Besondere JeckenIn Eiserfey spazieren die Jecken über den leeren Lichterzoch-Weg

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Etwas verloren steht Heinz Heimersheim auf der Kreuzung, wo er normalerweise für die richtige Aufstellung des Lichterzugs sorgt.

Etwas verloren steht Heinz Heimersheim auf der Kreuzung, wo er normalerweise für die richtige Aufstellung des Lichterzugs sorgt.

Mechernich-Eiserfey – Freitag, kurz vor 18 Uhr. Karnevalsfreitag. Die Dämmerung setzt ein.Es ist still in Eiserfey. Kein Trecker ist zu hören, kein Alaaf, keine kölschen Tön. Die Straße ist wie leergefegt. Keine Wagen rollen an, keine Jecken strömen ins Örtchen, kein Lämpchen wird angeknipst. Wo sonst um diese Zeit wuseliges Treiben und Vorfreude auf den Lichterzug herrschen, steht Heinz Heimersheim, der Vorsitzende der KG Feytaler Jecken, ein wenig verloren auf der Kreuzung am Abzweig nach Vussem.

Besondere Jeck I

Was bleibt von dieser eigenartigen Session, in der so viel nicht möglich ist und gleichzeitig so viel möglich gemacht wird? Beantworten kann diese Frage noch niemand.

Eine Idee hat Sabine Haubrichs: ihren Fastelovends-Christbaum. Das schmucke Grün mit all den Lämpchen vor ihrer Haustür ist weiterverwendet worden. Mit rotem und weißem Krepppapier hat sie zum ersten Mal den Karnevalsbaum geschmückt. „Mal sehen“, sagt sie, während Michael Bartsch das eher semi-karnevalistische „O Tannenbaum“ anstimmt. Das könnte beibehalten werden. (rha)

Das ist sein Stammplatz am Karnevalsfreitag, von hier aus sorgt er normalerweise als Zugleiter mit seiner Crew dafür, dass alle an ihren vorgesehenen Platz gelangen und der Zoch starten kann.

An die Kostüme des Lichterzochs erinnert Familie Becker.

An die Kostüme des Lichterzochs erinnert Familie Becker.

Nichts zu tun ist keine Option

Normalerweise. Normal ist dieses Jahr gar nichts. Doch gar nichts tun ist für Vollblutkarnevalisten furchtbar. Auf dem Sofa sitzen, TV- und Streaming-Angebote schauen, grenzt an Folter. Die Mädchensitzung habe sie am Weiberdonnerstag geschaut, sagt Beate Heimersheim: „Es war schrecklich.“

Familieninternes Schunkeln der Löws vor ihrer Haustür.

Familieninternes Schunkeln der Löws vor ihrer Haustür.

Bevor die Flimmerkiste eingeschaltet wird, soll am Lichterzug-Abend ein kleiner Spaziergang den Zochweg entlang unternommen werden – janz leis’ un still, wie dieser Corona-Karneval nun mal ist. Etwas organisieren geht in diesen Zeiten nicht, doch der Flurfunk funktioniert offenbar prächtig. Still und heimlich wird mancherorts überlegt, wie eine kleine, regelkonforme Überraschung möglich sein könnte.

Besondere Jeck II

Orden haben in dieser Corona-Session Seltenheitswert. Keine Sitzungen, keine Tollitäten – die allermeisten Gesellschaften haben gar keine dieser begehrten Sammlerstücke anfertigen lassen. Nicht jedoch Radio Euskirchen: „Mit Abstand am besten“ heißt es auf den 202er Orden. Ganz besondere Jecken sollten es schon sein, die das schmucke Teil erhalten.

Ganz besonders? Da hatte Hannah Schmitz von der Tanzgarde der Feytaler Jecken gleich eine Idee – und schlug kurzerhand Beate Heimersheim als Ordensträgerin vor. Als die ersten Radio-Orden ihre Empfänger fanden, sie aber nichts vom Sender gehört hatte, war Schmitz schon ein bisschen enttäuscht. „Das wird wohl nichts“, habe sie gedacht. Bis am vergangenen Montag das Telefon der angehenden Verwaltungsfachangestellten klingelte – mitten im Online-Unterricht.

Nach Eiserfey sollte auch ein Radio-Orden gehen, erklärte man ihr. Ein Überraschungspäckchen per Post war jedoch nicht in Schmitz’ Sinn. Sie wollte die Reaktion der neuen Ordensträgerin natürlich sehen – und irgendeine Gelegenheit würde sich für die Übergabe schon bieten. Und so „lauerte“ Familie Schmitz am Freitag daheim an der Hauserbachstraße auf die Spaziergänger.

„Für dich ist 365 Tage im Jahr Karneval. Du hast uns so viel ermöglicht“, so Hannah Schmitz bei der ungewöhnlichen Ordenszeremonie in klirrender Kälte auf der nahezu menschenleeren Straße. Es ist eben alles anders in dieser Session, die so von derartigen, kleinen Gesten geprägt ist – Gesten, die Vollblutkarnevalisten um die Fassung bringen und ein paar Tränchen kullern lassen. (rha)

Für Scharleen und Kassandra Becker zum Beispiel. Sie lieben den Karneval, tanzen in den Garden. Tieftraurig ist vor allem Scharleen, die jüngere der Schwestern, dass all das nicht möglich ist. Also hat sie Karnevals-Bilder gemalt. Das erste ganz allein in ihrem Zimmer. Weitere mit der großen Schwester zusammen, die nun in Eiserfey aufgehängt sind. Ein paar Freudentränchen gibt’s bei Scharleen, als die Eltern ihr eröffnen, dass sie den kleinen Abendspaziergang machen und die Mädchen dafür ihren hübschen, leuchtenden Eulen-Kopfschmuck vom Lichterzug 2020 tragen dürfen.

Spaziergang im Kostüm

Freude und Wehmut, die gehen an diesem Abend ohnehin Hand in Hand den Alten Weg hoch. Der bildet – normalerweise – die erste Hälfte des Zugwegs. Kurz vor der Kirchenkurve bildet sich – normalerweise – ein Stau, da alle die schönste Lichterzug-Passage in vollen Zügen genießen wollen. „Hier nehmen wir sonst richtig Schwung“, stellen Heike Wahlen und Anneliese Urfell fest. Letztere hat für den Spaziergang einen Kostümmix gewählt. Die Eulen-Jacke vom vergangenen Jahr, der Rosen-Hut vom Jahr davor. Da sie mit Kostümen ihren Wintergarten dekoriert, sind die auch schnell parat für ein bisschen Fastelovends-Jeföhl.

Dr Zoch kütt: Das Miniaturformat ist die gelungene Überraschung von Familie Stoll.

Dr Zoch kütt: Das Miniaturformat ist die gelungene Überraschung von Familie Stoll.

Nachdenklich ist Beate Heimersheim, wenn sie sinniert, was das doch für ein Wechselbad der Gefühle war 2020. Karneval und Lichterzoch als rauschendes Fest – und wenige Tage später ist die Welt nicht mehr, wie sie war. Corona hat alles im Griff. Als Geschäftsführerin zweier Senioreneinrichtungen hat sie weit mehr als das blutende Jecken-Herz, sondern ist auch ständig um das Wohl von fast 200 Senioren besorgt.

Ein bisschen Fastelovends-Jeföhl hat Anneliese Urfell.

Ein bisschen Fastelovends-Jeföhl hat Anneliese Urfell.

Die sind es auch, die für schöne Momente sorgen – etwa die Dame, die an ihrem 100. Geburtstag mit großer Zuversicht verkündet: „Corona? Das schaffen wir auch!“ Tief berührt haben sie auch Nachrichten von anderen Karnavelisten, gemalte Bilder der Kinder, etwa von der Max-Ernst-Gehörlosenschule, die sich schon auf ihren Platz im Lichterzug 2022 freuen.

Besondere Jeck III

In den Sälen der Region ist Michael Bartsch in der Session fast zuhause. An Trompete und Posaune sorgt der Berufsmusiker für Stimmung – normalerweise. „Ein kleines Vermögen“, sagt er, sei es schon, was da nun fehle.

Trainingsweltmeister im Probenraum zu sein, ist nichts für Vollblutmusiker. Und auch wenn angesichts der Kälte die Ventile der Trompete ständig zuzufrieren drohen, ist es für ihn Ehrensache, an verschiedenen Stationen des Lichterzug-Wegs zu spielen und mit jeder Menge Abstand ein bisschen Fastelovend in Eiserfey erklingen zu lassen. (rha)

2022. Nächstes Jahr. Die Hoffnung eint die Jecken in diesen Tagen. Dass man die Kostümideen umsetzen, durch die Straßen ziehen und vor allem zusammen sein darf. Die Gemeinschaft fehlt Heimersheim so sehr. Auch wenn niemand weiß, wie sich der Karneval entwickelt, ihre Zuversicht ist unerschütterlich: „Es wird sie wieder geben, die Karnevalsmagie in Eiserfey. Wenn die Stääne wieder danze beim Lichterzug.“

Mit Maske und Abstand, durchgefroren und ein bisschen traurig erreichen die Spaziergänger die Römerstube. Still ist es, nix mit After-Zoch-Party. Doch Moment. Plötzlich erklingt Musik, erschallt ein kräftiges, vierstimmiges Alaaf. Dr Zoch kütt! Ein Spielzeug-Zug ist’s, den Georg Stoll mit seinen Kollegen einer Kölner Firma für ein Video gebastelt hat. Seine Tochter Alina hatte die Idee, dass das auch ein toller Corona-Lichterzug wäre.

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Gemeinsam mit Mutter Silvia und Bruder Fabian haben sie ihn mit Eiserfeyer Fotos und Lichterketten ausstaffiert und eine der tollen, kleinen Überraschungen geschaffen, die diesen Corona-Karneval ausmachen.

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