Spurensuche in der NS-ZeitHistoriker forschen in Vogelsang nach Nazi-Ordensjunkern

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Dokumente und Fotos zuhauf werten Bodo Lamp (l.) und Stefan Wunsch bei ihren Recherchen aus.

Dokumente und Fotos zuhauf werten Bodo Lamp (l.) und Stefan Wunsch bei ihren Recherchen aus.

Schleiden-Vogelsang – Die Forschung der Historiker nach Tätern, die von den Nationalsozialisten in Vogelsang ausgebildet wurden, erinnert an die Arbeit von Detektiven. „Wenn man über die Ordensjunker forscht, ist das eine bundesweite und internationale Suche nach Infos“, so Stefan Wunsch, Wissenschaftlicher Leiter der NS-Dokumentation Vogelsang. Die Recherche erstrecke sich nicht nur auf Archive in Deutschland und aller Welt, sondern auch auf Prozessakten, Auktionen, Telefonbücher und das Internet.

Wunsch und Archivleiter Bodo Lamp forschen seit Jahren nach Männern, die in den Ordensburgen Vogelsang, Krössinsee und Sonthofen zum Führungsnachwuchs der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) ausgebildet wurden. Unterstützt werden sie dabei auch von den Mitgliedern des Wissenschaftlichen Beirats. „Dem Gremium gehören Professoren von mehreren Universitäten an, die zum Beispiel an ihre Studenten Masterarbeiten vergeben“, sagt Wunsch.

Recherche in verschiedensten Archiven

„Wir haben kein Archivmaterial der Ordensburg Vogelsang zur Verfügung, weil das nach dem Krieg in alle Winde verstreut worden ist“, sagt Wunsch. Bei den Recherchen ist deshalb das Bundesarchiv in Berlin oft erste Anlaufstelle. Dort werden neben dem staatlichen Archivgut zentraler und militärischer Stellen der NS-Zeit auch Unterlagen der NSDAP verwahrt. Dazu gehört die Mitgliederkartei mit rund 12,7 Millionen Karteikarten.

Auch in der Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht in Freiburg werden Wunsch und Lamp häufiger fündig. Gleiches gilt für Staatsarchive wie die in Düsseldorf oder Koblenz. Manchmal wird auch internationalen Gedenkstätten wie Yad Vashem in Jerusalem oder in Osteuropa geforscht.

Auch Briefe sehr wichtig

Daneben sind für die Historiker Fotos und Dokumente von Privatleuten von großer Bedeutung. „Es gibt Besucher, die zu uns kommen und uns Fotoalben und Ordner schenken. Meist geht es darin um ein Familienmitglied, das in Vogelsang war“, sagt Wunsch. Damals sei es durchaus attraktiv gewesen, Ordensjunker zu werden. „Deshalb wurden viele Bilderalben angefertigt.“ Daher hat das Archiv in Vogelsang mittlerweile einen Bestand von mehr als 10 000 Fotos und einen Aktenbestand von gut 20 laufenden Metern.

Besteck, Porzellan und vieles mehr

Für die Dauerausstellung und das Archiv in Vogelsang werden immer wieder historische und auch aktuelle Exponate angeschafft. „Wir beobachten regelmäßig, was auf den Markt kommt“, erklärt der Wissenschaftliche Leiter der NS-Dokumentation Vogelsang, Stefan Wunsch.

Dazu gehören beispielsweise auch Gegenstände und Dokumente aus den Ordensburgen. „Von dem Porzellan und dem Besteck, das es auf Vogelsang in Unmengen gab, ist am Kriegsende fast alles unter die Räder gekommen. Wir haben mittlerweile trotzdem zahlreiche Dinge im Archiv, die wir von Menschen aus der Region geschenkt bekommen haben“, so Wunsch. (wki)

Wertvoll sind für Wunsch und Lamp auch Briefe. „In solchen Dokumenten sind die Junker in ihren Schilderungen wesentlich offener als in offiziellen Schreiben.“ Da erfahren Wunsch und Lamp etwa, dass einige Teilnehmer nicht immer Lust auf die sportlichen Aktivitäten hatten oder ihre Ausbilder nicht ausstehen konnten. Und, bei wem die NS-Ideologie auf fruchtbarem Boden gefallen war.

„Wenn man diese Briefe mit Akten aus Entnazifizierungsprozessen vergleicht, staunt man manchmal Bauklötze“, erklärt Wunsch: „Da kann man lesen, wie stramme Nazis ihren Anteil an Gräueltaten hatten und ihren Einfluss klein geredet haben. Sie sprechen davon, dass sie mal einen Lehrgang in der Eifel besucht haben. Da wurden sich gegenseitig Persilscheine ausgestellt.“

Viele Spuren sehr schrecklich

Die Wahrheit sei aber, dass die Ordensjunker „Täter und Mittäter und keine Mitläufer gewesen sind“. Die etwa 2200 Junker sind laut Wunsch für die Ermordung von rund 300.000 Menschen im Zweiten Weltkrieg verantwortlich.

Trotzdem wurden sie in Entnazifizierungsverfahren zuweilen als Mitläufer eingestuft – wie Hermann H. aus Mecklenburg, der bis zum Gebietskommissar und Gebietsleiter der NSDAP in der Ukraine aufstieg und Propagandareden hielt. Er war nach Kriegsende zwei Jahre interniert. Seine Geschichte und viele weitere haben die Historiker zusammengetragen.

Manches, mit dem sich die Historiker im Rahmen ihrer Arbeit beschäftigen, ist so schrecklich, dass es in der Ausstellung nur mit umfassenden Erläuterungen thematisiert werden kann. „So wie die Geschichte eines jüdischen Jungen, der eine Massenerschießung überlebt hat, weil er verletzt in der Grube lag und so lange gewartet hat, bis das Erschießungskommando weg war. In einem Prozess hat er später gegen einen Gebietskommissar ausgesagt, der in Vogelsang geschult worden war“, so Wunsch. Der Vogelsang-Absolvent unterrichtete nach dem Krieg als Sportlehrer an einem Gymnasium.

Name kann Rolle spielen

Um Nachforschungen zu betreiben, reichen den Historikern oft ein Name und ein Geburtsdatum oder ein Geburtsort. Die Informationen werden wie Puzzleteile zu einem Gesamtbild zusammengefügt. „So können wir herausfinden, wer im Zweiten Weltkrieg wo eingesetzt war und an welchen Gräueltaten wie Massenmorden oder Deportationen jemand beteiligt war.“ Erschwert wird die Arbeit dadurch, dass das Verwaltungspersonal in den Ostgebieten sehr häufig gewechselt hat. Wunsch: „Manch einer wurde schon nach wenigen Monaten wieder versetzt.“

Der Name kann eine Rolle spielen. „Mit der Information Ordensjunker Schmitz alleine kommt man nicht weiter. Anders kann das aber bei seltenen oder ungewöhnlichen Namen aussehen.“ Dann schaut Wunsch auch in Telefonbüchern nach, ob es heute noch Träger dieses Namens gibt. „Wenn wir Nachfahren ermitteln können, werden sie von uns kontaktiert. Manche blocken sofort ab, andere sind sehr aufgeschlossen.“

Manchmal dubiose Anbieter

Viele Gegenstände werden auf E-Bay und anderen Verkaufsplattformen im Internet oder bei Auktionshäusern und Militaria-Messen gehandelt. „So konnten wir beispielsweise die Uniform eines Ordensjunkers erwerben, von dem wir auch einen schriftlichen Nachlass haben“, berichtet Wunsch. Darüber hinaus gebe es aber auch ungewöhnliche Angebote beispielsweise von rechtsextremer Musik, in der Vogelsang vorkommt.

Manche Anbieter befinden sich in einer Grauzone. Dann wird der Kauf für Wunsch zur Gewissensfrage. „Wir haben zum Beispiel mal ein T-Shirt mit der Silhouette der Ordensburg bei einem rechtsextremen Versandhandel entdeckt. Der hat aber nicht geliefert, nachdem er gesehen hatte, wer das T-Shirt kaufen wollte.“

„Unser Ziel ist es, wenn möglich historische Zeugnisse der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ehe sie in einer dubiosen Sammlung von Nazi-Sympathisanten verschwinden“, betont Wunsch. (wki)

Auch die Zeit nach der NS-Herrschaft wird erforscht. Und da hatte Wunsch vor einiger Zeit „einen Glückstreffer“. Er entdeckte im Internet ein Foto, auf dem amerikanische Soldaten in Vogelsang zu sehen waren. Daraufhin nahm der Historiker Kontakt mit dem Eigentümer in Amerika auf und erfuhr, dass dessen Vater Fotograf bei den US-Streitkräften war und zahlreiche Bilder von der Ordensburg hinterlassen hat.

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So erhielt Stefan Wunsch gleich ein ganzes Arsenal interessanter von Bilder. „Wir wussten bis dahin nicht, wer die Sportlerfiguren am Sportplatz von Vogelsang zerstört hatte. Auf einigen Fotos sieht man, dass die Köpfe der Figuren noch zu Füßen der amerikanischen Soldaten liegen. Es liegt also nahe, dass sie die Reliefs zerstört haben.“

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