„Wir sind schon abgehängt“Michael Schwertel sorgt sich um Zukunft des Oberbergischen

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Michael Schwertel zuhause

Mit dem Thema Digitalisierung kennt sich Michael Schwertel bestens aus.

  • In unserer Reihe „Über Wirtschaft reden“ spricht Frank Klemmer mit Prof. Michael Schwertel.
  • Der Medien-Experte warnt, dass der Oberbergische Kreis bald von der digitalisierten Welt abgehängt sein könnte.
  • Das muss endlich getan werden, damit auch der Nachwuchs auf lange Sicht in der Region bleibt.

In unserer Reihe „Über Wirtschaft reden“ spricht Frank Klemmer mit Prof. Michael Schwertel über die Zukunft der Alltagswelt und warum das Oberbergische eine Lücke schließen muss.

Herr Professor Schwertel, Hand aufs Herz: Wie viele E-Scooter haben Sie bei sich zu Hause in Dickhausen schon vor der Haustür langfahren sehen?

(grinst) Natürlich keinen einzigen. Aber das ist an sich noch kein Problem. Ich muss ja nicht unbedingt mit dem E-Scooter durch Dickhausen fahren – vielleicht noch nicht mal durch Waldbröl oder Wiehl. Vielleicht ist der E-Scooter, so wie er jetzt in den Großstädten eingesetzt wird, in unserer Gegend noch nicht einmal das perfekte Fortbewegungsmittel in unserer hügeligen Landschaft. Aber es geht ums Prinzip.

Um welches Prinzip? Warum meinen Sie, dass fehlende E-Scooter im Oberbergischen trotzdem ein Indiz für ein wachsendes Problem sein kann?

Es ist ein gutes Beispiel. Es geht darum, dass wir und vor allem unsere Kinder das alles gar nicht können: irgendwo am Straßenrand stehen und online mal eben schnell einen E-Scooter bestellen, mit dem ich dann vom einen Ort zum anderen fahre und ihn dort einfach stehen lasse. In den Großstädten gehört das inzwischen zum Stadtbild – und zur Erfahrungswelt der jungen Menschen dort. Und wir im Oberbergischen – vor allem unsere Kinder – kennen so etwas gar nicht und staunen Bauklötze, wenn wir nach Köln kommen und die E-Scooter an uns vorbeifahren.

Ich verstehe Sie richtig: Die E-Scooter sind ein Beispiel, eigentlich geht es um die gesamten Trends eines digitalisierten Alltags, die am Oberbergischen und jungen Oberbergern vorbeilaufen könnten?

Genauso ist es, und das alles nur, weil wir es in den vergangenen zehn bis 15 Jahren versäumt haben, die notwendige Infrastruktur bei der Versorgung mit einem schnellen Internet zu schaffen. Erst jetzt ist viel vom Ausbau der Breitbandversorgung auch im Oberbergischen die Rede. Auch jetzt investieren wir bundesweit aber nur einen Bruchteil dessen, was in den Verkehr fließt, in unsere digitale Infrastruktur. Das ist meines Erachtens fatal.

Das klingt, als hätten Sie Sorge, Oberberg könnte im Zeitalter der Digitalisierung abgehängt werden.

Besser gesagt: Wir sind schon abgehängt. Ich habe drei Kinder, die hier aufwachsen, und mache mir wirklich große Sorgen, was wir denen in Zukunft hier bieten. Die Frage ist deshalb eigentlich nicht, wie weit wir zurückliegen, sondern ob wir diese Lücke überhaupt noch schließen können.

Gilt denn nicht auch für andere Gegenden abseits der Ballungsräume?

Natürlich gilt das für ganz Deutschland – vor allem internationalen Vergleich zu Gegenden wie in Asien. Aber im Oberbergischen finde ich es besonders schlimm, vielleicht auch weil ich viel unterwegs bin, hier aber lebe und hier meine Kinder aufwachsen. Und weil ich mir hier den Mund fusselig geredet habe, dass wir etwas tun müssen – auch schon vor zehn bis 15 Jahren.

Zur Person

Prof. Michael Schwertel ist 45 Jahre alt und in Augsburg geboren. Der Trickfilmproduzent hat an der Kunsthochschule für Medien in Köln studiert, während seines Studiums auch an Hollywoodproduktionen in Los Angeles mitgearbeitet und später das Netzwerk „blurmedia“ sowie die Produktionsfirma „Power-Toons“ gegründet. Er lebt und arbeitet in der Waldbröler Ortschaft Dickhausen.

Seit 2011 ist Schwertel Professor für Medienmanagement an der Cologne Business School – Thema seiner Seminare sind Medientrends. Zudem war er seit 2007 oft Mitglied in der Jury oder in der Nominierungskommission für den Grimme Online Award.

Im Oberbergischen engagiert er sich seit langem im IT Forum Oberberg. Schon von 2010 bis 2014 war er gewähltes Mitglied der Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer zu Köln – auch jetzt steht er dafür wieder zur Wahl. (kmm)

Und? Können wir die Lücke überhaupt schließen?

So, wie wir es jetzt machen, nicht. Natürlich gibt es ein paar Leuchtturmprojekte der Digitalisierung. Natürlich läuft jetzt endlich der Breitbandausbau, wobei für mich jetzt schon offen ist, ob die Geschwindigkeiten, die wir damit in zwei bis drei Jahren erreichen, dann überhaupt noch ausreichend sind. Das Problem daran, so eine Lücke zu schließen, ist aber vor allem das rasante Tempo der weiteren Entwicklung.

In meiner Lebenswelt hat es in den vergangenen zehn Jahren Veränderungen gegeben, wie sie meine im Jahr 1900 geborene Oma in ihrem ganzen Leben nicht erlebte – und da war schon viel passiert. Wenn ich heute mit Studenten darüber sprechen würde, wo wir bei den Medientrends in fünf Jahren stehen, würden wir am Thema vorbeireden: Schon in zwei Jahren wird die Welt da wieder auf den Kopf gestellt sein. Das hat etwas mit der rapiden Beschleunigung der Rechnerleistungen zu tun.

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Dann werfen Sie mit uns einen Blick in die Zukunft, die – wie wir jetzt wissen – schon in zwei Jahren beginnt: Was passiert dann? Wohin führen gerade die Medientrends?

Ganz sicher werden wir digitale Lösungen wie der E-Roller immer öfter über Nacht einfach in unserem Umfeld sehen. Es könnte sehr schnell selbstfahrende Autos geben. Aber auch ein Innovationssprung bei den Handys ist zu erwarten. Apple hat AR-Patente, die für uns bedeuten, dass Handydisplays mit unserer Realität verschmelzen. Wir werden nicht nur ständig online sein, sondern auch ständig durch unser Handy auf die Welt blicken. Das wird auch unsere Gesellschaft immens verändern, da unsere Realitäten individuell und austauschbar werden können.

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