Schleidener bei BundespräsidentenwahlPatrick Schöneborn litt in Flutnacht Todesangst

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Nackte Wände sind das, was Patrick Schöneborn von seiner Wohnung geblieben ist.

Nackte Wände sind das, was Patrick Schöneborn von seiner Wohnung geblieben ist.

Schleiden-Oberhausen. – Den Fraktionsvorsitz der Schleidener SPD hat er nach der Kommunalwahl im Herbst 2020 übernommen, im März seine neue Wohnung im Haus seiner Großmutter bezogen, das Studium der Wirtschaftsinformatik, das er neben seinem Beruf in der IT-Abteilung der Blumenthaler Firma Holtec absolviert, ist halb fertig. Es läuft für Patrick Schöneborn. Bis zum 14. Juli, dem Tag, an dem das Wasser kommt und ihm fast alles nimmt.

Mit den Oberhausener Feuerwehrleuten ist er am 14. Juli seit dem Morgen im Einsatz, als das Wasser am späten Nachmittag steigt und steigt. Kurz macht er eine Einsatzpause, versucht, Dinge aus seiner Wohnung nach oben zur Oma in Sicherheit zu bringen. Laptop, Festplatten, ein paar Bücher und die DVD-Sammlung legt er dort zufällig hoch genug ab. Alles andere in seiner Wohnung und im Erdgeschoss bei der Oma nimmt das Wasser, das aus Rinkenbach und Olef von zwei Seiten angreift.

Dreimal, sagt er, habe er in diesen Stunden Todesangst gehabt. Um das Leben seiner Eltern gefürchtet, die ebenfalls in Oberhausen wohnen und auf dem Speicher ihres Hauses überlebt haben, eingeschlossen von den wütenden Wassermassen. Um das seiner Schwester, bis klar ist, dass sie die Nacht bei der Großmutter verbracht hat. Und ja, auch um das eigene Leben.

Wohnung ist nach der Flut ein Rohbau

Es ist so viel passiert seit dem 14. Juli, Prioritäten verschieben sich. Heute ist seine Wohnung im Rohbauzustand, das Studium unterbrochen, die politischen Ämter sind niedergelegt. Der 28-Jährige lebt in einer neuen Wohnung in Oberhausen, hoch oben auf dem Berg, wo kein Wasser hinreichen kann. Er leidet unter Posttraumatischen Belastungsstörungen, ist nicht so leistungsfähig, hat Schlafprobleme: „So habe ich mir mein Leben nicht vorgestellt.“

Er hat Dinge tun müssen, die bislang fern seiner Vorstellungskraft waren: „Wenn ich eins gelernt habe: Man muss sehr viel Stolz runterschlucken.“ Hilfe anzunehmen, sei ihm so schwer gefallen, da er – auch finanzielle – Unabhängigkeit gewohnt sei. Doch es sei nötig gewesen. Kleidung aus einem Spendenlager annehmen, da ihm nur das geblieben ist, was er am Leib getragen hat. Geld aus einem Moneypool, den Freunde initiiert haben.

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Dankbar sei er, dass ihm manch eine Entscheidung abgenommen worden ist – von einem Kollegen beispielsweise, der ihm in einer Ferienwohnung in Oberreifferscheid ein Übergangsquartier besorgt und ihm gesagt habe, dass er nur den Schlüssel abholen solle. Er hat viele Menschen neu kennengelernt, gesehen, auf wen er sich verlassen kann – und ja, er sei auch von vermeintlichen Freunden bitter enttäuscht worden.

Politische Ämter wegen Flut niedergelegt

Die Baustellen waren und sind nahezu unüberschaubar: Er möchte seine Eltern unterstützen, für die erst jetzt klar ist, dass ihr Haus nicht abgerissen werden muss und die erst jetzt wissen, dass und wie die Versicherung zahlt. Er möchte seiner Großmutter helfen. Auf der Arbeit – der Betrieb in der Dommersbach war ebenfalls von der Flut betroffen – haben er und seine Kollegen alle Hände voll zu tun. „Ich habe überlegt, ob ich mir einen dritten Arm auf der Brust wachsen lassen kann. Aber der will nicht so recht“, sagt er – und kann sein so typisches schelmisches Lachen aufblitzen lassen.

Einen Monat nach der Flut legt er seine politischen Ämter nieder. „Ich mache Politik nicht für mich“, sagt er. Er will sich für die Bürger, für sein Oberhausen einsetzen, und das zu hundert Prozent: „Aber ich kann im Moment nicht für andere da sein.“ Angekreidet wird ihm das nicht – im Gegenteil: Respektvolle Kommentare reihen sich unter seine öffentliche Erklärung.

Schleidener überlegte nach Flut wegzuziehen

Dennoch: Kommt da der Gedanke abzuhauen, einfach wegzugehen? Ja, sagt Schöneborn: „Ich hatte das Bedürfnis, alles hinter mir zu lassen. Die paar Sachen, die ich noch hatte, in einen Bus zu packen und ganz neu anzufangen.“ An der Nordsee habe er sogar schon einen Ort ausgeguckt gehabt, er liebe die See. Doch die Familie, der Ort, die Dorfgemeinschaft haben ihn bewogen zu bleiben.

Und die Feuerwehr, die ihm eine Stütze ist. Die Kameraden, mit denen er in den Tagen und Wochen nach der Flut ohne Unterlass gearbeitet und geholfen hat: „Ohne die Jungs wäre ich draufgegangen. Die haben mich aufrecht gehalten.“ Das Engagement in der Löschgruppe und als Fachbereichsleiter Finanzen im Kreisvorstand der Jugendfeuerwehr will er auf jeden Fall beibehalten.

Am 13. Februar wird Schöneborn einer der 1472 Wahlleute sein, die in Berlin den nächsten Bundespräsidenten wählen. Seine Augen blitzen, wenn er sagt, welch große Ehre das sei: „Ich kleines Eifellicht darf nach Berlin unser Staatsoberhaupt wählen.“ Und wird nachdenklich, da er ja als Helfer und Opfer diejenigen repräsentiert, denen es durch die Flut so ergangen ist wie ihm – darauf hätte er doch verzichten können.

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