Leben mit AutismusFamilie Arns aus Mechernich möchte ihren Sohn versorgt wissen

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Betreuung rund um die Uhr: Manu Arns mit ihrem jüngsten Sohn Leon. Der 18-Jährige ist an frühkindlichem Autismus erkrankt.

Betreuung rund um die Uhr: Manu Arns mit ihrem jüngsten Sohn Leon. Der 18-Jährige ist an frühkindlichem Autismus erkrankt.

Mechernich-Weyer – Wer ein Kind bekommt, durchläuft verschiedene Phasen der Entwicklung - des Kindes und auch der eigenen. Am Ende steht die Selbstständigkeit des Nachwuchses, das Loslassen können und müssen, der Auszug und damit ein neuer Lebensabschnitt für alle. Für Mutter und Vater beginnt eine Zeit, in der sie sich wieder mehr den eigenen Bedürfnissen und Interessen zuwenden können.

Nicht so bei Eltern, die ein Kind haben, das lebenslang auf Unterstützung in allen Bereichen des Lebens angewiesen ist. „Ich bin ein echtes Stehaufmännchen, kämpfe mich durch, aber vor ein paar Jahren bin ich komplett zusammengebrochen, ich konnte einfach nicht mehr“, erzählt Manu Arns, die mit ihren Söhnen Luca und Leon im beschaulichen Eifel-Örtchen Weyer lebt. Luca ist 21, macht gerade seinen Meister im Schreinerhandwerk. Sein jüngerer Bruder Leon hat frühkindlichen Autismus, was bedeutet, dass der 18-Jährige, der nie sprechen gelernt hat, rund um die Uhr versorgt und betreut werden muss. „Leons Vater und ich teilen uns diese Aufgabe. Eine Woche ist er bei ihm, eine bei mir“, erzählt Manu Arns.

„Manchmal fehlt mir die Luft zum Atmen“

Wie soll man den Alltag mit einem Kind wie Leon beschreiben, ohne dass es zu einem vermeintlichen Klagelied wird? Wie soll man Außenstehenden erklären, wie fordernd und kräftezehrend das Leben mit einem 18-Jährigen ist, der den Status des Kleinkindes an kaum einer Stelle verlassen hat? Wie soll man vermitteln, dass man dieses Kind unendlich liebt und dennoch an Grenzen gerät? Dass man Sätze sagt wie „Manchmal fehlt mir die Luft zum Atmen!“ und trotzdem keinen Augenblick missen möchte, den man mit diesem Kind verbracht hat?

Frühe Symptome

Der frühkindliche Autismus gehört zu den schwerwiegenden Formen des Autismus-Spektrums. Betroffene sind in der Sprachentwicklung verzögert, manche sprechen nie.

Auch andere Merkmale von Autismus sind bei Menschen mit frühkindlichem Autismus stark ausgeprägt, beispielsweise Schwierigkeiten mit sozialer Interaktion, eingeschränkte Interessen sowie repetitives Verhalten, also Handlungen, die immer wieder wiederholt werden.

Die Symptome des frühkindlichen Autismus treten in der Regel schon vor dem dritten Lebensjahr auf und bleiben ein Leben lang bestehen. Die Möglichkeiten einer selbstständigen Lebensführung sind bei den Betroffenen stark eingeschränkt. Bei einem bis sechs von 1000 Kindern wird diese tiefgreifende Entwicklungsstörung diagnostiziert. Betroffen sind dabei weitaus mehr Jungen als Mädchen.

Die Wissenschaft hat bislang noch kein Erklärungsmodell liefern können, das vollständig die Entstehung autistischer Störungen erklären kann. (hn)

Manu Arns beschwert sich nicht über dieses Leben, aber sie beschönigt es auch nicht. Ihre Nächte enden immer gegen 3 Uhr. Ab dann dreht sich alles um Leon. Alleine lassen kann sie den Jungen nicht, „selbst wenn ich auf Toilette gehe, nehme ich ihn mit“, sagt sie.

Die Wochentage, an denen Leon bei seinem Vater ist, nutzt die 54-Jährige für Erledigungen wie Einkaufen. Leon mit in den Supermarkt zu nehmen, sei schwierig. „Er ist getrieben davon, Süßes zu essen. Er würde alles anbeißen, was er in die Hände bekommt.“

Lockdown hat nicht nur schlechte Auswirkungen

Die Corona-Pandemie habe vieles verändert im Alltag der Familie Arns. „Aber nicht alles zum Schlechten“, wie Mutter Manu betont. Gerade im ersten Lockdown habe man deutlich spüren können, wie viel entspannter Leon und damit auch der Familienalltag gewesen ist. „Wir waren in diesen Monaten nur hier in Weyer, haben viel Zeit in Ruhe und in der Natur verbracht“, erzählt Manu Arns. Die Auswirkungen waren mehr als deutlich: „Von März bis September hatte Leon keine Schlagphasen.“

Gemeint ist Leons Drang, sich selber ins Gesicht und auf den Kopf zu schlagen, teilweise derart heftig, dass er sich dabei verletzt. „Wenn es ganz schlimm ist, müssen wir ihn auf einem Stuhl fixieren“, sagt die Mutter. Ohne eine richterliche Anordnung ist eine solche Maßnahme verboten, aber aus Gründen des Selbstschutzes hat das Gericht im Fall von Leon zugestimmt. „Wir wissen nicht, warum er das macht, wir wissen nur, dass er es nicht unterdrücken kann, dass er es eigentlich nicht machen möchte“, sagt Manu Arns. Woher sie das weiß? „Wenn es ganz schlimm ist, geht Leon von alleine zu der Schublade, in der wir die Fixiergurte aufbewahren.“

Manu Arns ist eine fröhlich wirkende, resolute Frau, die die schönen Seiten des Lebens nicht aus dem Blick verliert. „Wir haben so viele liebe Menschen um uns herum: Familie, Freunde und auch mein neuer Lebensgefährte, nicht zuletzt die Mitarbeiter das Familienunterstützenden Dienstes der Diakonie Euskirchen, die uns Freiräume verschaffen, und Leons Schulbegleiter“, resümiert Manu Arns. „Wir werden nicht alleine gelassen.“ Auch ihren Arbeitgeber weiß die 54-Jährige sehr zu schätzen: „Er ist wirklich kulant, zeigt so viel Verständnis und kommt mir oft entgegen, wenn es um Leon geht.“

„Ich hoffe, wir wissen ihn eines Tages gut versorgt“

Zurzeit findet wegen der Corona-bedingten Schulschließungen kein Unterricht für Leon statt. Aber er kann in die Notbetreuung seiner Förderschule gehen, was die Eltern sehr entlastet.

Träger gesucht

Um für ihren Sohn und insgesamt sieben weitere Menschen mit Behinderung die Perspektive auf eine langfristige gute Unterbringung zu schaffen, hat Familie Arns besondere Pläne geschmiedet: Im Mechernicher Ortsteil Weyer hat Leons Vater ein Grundstück gekauft, auf das er in Eigenregie ein Haus für eine kleine Einrichtung bauen will.

Leons Vater und Onkel sind selbstständige Bauunternehmer, leiten die Firma Gebr. Arns Bauträger GmbH und bringen entsprechendes Knowhow mit. Zurzeit sucht Familie Arns nach einem passenden Träger, unter dessen Leitung ein solches Wohnhaus für Menschen mit Behinderung geführt werden könnte. Interessenten können sich gerne melden. (hn)

manu.arns66@gmail.com

Eigentlich sollte der 18-Jährige zurzeit Teilnehmer eines Pilotprojekts sein, dessen Ziel es ist, einen sanften Übergang von der Schule in die Behindertenwerkstatt zu gestalten. Doch die Pandemie hat dem einen Strich durch die Rechnung gemacht.

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„Wir wissen nicht, wie Leons Zukunft aussehen wird. Irgendwann wird er gehen müssen, das ist klar und treibt mich oft um“, sagt Manu Arns und fügt an: „Ich hoffe, wir wissen ihn eines Tages gut versorgt.“

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