Unklarheit bei ÄmternJunger Flüchtling in der Voreifel ist nach Rauswurf obdachlos

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Kann die Welt nicht mehr verstehen: Nach seinem Rauswurf ist Saeid Ahmadi nun offiziell obdachlos. Vorübergehend lebt er einer behindertengerechten Ferienwohnung.

Kann die Welt nicht mehr verstehen: Nach seinem Rauswurf ist Saeid Ahmadi nun offiziell obdachlos. Vorübergehend lebt er einer behindertengerechten Ferienwohnung.

  • 2015 ist Saeid Ahmadi als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling aus Afghanistan nach Mechernich gekommen.
  • Weil er im Mai 21 Jahre alt geworden ist, darf er nicht mehr in der Jugendhilfe bleiben – und wurde aus der Unterkunft herausgeworfen, in der ihn das Kölner Jugendamt untergebracht hat.
  • Während das Amt betont, ihn informiert zu haben, spricht Ahmadi davon, ihm sei eine Sicherheit bis zum Ende des Schuljahres zugesagt worden. Wie geht es mit ihm weiter?

Mechernich-Schaven – Wie es dazu kommen konnte, dass Saeid Ahmadi seit vergangenen Freitag offiziell obdachlos ist, ist eine lange und teilweise komplizierte Geschichte.

Der heute 21-jährige Flüchtling aus Afghanistan kam im September 2015 nach Deutschland und wurde als unbegleiteter Minderjähriger vom Jugendamt der Stadt Köln im Anna-Stift in Mechernich-Schaven untergebracht. Er besuchte zunächst die Internationale Förderklasse am Thomas-Eßer-Berufskolleg (TEB), wechselte dann in die Berufsfachschule I/Gesundheit und Soziales. Im Sommer will Saeid Ahmadi dort seinen Hauptschulabschluss machen. Die Klassenlehrerin ist sicher, dass er das auch schaffen wird.

Ein folgenschwerer Unfall verhinderte, dass dies schon früher geschehen konnte: Im Mai 2016 fiel Saeid Ahmadi in der evangelischen Jugendhilfeeinrichtung in Schaven aus dem Fenster. Er erlitt eine Querschnittslähmung und sitzt seither im Rollstuhl (siehe „Schwerer Unfall“).

Schwerer Unfall

Lange Krankenhaus- und Reha-Aufenthalte führten dazu, dass Saeid Ahmadi nach seinem Fenstersturz das Schuljahr wiederholen musste. „Seine Behinderung führt auch im Alltag immer wieder zu Unterrichtsversäumnissen“, so seine Lehrerin Maria Ben Jannet. Im vergangenen Jahr etwa habe er aufgrund eines zu kleinen Rollstuhls ein Druckgeschwür am Bein entwickelt und musste stationär aufgenommen werden. (hn)

Am 15. Mai wurde Saeid Ahmadi 21 Jahre alt. „Meine Ansprechpartnerin beim Jugendamt Köln hat mir versichert, dass ich noch bis zum Ende des Schuljahres in der Jugendhilfe bleiben und auch solange in der Einrichtung wohnen kann“, erklärt der junge Mann. Das Jugendamt Köln dementiert das.

Man habe Saeid Ahmadi bei Hilfeplan-Gesprächen im Januar und im April dieses Jahres klargemacht, dass mit seinem 21. Geburtstag die Jugendhilfe enden werde, sagt Klaus-Peter Völlmecke, stellvertretender Leiter des Jugendamts Köln. Einen schriftlichen Bescheid darüber habe er nie bekommen, behauptet Ahmadi. Protokolle der Hilfeplan-Gespräche, so Völlmecke, würden immer auch den Jugendlichen ausgehändigt.

Mechernicher Ordnungsamt nach Ende der Jugendhilfe zuständig

Nach Darstellung des jungen Mannes habe er am 3. Mai 2019 telefonisch von seiner zuständigen Sozialarbeiterin erfahren, dass die Jugendhilfe nun doch am 15. Mai ende. Am 13. Mai sei eine Mitarbeiterin des Anna-Stifts mit ihm zum Jobcenter nach Mechernich gefahren, um dieses über das Ende der Jugendhilfe in Kenntnis zu setzen.

Die Jugendeinrichtung setzte sich Anfang vergangener Woche auch mit dem Mechernicher Ordnungsamt in Verbindung, das zuständig ist, wenn die weitere Unterbringung eines Bewohners ungeklärt ist: „Ich habe darauf hingewiesen, dass in Mechernich keine Flüchtlingsunterkunft rollstuhlgerecht ist. Dennoch haben Mitarbeiter der Jugendhilfeeinrichtung Saeid Ahmadi zwei Tage nach seinem 21. Geburtstag zur Unterkunft Peterheide II gebracht und ihn mehr oder weniger da stehen lassen“, so Peter Kern, Leiter des Ordnungsamtes. Er habe daraufhin alles Mögliche versucht, jedoch sei es freitagnachmittags schwierig, in Behörden noch jemanden zu erreichen.

St.-Anna-Stift verweigerte die Wiederaufnahme

„Ich habe keinen anderen Ausweg gesehen, als gegenüber der Leitung des Anna-Stifts mündlich eine Ordnungsverfügung auszusprechen“, so Kern. Damit könne man behördlicherseits einen Mieter wieder in die Wohnung einweisen lassen, sofern ansonsten Obdachlosigkeit drohe. „Ich habe auch darauf verwiesen, dass die Kosten der Unterbringung, die nur bis Montag dieser Woche dauern sollte, von uns getragen werden.“ Die Einrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge habe sich dennoch standhaft geweigert, Ahmadi vorübergehend wieder aufzunehmen.

„Schließlich habe ich mir sogar die Amtshilfe der Polizei geholt, aber es nutzte nichts“, erzählt Kern. Im Gegenteil: Anstatt der Anweisung nachzukommen, habe die Verwaltung des Anna-Stifts ein Hausverbot gegen alle Beteiligten ausgesprochen.

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„Auf Anraten der Polizei sind wir abgezogen. Man hätte sich nur mit Gewalt Zutritt zu der Einrichtung verschaffen können“, so Kern. Ein Maß an Eskalation, das man nicht heraufbeschwören wollte. Offiziell ist Ahmadi nun obdachlos – und er versteht die Welt nicht mehr. „Ich habe nichts Schlimmes getan“, versichert er.

Mit dem Gesetz sei er noch nie in Konflikt geraten, in der Schule, so seine Klassenlehrerin Ben Jannet, habe er einen guten Ruf. „Er ist immer freundlich und höflich und ja, manchmal auch altersgemäß kompliziert: Er kann diskutieren, wenn ihm etwas nicht passt. Aber man kann mit ihm immer gut ins Gespräch kommen.“

Widersprüchliche Aussagen zur Motivation Ahmadis

Widersprüchlich sind die Aussagen, die Ahmadis Motivation betreffen, die letztlich aber darüber entscheidet, ob ein Jugendlicher weiterhin die Unterstützung der Jugendhilfe bekommt, die in Härtefällen bis zum 27. Lebensjahr ausgeweitet werden kann: Klassenlehrerin Ben Jannet spricht von einem jungen Mann, der gerne in den Unterricht kommt, seinen Schulabschluss schaffen wird und das Zeug hat, seinen Traum vom Buchhalterberuf zu verwirklichen. Das Jugendamt Köln hingegen spricht von häufigen Fehlzeiten, einem gefährdeten Abschluss und mangelnder Bereitschaft zur Mitwirkung. „Wir haben unseren Job getan, bezogen auf den Hilfeverlauf“, versichert Klaus-Peter Völlmecke.

Kann die Welt nicht mehr verstehen: Nach seinem Rauswurf ist Saeid Ahmadi nun offiziell obdachlos. Vorübergehend lebt er einer behindertengerechten Ferienwohnung.

Kann die Welt nicht mehr verstehen: Nach seinem Rauswurf ist Saeid Ahmadi nun offiziell obdachlos. Vorübergehend lebt er einer behindertengerechten Ferienwohnung.

Der stellvertretende Jugendamtsleiter verweist auch darauf, dass man dem Jugendlichen mit besonders viel Herzblut unterstützt habe. Nach seinem Unfall im Anna-Stift habe man ihm im August 2017 bis zum 21. Lebensjahr die Jugendhilfe zugesagt. „Normalerweise wird das nicht für so einen langen Zeitraum festgelegt“, so Völlmecke. Auch habe man damals die Örtlichkeit für Ahmadi behindertengerecht umbauen lassen, so dass er dort wohnen konnte.

Ordnungsamtsleiter Kern hat noch keine Möglichkeit gefunden, den 21-Jährigen langfristig unterzubringen. Für ein paar Tage kann Saeid Ahmadi nun in einer behindertengerechten Ferienwohnung bleiben, aber die Zeit läuft. Kern: „Wir versuchen in alle Richtungen, für den jungen Mann eine Lösung zu finden.“

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