„Tabu des Sterbens durchbrechen“Oberarzt Dr. Christoph Klein kritisiert Entscheidung

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Nach der Entscheidung aus Karlsruhe dürfen Patienten, die sterben wollen, dafür die Hilfe anderer in Anspruch nehmen.

Nach der Entscheidung aus Karlsruhe dürfen Patienten, die sterben wollen, dafür die Hilfe anderer in Anspruch nehmen.

Oberberg/Karlsruhe – Das Bundesverfassungsgericht hat das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt. Was bedeutet das in der Klinikpraxis? Darüber sprach der Intensivmediziner und künftige Palliativmediziner Dr. Christoph Klein vom Klinikum Oberberg mit Jens Höhner.

Wie bewerten Sie den Entscheid, das Verbot zu kippen?

Insgesamt sehe ich dies kritisch. Grundsätzlich ist das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und demzufolge auch ein selbstbestimmtes Sterben im Sinne des Grundgesetzes unumstößlich und zu begrüßen. Es müssen aber klare Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für den Fall der Beihilfe zum Suizid vom Gesetzgeber – etwa Notwendigkeit einer Beratung, Wartefristen, fachliche und strukturelle Voraussetzungen der Beteiligten – geschaffen werden, um die zunächst weiterbestehenden Unklarheiten und Unsicherheiten zu adressieren.

Ob ein Verein oder eine Organisation, die für die Legalisierung der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid eintritt, dies nur aus Überzeugung tut oder ob vielleicht nicht doch auch monetäre Gründe eine Rolle spielen, sollte kritisch hinterfragt werden. Somit darf man gespannt sein, wie man diesem möglichen Hintergrund entgegentreten kann.

Das ist der praktische Hintergrund. Aber löst diese Entscheidung auch das Dilemma, in dem Ärzte bisher möglicherweise gesteckt haben?

Die Beihilfe zum Suizid ist meiner Meinung nicht das vordringliche Problem und betrifft nicht den größten Teil der Menschen und schwerkranken Patienten. Vielmehr sollte meiner Meinung nach offensiver diskutiert werden, warum ein Patient lieber sterben möchte als leben. Sollte nicht viel mehr Energie, Ressourcen und Aufmerksamkeit in die Ermöglichung eines würdevollen und selbstbestimmten Lebens bis hin zum Tode auch bei schwerer Krankheit investiert werden? Hier gilt es mehr Aufklärungsarbeit zu leisten. Diesem Ziel haben sich zum Beispiel die Palliativmedizin und die Hospizarbeit verschrieben.

Inwiefern könnte diese Entscheidung Einfluss auf Ihren Klinikalltag haben?

Wahrscheinlich wird es zunächst keine großen Auswirkungen geben. Zunächst müssen durch den Gesetzgeber die Bedingungen und Voraussetzungen zu einer solchen Handlung formuliert werden. Solange keine Klarheit über Verfahrensnotwendigkeiten besteht, ändert sich eher nichts. Denkbare wäre aber eine zunehmende Thematisierung der Beihilfe zum Suizid durch Patienten und vielleicht auch konkrete Anfragen dazu.

Waren Sie in der Vergangenheit damit konfrontiert? Kennen Sie Fälle aus Ihrem beruflichen Umfeld?

Erfreulicherweise war ich bisher persönlich noch nicht ernsthaft mit diesem Thema Beihilfe zum Suizid konfrontiert und auch aus meinem beruflichen Umfeld ist mir keine ernsthafte Anfrage bewusst. Vielmehr geht es in unserem intensivmedizinischen Alltag immer wieder darum, ob ein Patient wohl intensivmedizinische, invasive, lebenserhaltende Maßnahmen um jeden Preis wünschen würde. Leider ist oftmals keine klare Meinung oder Haltung der Patienten zu eruieren und auch Angehörige sind mit diesen Fragen oft überfordert, sodass unter Umständen eine „Übertherapie“ entsteht und Patienten in eine Situation geraten, die sie für sich selbst nicht gewünscht hätten.

Es gilt, eine gewisse Tabuisierung des Sterbens zu durchbrechen. Mehr Beschäftigung damit und den Möglichkeiten der ganzheitlichen Betreuung in der Palliativmedizin würde viel Übertherapie und daraus eventuell resultierendes Leiden reduzieren. Es muss klar sein, dass – sollte keine kurative Therapie mehr möglich sein im Rahmen der Palliativtherapie – ein würdevolles und selbstbestimmtes Leben bis zum Tod durchaus möglich ist.

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Wären Sie selbst dazu bereit?

Mein Selbstverständnis als Arzt bedingt, dass ich meinen Patienten sowohl im Guten als auch in schweren Lebenslagen mit aller Kraft beistehen will. Dies beinhaltet auch den Beistand in hoffnungslosen Situationen oder beim Sterben in würdevoller und möglichst selbstbestimmter Art und Weise. Aus persönlichen Gründen würde ich mich einer Beihilfe zum Suizid eher nicht zur Verfügung stellen wollen.

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