KinderkrankheitenCorona-Vakzine überzeugen skeptische Eltern für andere Impfungen

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Fragt Impfskeptiker gerne, ob sie beim Autofahren den Gurt nutzen: Dr. Herbert Schade, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Kreiskrankenhaus Mechernich.

Fragt Impfskeptiker gerne, ob sie beim Autofahren den Gurt nutzen: Dr. Herbert Schade, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Kreiskrankenhaus Mechernich.

Mechernich – Nie zuvor war das Thema Impfen so auf der Tagesordnung wie in diesem Jahr. Die Corona-Pandemie und ihre Bekämpfung durch die schnell entwickelten Vakzine hat die Menschen dazu gezwungen, sich viele Gedanken über Sinn und Zweck von Impfungen zu machen. Das wiederum färbt ab auf andere Impfentscheidungen, die im Laufe des Lebens gefällt werden müssen – insbesondere Eltern müssen sich nach der Geburt eines Kindes damit befassen. Die meisten entscheiden sich für Impfungen, die Kinder langfristig vor Krankheiten wie Masern, Mumps, Röteln, Kinderlähmung, Diphtherie, Keuchhusten, Tetanus und Hepatitis B schützen.

Bereit, Kinder generell immunisieren zu lassen

Die Debatte über die Corona-Schutzimpfung hat manche Eltern verunsichert. Andere hingegen, die bisher der Notwendigkeit von Impfungen eher kritisch gegenüberstanden, sind angesichts der überzeugenden Schutzwirkung der Corona-Impfung nun auch bereit, ihre Kinder generell immunisieren zu lassen. Das bekommt auch Dr. Herbert Schade mit, wenn er am Kreiskrankenhaus Mechernich mit den Eltern seiner kleinen Patienten spricht. Der Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, der auch stellvertretender Landesverbandsvorsitzender des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) ist, versucht, der Skepsis mit Argumenten und Vergleichen beizukommen. „Bei den einen gelingt es mir, bei anderen leider nicht“, so Schade.

Der Mediziner hält Impfungen generell „für einen Segen für die Menschheit, etwas Besseres ist kaum erfunden worden“. Kinderlähmung etwa sei ausgerottet, die lebensbedrohliche akute Kehlkopfentzündung, ausgelöst durch Bakterien namens Hämophilus influenzae Typ B (Hib), komme als Krankheitsbild so gut wie nicht mehr vor. „Und mit den Masern könnten wir das auch hinbekommen“, ist Schade sicher.

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Impfbereitschaft lässt zu wünschen übrig

Das sei auch erklärtes Ziel der WHO. Doch die Impfbereitschaft in Deutschland und vor allem im Kreis Euskirchen lässt zu wünschen übrig. Laut Gesundheitsreport 2021 der AOK Rheinland/Hamburg liegt der Kreis bei Kindern des Geburtsjahrs 2015 bei der ersten Masernimpfung bei 93,8 Prozent, bei der zweiten bei 85,9 Prozent und rangiert damit am unteren Ende des Städte- und Kreise-Rankings.

Seit dem 31. Juli dieses Jahres ist die Masern-Impfung in Kindergärten und Schulen verpflichtend. Und da sie in Deutschland seit vielen Jahren nicht mehr als Solo-Impfung zu bekommen ist, sondern nur im Kombipack, erhalten die Impflinge gegen Ende des ersten und im zweiten Lebensjahr entweder eine Masern-Mumps-Röteln-Impfung oder den Vierfachschutz, bei dem auch das Vakzin gegen Windpocken enthalten ist.

Gerade bei Säuglingen, für die die Stiko den Sechsfach-Kombiimpfstoff gegen Diphtherie, Tetanus, Kinderlähmung, Keuchhusten, Haemophilus influenzae Typ b (Hib) und Hepatitis B empfiehlt, hätten Eltern des Öfteren Bedenken, dass das Immunsystem für diese geballte Ladung Vakzine noch nicht ausgereift genug sei. „Ich stelle dem gerne gegenüber, dass in einem Liter Muttermilch rund 100 000 Keime sind“, so Schade. Sechs Keime seien dagegen eine Lappalie. Und was ist mit der weit verbreiteten Ansicht, eine durchlebte Kinderkrankheit stärke Körper und Geist des Kindes? Wer einen reißenden Gebirgsbach durchschwimme und auf der anderen Seite ankomme, fühle sich möglicherweise stark, doch der Weg über die Brücke wäre ungleich sicherer gewesen. „Und die Wahrscheinlichkeit, dass die Brücke einstürzt, ist äußerst gering“, so der Mediziner, um im Bild zu bleiben.

Kinderkrankheiten sind nicht ungefährlich

Tatsache ist, dass Kinderkrankheiten ob ihres Namens zwar harmlos klingen, schlimmstenfalls aber Gehirnentzündungen, Gehörlosigkeit, Blindheit, Unfruchtbarkeit oder gar den Tod nach sich ziehen können. „Die Krankheiten als Wildinfektionen zu durchleben, ist viel gefährlicher, als eine Impfung zu bekommen“, versichert der Arzt: „Ich frage Skeptiker auch gerne, ob sie im Auto angeschnallt unterwegs seien – in der Regel wird das bejaht.“ Die Wahrscheinlichkeit schlimmer Verletzungen bei einem Unfall werde dadurch zweifelsohne gesenkt. „Es gibt denkbare Unfallszenarien, bei denen es besser wäre, nicht angeschnallt zu sein. Trotzdem überwiegt eindeutig der Vorteil des Gurts“, so Schade.

Kein Nachweis über schwere Folgeerkrankungen wie Autismus

Unter Impfskeptikern wird immer wieder behauptet, Impfungen würden langfristig Autismus, Diabetes oder Multiple Sklerose auslösen können. Das Robert-Koch-Institut betont, dass es dafür aber keinen Nachweis gibt. Die Ergebnisse zahlreicher Studien würden eindeutig gegen einen Zusammenhang sprechen.

Auch der Behauptung, dass Impfungen nicht mehr als ein profitables Geschäftsmodell der Pharmaindustrie seien, tritt das RKI entgegen. „Von den knapp 194 Milliarden Euro, die die Gesetzliche Krankenversicherung im Jahr 2014 ausgegeben hat, entfielen 33 Milliarden Euro (17 Prozent) auf Arzneimittel und lediglich etwas mehr als eine Milliarde Euro (0,65 Prozent) auf Impfstoffe.“ Mit Behandlung von Krankheiten lässt sich offenbar mehr Geld verdienen als mit deren Verhinderung. Außerdem sei das Geschäft mit Impfstoffen wenig attraktiv, „weil die Herstellung komplexer und teurer ist als die von Arzneimitteln“. 

(hn)

www.rki.de

Genauso sei es mit den Immunisierungen von Kindern – der Benefit liege sowohl bei den Kleinen, denen schlimme Erkrankungen mit möglichen Folgen erspart blieben, als auch in der Gesellschaft. Impfen habe immer einen sozialen Aspekt.

Dass Jungs beispielsweise gegen Röteln geimpft werden, obwohl diese Krankheit für sie ungefährlich ist, hat allein damit zu tun, dass sie damit kein Risiko mehr für ungeimpfte Schwangere darstellen. Deren Ungeborene können durch die hochansteckenden Viren schwere Schädigungen erleiden. „Von den Windpocken denken viele noch immer, sie seien harmlos“, so Herbert Schade. Wenn aber die Viren, die sogar meterweit durch die Luft übertragen werden, jemanden erreichen, der immungeschwächt ist, vielleicht durch eine Chemotherapie, dann könne dies tödlich enden.

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Herbert Schade, selbst auch Facharzt für Naturheilverfahren, entkräftet die Einwürfe von Impfgegnern, dass Vakzine generell gesundheitsschädlich seien. „Der Impfgedanke erinnert an den der Homöopathie: Gleiches mit Gleichem bekämpfen“, sagt er.

Gerne würden Impfgegner auf die in den Seren enthaltenen Trägerstoffe wie Formaldehyd, Aluminium oder Quecksilber verweisen. Dazu sagt der Chefarzt: „Einmal bei offenem Fenster an der Ampel stehen oder einmal einen Fisch aus der Nordsee essen – das fördert deutlich mehr dieser Stoffe in den Körper. Und in einer Tafel Schokolade ist übrigens 1000 Mal mehr Aluminium enthalten als in einer Impfdosis. In Tee noch viel mehr.“ Die Substanzen, die in Mengen weit unterhalb toxikologischer Grenzwerte in den Impfseren zu finden sind, dienen dazu, Impfviren abzutöten (Formaldehyd), die Immunantwort zu verstärken (Aluminiumhydroxid) oder den Impfstoff haltbar zu machen (Phenol). „Das Hauptrisiko beim Impfen liegt in der Injektion selber, beim Spritzen können Keime eindringen. Auch allergische Reaktionen könnten auftreten, wenn auch sehr selten“, so der Mediziner. So gesehen seien die Kombi-Impfungen, bei denen mit einer Injektion gleich mehrere Impfseren verabreicht werden, ein Vorteil.

Der Mechernicher Arzt rechnet damit, dass die Stiko in Kürze auch die Corona-Schutzimpfung für Risikopatienten ab fünf Jahren empfehlen wird, die er unbedingt für sinnvoll erachtet. „Inwieweit es dann eine offizielle Impfempfehlung für alle Kinder dieses Alters gibt, wird die Zeit zeigen“ berichtet der Experte.

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