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Senioren in SicherheitKaller EvA-Einrichtungen stark von Hochwasser getroffen

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Das Windspiel, das an der Balkontür hing, packt Annegret Nussbaum in der völlig zerstörten Wohnung ihrer Mutter ein.

Kall – Kall wurde von den Wassermassen der über die Ufer tretenden Urft komplett überflutet. Gegen 20 Uhr spitzte sich am Mittwoch vor einer Woche auch für 32 Senioren und Seniorinnen in den beiden Wohnhäusern der Stiftung Evangelisches Alten und Pflegeheim Gemünd (EvA) am Neuen Markt in Kall die Lage dramatisch zu.

„Wasser kann störend sein“ – mit einer so lapidaren Feststellung begann das, was EvA-Geschäftsführer Malte Duisberg so schnell nicht vergessen wird. Denn mit dieser Bemerkung hatte ihn gegen 19.30 Uhr eine der drei Bewohnerinnen im Erdgeschoss des Hauses Nummer 1-2 am Markt in Kall angerufen: Da stehe auf einmal Wasser auf der Terrasse ihrer kleinen Wohnung. Ob das bitte beseitigt werden könne?

Wasser vor den Einrichtungen

Was eine eher nebensächliche Störungsmeldung zu sein schien, alarmierte Duisberg an diesem Abend zu Recht. Denn als er nach schneller Autofahrt von Gemünd in Kall eintraf, floss schon beständig Wasser die Straße Im Vogtpesch vor den beiden Seniorenwohnhäusern der EvA hinab, so Duisberg. An der Straßenecke wohnen sieben Senioren und Seniorinnen, davon drei im Erdgeschoss. Im Nachbarhaus sind von 25 Wohneinheiten elf im Erdgeschoss. 14 Seniorenwohnungen waren akut vom Hochwasser bedroht.

Kurz vor 21 Uhr an diesem Abend wusste Rosemarie Kinzel davon noch nichts. Die 85-Jährige hatte eine der Erdgeschosswohnungen am Neuen Markt 3-5 bezogen. Es ist das tiefer gelegene Nachbarhaus der Anruferin mit dem vermeintlich kleinen Wasserschaden auf der Terrasse. Sie fühlte sich hier wohl. Die Hausgemeinschaft war ja nett. Man verbrachte immer wieder gemeinsame Nachmittage im Innenhof, von dem aus über Erd- und Obergeschoss die Wohnungen wie in einem Atrium abgehen. Überall war Grün gepflanzt, es war gepflegt und freundlich.

Liebevoll bepflanzter Balkon

Rosemarie Kinzel hatte den kleinen Balkon liebevoll mit Geranien bepflanzt, die kleine Wohnung sorgfältig eingerichtet. Erst vor einem Monat hat sie sich eine neue Waschmaschine angeschafft. Ihre beiden Töchter und deren Familien haben ein Auge auf das Wohlergehen der 85-Jährigen. Seltsam nur, dass an diesem Abend plötzlich der Fernseher ausfiel. Kurze Zeit später war es auch für Rosmarie Kinzels Idylle vorbei.

Malte Duisberg klopfte energisch an die Wohnungstür. „Es hieß nur: Alle raus, sofort ins Obergeschoss! Nehmen Sie nur das Nötigste mit!“, berichtet Annegret Nussbaum, die so ihre Mutter zitiert. Nussbaum steht nun in dem, was die braunen Wassermassen der Urft von dem Alterssitz ihrer Mutter übrig gelassen haben. Vor allem Schlamm und Dreck. Also wird entrümpelt: „Alles raus, alles ist kaputt“, so Nussbaum. Auch die neue Waschmaschine. Die Geranien sind fortgerissen von der Flut, die über einen Meter hoch in der Wohnung stand. Vor dem Seniorenwohnhaus ist ein großer Haufen Müll und Gerümpel entstanden. Helfer mit dem Vorderlader laden in einen Entsorgungscontainer um. Schon seit Tagen geht das so.

Schnelles Handeln am Mittwoch

Ja, es habe am Mittwochabend schnell gehen müssen, erinnert sich Enrique Willms, Hausmeister am Neuen Markt für die Stiftung EvA, an den Katastrophenabend. Im 15-Minuten-Takt sei das Wasser angestiegen. Doch es klappte: Alle Senioren und Seniorinnen konnten ins Obergeschoss der beiden Wohnhäuser gebracht werden, wo ihnen die Bewohner der anderen Wohnungen Matratzen oder auch das Sofa für die Nacht anboten. Teilweise waren die Gäste aus der Not nur im Bademantel und Schlafanzug gekommen, den Rollator noch dabei, wenn nötig.

Die Alternative, das Pflegewohnhaus der Stiftung EvA gegenüber, war da längst unerreichbar: der Wasserstand zu hoch, die Strömung zu stark. Auch dort gelang es zwei Pflegekräften, die Bewohner ins sichere Obergeschoss zu retten. Am Neuen Markt richteten sich unterdessen Hausmeister Willms und Geschäftsführer Duisberg ein ungewöhnliches Nachtlager im Obergeschoss des Hauses Nummer 3-5 ein. Der kurze Weg zu ihren Autos für die nächtliche Heimfahrt war schon seit Stunden unpassierbar.

Alle Seniorinnen und Senioren untergebracht

Sechs Tage später sind die Senioren und Seniorinnen aus den gefluteten Erdgeschosswohnungen bei Verwandten oder im Wohnhaus der Stiftung in Gemünd untergekommen, zieht Malte Duisberg eine erste Bilanz. Alle Bewohner im Betreuten Wohnen der ersten Etage konnten in ihren Wohnungen bleiben: „Sie haben fließend Wasser und Strom, alles funktioniert. Unsere Seniorinnen und Senioren leben da selbstständig jetzt, wie auch bisher“, so Malte Duisberg.

Im EvA-Pflegewohnhaus gegenüber wurden nach Rücksprache mit der Heimleitung alle Bewohner aus dem Erdgeschoss ins erste Obergeschoss gebracht. Dort ist, solange keine andere Lösung zur Verfügung steht, eine große Doppel-Wohngruppe gebildet worden, so Duisberg. „Der Sachschaden wird siebenstellig sein“, sagt Duisberg. Doch was ihm wichtiger ist: „Es sind bei uns keine Menschen zu Schaden gekommen. Wir waren bei allem Unglück am vergangenen Mittwoch behütet“, davon sei er als Christ überzeugt.

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Und dann passierte auch in Kall das, was überall in der Region die Hochwasseropfer so begeistert und ermutigt: Die Solidarität der Freunde, Bekannten und von Fremden. „Es waren mehr als 20 Menschen da. Selbst junge Menschen, Menschen, die wir gar nicht kannten. Sie standen einfach da und wollten helfen“, so Malte Duisberg immer noch sichtlich beeindruckt. Das, da ist er sich bei aller Katastrophe sicher, mache Hoffnung.

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