Keineswegs amtsmüdeMichael Stöhr ist seit 30 Jahren Pfarrer

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Seit 30 Jahren ist Michael Stöhr Pfarrer in Roggendorf. Fast von Anfang an dabei sind die Stockpuppen Adeline und Willi, mit denen er im Advent seit vielen Jahren ein Puppenspiel aufführt.

Seit 30 Jahren ist Michael Stöhr Pfarrer in Roggendorf. Fast von Anfang an dabei sind die Stockpuppen Adeline und Willi, mit denen er im Advent seit vielen Jahren ein Puppenspiel aufführt.

Mechernich-Roggendorf – Der Himmel ist grau. Auf der Landstraße rauscht der Feierabendverkehr. Michael Stöhr kramt einen langen Schlüssel aus der Tasche und steckt ihn in das große Holzportal. Die Tür zur evangelischen Kirche. Seiner Kirche. Seit 30 Jahren ist Stöhr hier Pfarrer und wirkt keineswegs amtsmüde. Gerade habe er sich eine neue Kamera gekauft, sagt er. Für Videos. Wie viele andere Kirchen im Kreis will auch er in der Corona-Zeit mehr Online-Angebote schaffen.

1990 wechselte der gebürtige Hesse vom Rheinland in die zum Teil sehr katholische Eifel. „Als ich hier ankam, hatte ich als Pendant fünf Kapläne und zehn Priester“, erinnert er sich. Doch er habe sich sehr schnell heimisch gefühlt.

Der Hauptgrund dafür seien die Menschen gewesen. In der evangelischen Gemeinde habe es damals viele Mitglieder mit einer Fluchtgeschichte aus dem Zweiten Weltkrieg gegeben. Als Enkel einer Sudetendeutschen habe er sich dort gleich angenommen gefühlt. Ein Gefühl, das er weitergeben wollte. Auch deshalb sei er all die Jahre geblieben, sagt er. Um den Menschen in der Gemeinde Konstanz und Verbundenheit zu bieten.

Ein Pfarrer für alle Generationen

Heute rufen ihn Eltern an, die ihn bitten, ihre Kinder zu taufen, weil sie selbst schon von ihm getauft wurden. Er traut Ehepaare, die er schon konfirmiert hat, und viele derer, die ihm das Ankommen damals so leicht machten, hat er schon beerdigt.

Highlights habe es in all den Jahren viele gegeben, sagt er. Das Dietrich-Bonhoeffer-Haus, Kirchenreisen nach Domburg, die Gründung der Tafel in Mechernich und der Mechernich-Stiftung. Er habe immer versucht, langfristige Projekte anzustoßen. Manche musste er auch einstellen. Etwa 15 Jahre lang sei er beispielsweise mit einer Gruppe in Mechernichs französische Partnerstadt Nyons geradelt. Keine Doch irgendwann sei die Gruppe dafür zu alt geworden.

Keine Pflichtveranstaltung

Highlights seien für ihn aber vor allen Dingen auch bestimmte Gottesdienste. Solche, in denen „erlebbar und spürbar wird, ein Gottesdienst muss keine Pflichtveranstaltung sein“. Es brauche gar keinen besonderen Anlass. „Ich persönlich empfinde es als Highlight, wenn mit den Menschen einfach schöne Momente entstehen“, sagt er.

Zusammen arbeiten, Ideen entwickeln und Projekte auf die Beine stellen, das gefalle ihm besonders gut an seinem Job. „Ich bin so ein Club-Typ“, beschreibt er sich. Ähnlich wie in einem Chor gebe es doch erst durch unterschiedliche Stimmen einen harmonischen Klang. Und unterschiedliche Menschen treffe er in seinem Job oft. Manchmal auch kuriose. In seiner Gemeinde habe es mal einen Erfinder gegeben, der wahnsinnig viele Patente angemeldet habe und darüber zum Sozialfall wurde, erzählt er. In den 1990er-Jahren habe Scientology versucht, sich in Kommern niederzulassen. Da habe er sich viel über andere Glaubensgemeinschaften informiert. Inzwischen ist er Beauftragter für Weltanschauungsfragen und Sekten. Mit einem Arbeitskreis treffe er sich dazu regelmäßig in Bonn, und da dort auch immer Vertreter von religiösen Gemeinschaften eingeladen seien, treffe er dort die kuriosesten Gruppen.

Ein Problem mit Andersgläubigen habe er nicht.„Ich sage immer nur, es gibt Differenzen“, berichtet er. Manche Differenzen seien allerdings zu stark. Menschen, die beispielsweise daran glaubten, die Erde sei erst etwa 5000 Jahre alt und das mit der Bibel begründeten, könne er nicht ernst nehmen. Dafür sei er einfach zu sehr Naturwissenschaftler. Denn Stöhr hat auch zwei Semester Biologie studiert. Dann entschied er sich aber doch für die Theologie. Sein nicht ganz so religiöser Vater sei etwas enttäuscht gewesen, erinnert er sich und lacht.

Im Mai ist Stöhr 60 Jahre alt geworden. Eigentlich habe er Geburtstag und Jubiläum groß feiern wollen, doch dann kam Corona. Fünf Jahre will er noch machen, dann geht es in die Rente. Ein Herzensprojekt bis dahin: das geplante Wohnhaus in der Mechernicher Innenstadt mit günstigem Wohnraum und Begegnungszentrum. Und natürlich die Online-Video-Angebote. Dafür müsse er sich allerdings erst einmal mit seiner neuen Kamera auseinandersetzen, sagt er und lacht.

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