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Aus Koma erwacht – ohne BeineFußballer Ibrahim kämpft sich zurück ins Leben

Lesezeit 6 Minuten
Durch eine Blutvergiftung wäre Ibrahim Khaled fast ums Leben gekommen. Er verlor beide Beine, nicht aber seinen Lebensmut und seinen Kampfgeist. Nächstes Jahr will er wieder laufen können.

Durch eine Blutvergiftung wäre Ibrahim Khaled fast ums Leben gekommen. Er verlor beide Beine, nicht aber seinen Lebensmut und seinen Kampfgeist. Nächstes Jahr will er wieder laufen können.

Weilerswist-Hausweiler – Dass Ibrahim Khaled noch lebt, ist ein Wunder. „Die Ärzte hatten mich abgeschrieben, mir eine nullprozentige Überlebenschance gegeben“, sagt der 24-Jährige. Die Diagnose: schwerer septischer Schock im Endstadium und multiples Organversagen. Doch Khaled kämpfte, so wie er es auf dem Fußballplatz gelernt hatte – Aufgeben war nie eine Option. Alles zu geben, das war auch jetzt nach der Blutvergiftung die einzige Chance, als sein Leben am seidenen Faden hing.

17. November 2015, 4.10 Uhr: Dieses Datum hat sich unauslöschlich ins Gedächtnis seiner Mutter Amira eingebrannt. Mitten in der Nacht erhielt die gebürtige Libanesin von der Freundin ihres Sohnes die Nachricht, dass es dem damals 21-Jährigen sehr schlecht gehe und sie den Rettungsdienst alarmiert habe.

Zwei Tage zuvor hatte Ibrahim Khaled zum Spiel seiner Fußballmannschaft gewollt. Doch der Torwart sagte wegen einer Magen-Darm-Grippe ab. Einen Tag später kam eine schwere Mandelentzündung hinzu. Ibrahim weiß nur noch, dass er Antibiotikum verschrieben bekommen und es nach Rezept eingenommen hat. „Bereits im Marien-Hospital haben die Ärzte um das Leben meines Sohns gekämpft“, weiß Mutter Amira heute. Die Zeit der Ungewissheit – der blanke Horror. In den Morgenstunden des 17. November 2015 wurde Ibrahim in die Uni-Klinik nach Köln verlegt. In Euskirchen konnten die Ärzte nichts für ihn tun. Doch auch in Köln standen die Experten vor einem Rätsel. Der ehemalige Marienschüler lag zu diesem Zeitpunkt bereits im Koma, sein Zustand war kritisch. „Die Ärzte haben mir gesagt, dass sie so einen Fall einmal alle fünf Jahre behandeln“, sagt Mutter Amira.

Der Sport hat mich gerettet

Tag und Nacht saß sie am Bett ihres Sohnes. Sie sah, wie sich seine Extremitäten Tag für Tag dunkler färbten, bis sie schwarz waren. Außer Lunge und das Herz hatten alle Organe aufgehört zu arbeiten. „Dass ich viel Sport gemacht habe, hat mir das Leben gerettet“, ist der 24-Jährige sicher. Topfit war er, bevor sich sein Leben so dramatisch änderte. „Ich habe noch die Aufnahmeprüfung für den Polizeidienst absolviert“, sagt er. Die Zusage kam, während er im Koma lag, erzählt seine Mutter.

Ibrahims Zustand verschlechterte sich weiter, bis eine Entscheidung getroffen werden musste. Die Nachricht, dass das Leben des jungen Euskircheners nur zu retten sei, wenn beide Arme und Beine amputiert würden, war für die Eltern ein Schock. „Ich habe viel geweint. Aber eine Träne hat niemand bei mir gesehen. Der Schmerz war innerlich“, sagt Amira Khaled.

Sieben Stunden operiert

Immer wieder habe sie die Ärzte angefleht, alles zu versuchen, dass ihr Sohn wenigstens seine Arme behalten könne. Mittlerweile war Ibrahim in die Klinik in Köln-Merheim verlegt worden. Sieben Stunden wurde er dort am 7. Dezember 2015 von Spezialisten operiert. „Sie haben ganze Muskelstücke aus den Unterarmen entfernt, sie ersetzt, Nerven verlegt, alles gegeben, um die Arme zu retten. Zum Glück haben sie es geschafft“, erzählt die Mutter von drei Kindern. Ibrahims Geschwistern sagte sie lange nichts vom Schicksal des großen Bruders, der beide Beine verloren, den Kampf seines Lebens aber gewonnen hatte. Nach der Operation lag der Ex-Fußballer des ETSC noch bis Mitte Februar 2016 im künstlichen Koma. Erst während der Reha in Hilchenbach realisierte er, dass er nie wieder das Leben führen wird, das er zuvor hatte. Noch zweimal kam er auf die Intensivstation, weil er wieder ein Antibiotikum nicht vertragen hatte.

„Natürlich denkt man sich »Scheiße«. Aber im nächsten Augenblick ist man froh, dass man lebt und versucht, das Beste aus der Situation zu machen“, sagt Ibrahim, der seitdem hart daran arbeitet, wieder mit zwei – wenn auch künstlichen – Beinen im Leben zu stehen. Dreimal pro Woche fährt ihn seine Mutter nach Troisdorf.

Blutvergiftung

Eine Blutvergiftung (Sepsis) beginnt mit einer Infektion – beispielsweise einer eitrigen Wunde oder einer Lungenentzündung. Doch auch andere Infekte sind mögliche Auslöser. In der Regel sind bakterielle Erreger die Ursache, Viren oder Pilze hingegen selten.

Das Immunsystem reagiert auf die Infekte so ungünstig, dass es den Körper schädigt, statt ihn zu schützen. Die Folge ist im schlimmsten Fall ein Organversagen, das tödlich enden kann.

Die ersten Anzeichen einer Sepsis können vielfältig sein. Charakteristische Symptome sind eine schnelle, flache Atmung, niedriger Blutdruck und ein beeinträchtigtes Bewusstsein. Aber auch hohes Fieber und Schüttelfrost können auf eine Blutvergiftung hindeuten. (tom)

Dort lernt er unter professioneller Betreuung, auf seinen Prothesen zu gehen. „Ich habe zwei unterschiedliche, weil ein Bein einige Zentimeter unterhalb des Knies und das andere direkt unter der Kniescheibe amputiert wurde“, berichtet Ibrahim, der von Euskirchen ins Elternhaus nach Hausweiler gezogen ist.

 „Ich bin geistig topfit“

Dort ist alles so eingerichtet worden, dass er täglich an sich arbeiten, seinen körperlichen Zustand verbessern kann. Dabei helfen auch Ergo- und Physiotherapeuten und eine Logopädin, die mehrmals in der Woche nach Hausweiler kommen.

Durch die Zeit im Koma haben sich Muskeln zurückgebildet. Überhaupt hat das Schicksal den 24-Jährigen äußerlich stark gezeichnet. Der Oberkörper ist übersät mit Narben von den Hauttransplantationen und Operationen. Die Befürchtung, dass die lange Zeit im Koma Schäden im Gehirn angerichtet haben könnte, bewahrheitete sich nicht. „Ich bin geistig topfit. Ich spreche immer noch Arabisch, Deutsch, Englisch und Platt – wenn auch noch etwas langsamer“, sagt der 24-Jährige.

Einmal habe ihn eine Psychotherapeutin besucht. „Sie hat schnell eingesehen, dass sie mir nicht zu helfen braucht. Ich habe großen Lebensmut und Ziele“, sagt der Bayern-München-Fan: „Ich würde mir mehr Unterstützung durch die Krankenkasse wünschen. Leider dauert es mit manchen Bescheiden lange.“

Selbstständig laufen bis zum 25. Geburtstag

Bis zu seinem 25. Geburtstag, den er am 20. April 2019 feiert, will er wieder selbstständig laufen können – es wäre verwunderlich, wenn er das Ziel bei seinem Ehrgeiz und Lebenswillen nicht erreicht. Auch für die Zeit danach gibt es Pläne: studieren wolle er, und mal ein Fußballspiel in der Allianz-Arena besuchen.

Zu seinem ersten großen Ziel soll auch eine App helfen, mit der er seine rechte Prothese steuern kann, die in Markenschuhen stecken. Die habe er sich extra gekauft. Schließlich müsse auch ein 24-Jähriger im Rollstuhl gut aussehen, sagt er schmunzelnd. Wichtiger als die Schuhe sei aber die Prothesen-App auf seinem Smartphone. „An der kann ich einstellen, ob ich eine Leiter hochgehe oder mich bücke. Die Prothese unterstützt mich dann dabei“, sagt der ehemalige Torwart.

Er sei zwar noch weit davon entfernt, eine Leiter hochzugehen, doch er müsse ja Pläne haben, sagt Ibrahim lächelnd mit einer lebensbejahenden Art, die ansteckt. Nur als seine Mutter erzählt, wie stolz sie auf ihn sei, verschwindet das Lächeln kurz. Es kullern ein paar Tränen. Es seien diese Momente, die ihn bestärkten, noch härter an sich zu arbeiten und wieder am Leben teilzunehmen, sagt er. Aufgeben sei eben keine Option.

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