Und das Fazit seines Lebens? „Mich kann keiner mehr ärgern“, sagt er freundlich lächelnd.

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