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Verletzung am BeinSiebenjährige Afghanin zur Operation in Mechernich

Lesezeit 5 Minuten
Das Bein des afghanischen Mädchens wird behandelt von Dr. Herbert Schade, Chefarzt für Kinder- und Jugendmedizin (hinten), und Prof. Dr. Jonas Andermahr, Chefarzt für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie.

Das Bein des afghanischen Mädchens wird behandelt von Dr. Herbert Schade, Chefarzt für Kinder- und Jugendmedizin (hinten), und Prof. Dr. Jonas Andermahr, Chefarzt für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie.

Mechernich – Ohne Familie, Freunde oder Sprachkenntnisse ist die siebenjährige Zahra (Name geändert) in Deutschland. Dafür aber mit der Aussicht auf ein gesundes Bein. Das Mädchen wird im Mechernicher Kreiskrankenhaus operiert – es ist eine Operation, die in ihrer Heimat, in Afghanistan, nicht möglich wäre.

Was genau Zahra zugestoßen ist, das weiß auch Prof. Dr. Jonas Andermahr nicht. Der Chefarzt der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie operiert seit etwa zehn Jahren Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten wie Afghanistan oder Angola. „Das Mädchen hatte in ihrer Heimat eine offene Unterschenkelfraktur“, sagt der Mediziner. Bei der Heilung sei es dann zu einer Knocheninfektion gekommen. „Das ist ein häufiges Krankheitsbild nach einem offenen Bruch in diesen Ländern“, so Andermahr: „Der chirurgische Aufwand für die Behandlung von offenen Brüchen ist sehr hoch, das kann in Afghanistan beispielsweise oft nicht geleistet werden.“ Auch Implantate, etwa aus Titan, die in Deutschland Standard seien, gebe es in derartigen Ländern nicht.

Organisation „Friedensdorf International“ hilft

Aus diesem Grund wurden Zahra und andere Kinder mit der Organisation „Friedensdorf International“ nach Deutschland geflogen. Seit August war das geplant, doch dann kam die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan. Bis November dauerte es – dann konnte der Charterflug stattfinden. Kinder, die beispielsweise kurz vor einer Sepsis stehen, werden sofort auf Partnerkrankenhäuser verteilt, berichtet Raissa Neumann von „Friedensdorf International“. Die anderen Kinder werden zunächst zur Rehabilitation ins Friedensdorf nach Oberhausen gebracht und von dort aus auf die Kliniken verteilt.

Medizinische Versorgung in Deutschland

„Friedensdorf International“

Die Hilfseinrichtung „Friedensdorf International“ mit Sitz in Oberhausen und Dinslaken holt kranke und verletzte Kinder zur medizinischen Versorgung nach Deutschland. Die Kliniken behandeln die Kinder kostenlos – finanziert durch Spenden.

Ein Team des Friedensdorfs fliegt in die Gebiete und entscheidet, ob ein Kind nach Deutschland fliegt. Nur wenn die Behandlung im Heimatland nicht möglich, diese in Deutschland aber vielversprechend ist, es einen Platz in einer Klinik gibt und die Eltern sich selbst keine ausländische Behandlung leisten können, wird der Patient im Friedensdorf aufgenommen.

Nach erfolgreicher Behandlung kehren die Kinder wieder zurück in ihre Familien. (jes)

www.friedensdorf.de

Ihre erste OP, bei der Andermahr die Infektion behandelte, hat Zahra hinter sich. Dafür bohrte der Chefarzt ein Loch in den Knochen, um den Markraum durchzuspülen, säuberte den Knochen und begann mit der Antibiotikabehandlung. Zwei Wochen muss Zahra jetzt warten, bis klar ist, ob Andermahr die Antibiotikabehandlung wiederholen muss oder der erste Versuch angeschlagen hat. Die erste Woche verbringt Zahra im Krankenhaus, bevor sie zurück ins Friedensdorf kann, wo gleichaltrige Kinder wohnen, die ihre Sprache sprechen. Auch die zwei Monate, bis der Knochen gerichtet werden kann, nachdem die Infektion verheilt ist, wird Zahra in Oberhausen leben.

Teils bis zu sechs Monate von Eltern getrennt

„Wir haben über die Jahre versucht, ein System mit Übersetzern aufzubauen“, berichtet Andermahr. Dabei sei es egal, aus welcher Abteilung des Krankenhauses der Dolmetscher kommt, ob aus der Pflege oder dem Labor. „Wir haben 25 Sprachen im Krankenhaus, bisher konnten wir mehr oder weniger alles abdecken. Zur Not mit Händen und Füßen“, berichtet Dr. Herbert Schade, Chefarzt für Kinder- und Jugendmedizin. Über freiwillige Helfer, die sogenannten „Grünen Damen“, versucht das Krankenhaus außerdem eine Eins-zu-eins-Betreuung der Kinder auf die Beine zu stellen und mit den Patienten trotz Sprachbarriere zu spielen. Aufgrund von Corona sei das jedoch derzeit kaum möglich. Stattdessen versucht Erzieherin Darina Banaszynski Zahra ein wenig die Langeweile zu nehmen – zum Beispiel mit ihrem Lieblingsspiel „Mensch ärgere dich nicht“.

Die Behandlung der Kinder habe „eine lange Tradition“, sagt Schade. „Es ist erstaunlich, wie dankbar die Kinder sind, auch wenn sie vieles durch die Sprachbarriere nicht verstehen“, fügt er hinzu. Dass die Jungen und Mädchen bis zu sechs Monate von ihren Familien getrennt leben, sei für viele Kinder kein Problem. „Sie sind sehr selbstständig und überstehen das ganz gut“, so Andermahr. Laut Neumann liegt das vor allem an den Familienstrukturen in den Heimatländern: „Zahra kommt aus einer typisch afghanischen Großfamilie.“ Da sei es normal, dass die Kinder bei anderen Verwandten als den Eltern leben, um beispielsweise in Kabul zur Schule zu gehen.

Kein direkter Familienkontakt während Zeit für OP

Während der Zeit in Deutschland haben die Familien keinen direkten Kontakt zu ihren Kindern. Über den Roten Halbmond, die Partnerorganisation von Friedensdorf International in Afghanistan, können sich die Eltern über den aktuellen Stand informieren. „Alles andere würde das Heimweh verstärken und ist zudem logistisch nicht möglich. Wenn schlechte Nachrichten aus den Kriegsgebieten kämen, müssten wir das mit pädagogisch geschultem Personal aufarbeiten. Und das können wir bei 200 bis 300 Kindern, die zeitgleich in Deutschland sind, nicht leisten“, erläutert Neumann.

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Finanziert wird das Projekt am Krankenhaus Mechernich größtenteils durch die Hilfsgruppe Eifel und den Förderverein des Krankenhauses. Ohne die Unterstützung sei eine solche Behandlung für das Krankenhaus nicht möglich, so Andermahr: „Wir sprechen von Kosten im fünfstelligen Bereich.“ Das Krankenhaus bittet von Spenden an die Kinderstation abzusehen und stattdessen den Förderverein oder die Hilfsgruppe zu unterstützen.

Zum Schutz  von Zahra und ihrer Familie nach der Machtübernahme der Taliban in ihrer Heimat Afghanistan ist ihr Name geändert und ihr Gesicht nicht kenntlich gezeigt.

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