Nach dem AbiJonas aus Weilerswist macht eine Ausbildung zum Tätowierer

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Seinem Chef Phil Breuer hat Tätowier-Azubi Jonas Borkhoff einen Tiefseefisch unter die Haut gezaubert.

Seinem Chef Phil Breuer hat Tätowier-Azubi Jonas Borkhoff einen Tiefseefisch unter die Haut gezaubert.

Weilerswist – Jetzt bloß keinen Fehler machen. Gleich wird Jonas Borkhoff sein erstes „offizielles“ Tattoo stechen. Auf der Liege vor ihm liegt sein Chef Phil Breuer bereit. Den Oberkörper hat der schon freigemacht. Die Tätowiermaschine surrt leise.

Der 19-Jährige hat sich für eine ungewöhnliche Ausbildung entschieden. Die Mehrzahl seiner Altersgenossen bevorzugt laut Statistischem Bundesamt eher die gängigen Varianten wie Kaufmann im Einzelhandel, Verkäufer oder Kraftfahrzeugmechatroniker. Borkhoff dagegen will Tätowierer werden.

Nach dem Abitur und einem mehrmonatigen Urlaub in Irland, bei dem er die Insel mit dem Fahrrad erkundet hat, bewarb er sich auf eine Anzeige der Tattoo-Bar in Weilerswist. Deren Inhaber suchte einen Azubi. Die Ausbildung sei zwar nicht staatlich anerkannt, dennoch ist Borkhoff sicher: „Das ist mein Weg.“

Was fasziniert ihn daran? „Die Haut als Leinwand finde ich spannend“, sagt er. Und räumt auch gleich mit einem verstaubten Vorurteil auf. Das Bild des typischen „Motorrad-Rocker-Tätowierers“ sei absolut veraltet. Tätowieren entwickle sich immer mehr zu einer ernstzunehmenden Kunstform. Der Auszubildende wirkt in der Tat wie der nette Schwiegersohn von nebenan.

Bevor er aber auf die Kundschaft losgelassen wird, übt er erst mal im Trockenen auf Kunsthaut. „Dafür nutzt man Schweinehaut, die man beim Metzger bekommt“, berichtet Borkhoff. Um den Formen, Kurven und Biegungen des Körpers nahe zu kommen, verzierte er auch süße Orangen mit Stichen. „Es ist ganz lehrreich, mal an einem runden Körper zu tätowieren“, weiß er jetzt: „Ich muss mir ehrlich eingestehen, dass es schwerer ist, als ich mir das vorgestellt habe.“

Wenn Borkhoff erzählt, ahnt man schnell, dass Tätowieren eine Wissenschaft für sich zu sein scheint. Wie tief und in welchem Winkel muss man stechen? Welche Nadel ist die richtige (denn es gibt ein riesiges Repertoire)? Und vor allem: Wie dehnbar ist die Haut? Borkhoff weiß: „Die Haut muss gespannt sein beim Tätowieren. Sonst tanzt die Nadel auf der Haut nur herum.“

Schnödes Kopieren von Tattoo-Motiven ist unter den Könnern des Fachs auf jeden Fall verpönt. Wer sich tätowieren lässt, legt Wert auf Individualität. „Wenn das Motiv bei Google auf Seite eins ist, sollte man es sich nicht tätowieren lassen“, rät Phil Breuer. Wichtig sei, bei der Auswahl der Motive langfristig zu denken. Was einem mit 18 gefalle, finde man mit 40 vielleicht nur noch peinlich. Einen filigranen Tiefsee-Angler-Fisch will der Azubi seitlich am Brustkorb des Chefs verewigen. Die Motive zeichnet und entwirft Jonas selbst. Täglich nimmt er dafür seinen Block zur Hand. Für seine Zukunft hat er schon große Pläne. Mit seinem eigenen Stil will er sich selbstständig und einen Namen in der Tattoo-Szene machen. Eine Auswahl seiner „Wanna-Dos“ prangen an den lilafarbenen Wänden in der Bar. So werden die Lieblingsmotive bezeichnet, die der Tattoo-Künstler gerne unter die Haut bringen würden.

Doch die Konkurrenz schläft nicht. Die Berufsbezeichnung des Tätowierers ist auch nicht geschützt. „Theoretisch hätte er auch einfach eine Tattoo-Maschine bei Ebay bestellen und anfangen können. Und gucken, wie lange die Kundschaft kommt“, sagt Phil Breuer.

In Weilerswist wird dagegen Wert auf eine fundierte Ausbildung gelegt. Jonas ist bereits der dritte Azubi. Seine Ausbildung dauert ein Jahr. Dabei lernt er auch den Umgang mit den Kunden, die Motivwahl-Beratung und die Kostenkalkulation. Die Hygienerichtlinien in- und auswendig zu kennen, sei Voraussetzung, denn „man arbeitet wie ein Chirurg an der offenen Haut“, so Jonas.

Sich ein Tattoo stechen zu lassen, sei längst nicht mehr verrucht, sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Zu den Kunden gehörten Menschen im Alter von 18 bis 85 Jahren, vom Richter bis zur Hausfrau, . Doch man muss auch tief in die Tasche greifen. „Tattoos sind Luxus“, sagt Borkhoffs Chef: „Wenn jemand einen tätowierten Arm hat, kostet das genauso viel wie eine Uhr von Rolex.“

Wer ein Tattoo haben möchte, muss allerdings leiden. Nadelstiche unter die Haut tun ganz schön weh. Phil Breuer kennt das schon. Schließlich ist sein Arm über und über verziert mit Jurassic-Parc-Motiven, dem Dinosaurier-Kino-Kassenschlager aus den 1980er-Jahren. „Ich stand da seit Kindheitstagen drauf“, verrät er. Und so ist das eben: Tattoos – ob schwarz-weiß oder bunt – erzählen eine Menge über den Menschen. Manchmal ganze Geschichten.

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