„Der erste Schritt“ in MechernichUnterstützung auf dem Weg in die „aktive Abstinenz“

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Der Weg in die Sucht ist meist schleichend, der Weg hinaus nicht leicht. Selbsthilfegruppen bieten dabei Unterstützung.

Der Weg in die Sucht ist meist schleichend, der Weg hinaus nicht leicht. Selbsthilfegruppen bieten dabei Unterstützung.

Mechernich – Der Arbeitsplatz ist weg, die Familie, die Freunde, das Hab und Gut. Der Weg in die Sucht ist schleichend. Sie löst einen Strudel aus, der den Betroffenen immer schneller, immer tiefer nach unten zieht – so tief, bis nur das nackte Überleben übrig bleibt. Der Weg zurück in ein geordnetes Leben ist schwer: Klinik, Entzug, Selbsthilfegruppe. Entscheidend ist der erste Schritt: die Erkenntnis, süchtig zu sein, Hilfe zu benötigen – und sie anzunehmen.

Da der erste Schritt so wichtig ist, hat die Mechernicher Selbsthilfegruppe ihren Namen nicht von ungefähr gewählt: „Der erste Schritt – Selbsthilfegruppe aktive Abstinenz“. Seit 1991 besteht die Gruppe, die sich donnerstags im Mechernicher Johanneshaus trifft. Zunächst agierte man unter dem Dach des Kreuzbund-Vereins, seit 2014 ist „Der erste Schritt“ selbstständig. Von der Arbeit der Gruppe, die sich vor allem auf die Felder Alkohol-, Medikamenten- und Drogensucht konzentriert, berichten die Vorstandsmitglieder Hans-Willi Floß, Hubert Koch, Lydia Müller und Josef Breuer.

Sucht ist individuell

Drei Bier am Abend? Fünf? Zehn? Definitionen, wie und ab wann beispielsweise Alkoholsucht beginnt, gibt es zuhauf. Riskanten Konsum definiert etwa die Drogenbeauftragte der Bundesregierung (siehe „Zahlen und Fakten“). Doch Sucht ist individuell.

Daher hat der Vorsitzende Hans-Willi Floß eine plastische Erklärung: „Wenn die Uhr zurückgeht, wenn die Gedanken immer früher kommen.“ Ein Feierabendbier zu trinken, sei ja in Ordnung. Auch, wenn die Menge mal größer wird. Doch gefährlich wird’s laut Floß, wenn immer früher am Tag immer mehr getrunken wird – wenn das Ausbalancieren nicht mehr funktioniert.

Die Stärke und Selbstdisziplin, mit großer Selbstverständlichkeit mal zur Selbsthilfegruppe zu gehen, fehlt den meisten Suchtkranken. Oft nehmen etwa Angehörige Kontakt zu den Gruppenleitern auf, Beratungsgespräche werden geführt. Doch den ersten Schritt muss der Süchtige tun, die Verantwortlichen der Selbsthilfegruppe werden nicht selbst aktiv, auch nicht etwa nach Hinweisen.

„Im Telefongespräch kann man schon viele Ängste nehmen“

Der Schritt wird meist telefonisch gemacht. Lydia Müller: „Im Telefongespräch kann man schon viele Ängste nehmen.“ Und beim ersten Schritt ins Johanneshaus werden Neulinge auch nicht alleine gelassen. Müller: „Uns ist es wichtig, sie draußen zu begrüßen und willkommen zu heißen.“

Einen geschützten Raum will „Der erste Schritt“ in den beiden Gruppen, die jeweils von rund 15 Teilnehmern aus dem gesamten Kreisgebiet besucht werden, bieten. Es steht jedem frei, ob und wie oft er zu den Treffen kommt. Und es besteht eine strikte Schweigepflicht Außenstehenden gegenüber. In der Gruppe sitzt man klassisch im Stuhlkreis zusammen. Josef Breuer: „Das hat den Vorteil, dass die Gruppenleiter die Körpersprache, etwa die Hand- und Fußhaltung, sehen und bei Bedarf reagieren können.“

Ein festes Programm haben die Leiter nicht. Floß: „Wir sind Moderatoren, die Gruppe arbeitet eigenständig.“ Das bedeutet, dass jeder ein Thema „mitbringen“ kann. Oft ergebe sich aus einem Nebensatz ein intensives Gespräch.

Leiter haben einen „Plan B“

Dennoch haben die Leiter einen „Plan B“, etwa in Form vorbereiteter Themen oder der Befindlichkeitskarten. Die kommen zwar selten zum Einsatz, können aber auch ein Gespräch in Gang bringen. Koch: „Man kennt ja auch seine Pappenheimer: Manch ein Plappermäulchen redet viel, ohne etwas zu sagen. Und manche wirken unbeteiligt, aber wir sehen deutlich, wie sehr sie mitgehen. Die sprechen wir dann an.“

Zu einer Art Familie werden die Gruppen laut Koch mit der Zeit: „Wir kümmern uns umeinander. Wenn etwa einer längere Zeit ohne Ankündigung wegbleibt, schauen wir nach.“ Die Gruppe sei eben mehr als nur das wöchentliche Treffen, Freizeitveranstaltungen gehören auch dazu.

Doch es gebe auch die Fälle, in denen die Chemie einfach nicht passe. Dann kommen Teilnehmer ein, zwei Mal – sind aber in einer anderen Gruppe, die mit einem anderen Ansatz arbeitet, besser aufgehoben.

„Der erste Schritt“ mit einem umfangreichen Netzwerk zusammen

Und dann gibt es die, die sich, so Koch, nur den Allerwertesten plattsitzen: diejenigen, denen der Besuch einer Selbsthilfegruppe zur Auflage gemacht wurde, um den Führerschein wiederbekommen zu können. Doch ob da echter Wille dahintersteht, das wagt er zu bezweifeln.

Auch wenn die Gruppenleiter ausgebildet sind und sich regelmäßig fortbilden, sind sie keine Experten für all die Facetten, die eine Suchterkrankung haben kann. Daher arbeitet „Der erste Schritt“ mit einem umfangreichen Netzwerk zusammen. Therapeuten und Psychologen gehören dazu, die Caritas, das Ärztehaus Mechernich, das Marien-Hospital Euskirchen oder die Fachklinik Marienborn in Zülpich-Hoven.

Genauso steht man mit anderen Selbsthilfe-Organisationen und -Gruppen in Kontakt. Wenn sich, so Floß, beispielsweise ein Spielsüchtiger melde, sei seine Gruppe nicht der richtige Ansprechpartner – er könne aber entsprechende Kontakte vermitteln.

Alkoholfreies Bier oder Wein stehe jedem frei

„Ich werde nie wieder trinken.“ Diesen Spruch sollte man sich, so Koch, in einer Selbsthilfegruppe tunlichst verkneifen. Denn Abstinenz sei zu 99 Prozent Kopfsache – und niemand vor einem Rückfall sicher. Eine Kurzschlusshandlung – ein kurzer Rückfall – gehört für ihn auf dem Weg zur Abstinenz fast dazu.

Je jünger die Suchtkranken seien, desto höher sei die Hürde, die Situation zu akzeptieren und das Bewusstsein zu entwickeln, nichts mehr trinken zu dürfen. Auch sei es nicht leicht, nicht auf die anderen neidisch zu sein, die ja Alkohol trinken dürfen.

Frei stehe es jedem, alkoholfreies Bier oder Wein zu sich zu nehmen. Dennoch weist die Gruppe auf die Gefahren hin. Zum einen sei in der Regel eine winzige Restalkohol-Menge enthalten, zum anderen könne alleine der Geschmack das „nasse Denken“ befeuern.

„Am Anfang der Arbeit habe ich versucht, den ganzen Globus trockenzulegen“, sagt Hans-Willi Floß. „Mir wurde so viel geschenkt, ich will weiterschenken“, ergänzt Koch. Doch beide mussten lernen, dass sie nicht die Welt retten können, sich nicht übernehmen dürfen. Breuer beschreibt das Maß für die Helfer mit einem überquellenden Glas: „Wir müssen selbst überquellen, um das Überquellende weitergeben zu können.“

Die Selbsthilfegruppe „Der erste Schritt“ trifft sich donnerstags von 19 bis 21 Uhr im St. Johanneshaus, An der Kirche 2, in Mechernich. Das Haus ist ab 18.30 Uhr geöffnet. Informationen über die Gruppe oder vor einem ersten Treffen gibt es unter Tel. 0177/4814072 oder im Internet.

www.der-erste-schritt-mechernich.de

Zahlen und Fakten

9,5 Millionen Menschen in Deutschland konsumieren nach Angaben der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marlene Mortler, Alkohol in gesundheitlich riskanter Form, etwa 1,3 Millionen gelten als alkoholabhängig. Jedes Jahr sterben gemäß des Berichts vom November 2017 rund 20000 Menschen an Folgen von Alkoholmissbrauch. Nur etwa drei Prozent der Erwachsenen leben demnach ganz ohne Alkohol.

„Etwa 10000 Kinder kommen jedes Jahr alkoholgeschädigt auf die Welt, etwa 2,65 Millionen Kinder haben mindestens einen alkoholkranken Elternteil“, so Mortler im Rahmen der Vorstellung des Alkoholatlas’, den das Deutsche Krebsforschungszentrum Heidelberg 2017 veröffentlicht hat. Und: „Das Problembewusstsein ist beim Thema Alkohol nach wie vor zu niedrig.“

Als riskanter Konsum wird in diesem Zusammenhang für Frauen täglich mehr als ein Glas Bier (0,3 Liter) oder Wein (0,1 Liter), für Männer die doppelte Menge genannt. Gemäß des Berichts liegt Deutschland mit einem Konsum von elf Litern Reinalkohol pro Jahr und Person ab 15 Jahren leicht über dem Schnitt der EU-Staaten von 10,6 Litern.

Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen wird seit mehreren Jahren ein geringerer Alkoholkonsum registriert: Nur jeder zehnte Jugendliche im Alter zwischen zwölf und 17 trinkt regelmäßig Alkohol. Vor 15 Jahren seien es fast noch doppelt so viele gewesen. Auch nehmen Jugendliche zunehmend Abstand vom sogenannten Komasaufen.

Einer Therapie unterziehen sich nach Angaben der Drogenbeauftragten etwa zehn Prozent der Alkoholkranken – oft erst nach bis zu 15 Jahren Abhängigkeit.

Selbsthilfegruppen verschiedener Organisationen existieren im Kreis Euskirchen. Einen Überblick gibt unter anderem die Homepage des Kreises unter Gesundheit/Formulare und Merkblätter. (rha)

www.kreis-euskirchen.de

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