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Ärztemangel in OberbergTelemedizin eigentlich nur eine „Mangelverwaltung“

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Ferndiagnose als Alternative? Sowohl der frühere Hausarzt Christoph Drechsler als auch die Kandidaten sehen Telemedizin als Ergänzung, aber nicht als Ersatz für eine Bekämpfung des Ärztemangels.

Ferndiagnose als Alternative? Sowohl der frühere Hausarzt Christoph Drechsler als auch die Kandidaten sehen Telemedizin als Ergänzung, aber nicht als Ersatz für eine Bekämpfung des Ärztemangels.

Dieringhausen – Telemedizin als Patentrezept gegen den Ärztemangel in Oberberg? Christoph Drechsler muss lachen. „Natürlich ist es das nicht. Es ist eigentlich nur eine Mangelverwaltung.“ Und er weiß wovon er spricht: Der heute 81-jährige Drechsler hatte lange selbst eine Hausarztpraxis in Dieringhausen und beobachtet, seit er 2008 in den Ruhestand gehen musste, auch weiterhin sehr genau, was passiert.

Und das ist ein starker Rückgang bei den Hausärzten – gerade auf der Aggerschiene zwischen Dieringhausen und Bergneustadt. Dabei weiß auch Drechsler, dass die Entscheidung für eine Hausarztpraxis für Medizinier nicht immer einfach ist. Bei ihm selbst fiel sie nach dem Tod seines Vaters. Eigentlich wollte er das nicht, arbeitete vorher an Krankenhäusern in Mainz, Rüsselsheim und zuletzt im ostfriesischen Sanderbusch. Im April 1980 kam er zurück ins Oberbergische, zunächst noch ohne seine Familie. „Auch ich wollte kein Hausarzt werden. Ich bin ins kalte Wasser gefallen.“

Emotionale Intelligenz gefördert

Mit der neuen Rolle als Allgemeinmediziner habe er sich schnell angefreundet: „Es fördert und fordert die analytische und emotionale Intelligenz.“ Umso schwerer sei es ihm gefallen, 2008 mit Erreichen der damals geltenden Altersgrenze von 68 Jahren aufhören zu müssen. Tatsächlich gab es seinerzeit ein Frühpensionierungsgesetz für Vertragsärzte. „Ich hätte gerne weitergearbeitet, aber ich durfte nicht.“ Und kaum war die Praxis verkauft und nichts mehr rückgängig zu machen, wurde genau dieses Gesetz im September 2008 beerdigt. Wenn Drechsler davon erzählt, spürt man, dass der Ärger darüber nicht verraucht ist.

Heute wäre so eine Grenze undenkbar. Zumindest hätte sie weitreichende Folgen. Denn nach Angaben des Hausärzteverbandes wurden vor vier Jahren 30 Prozent der Menschen in Gummersbach von Ärzten betreut, die über 65 Jahre alt waren – damals schon. Und der Mangel verschärft sich: Dr. Ralph Krolewski, der nicht nur für die Grünen im Kreistag sitzt, sondern auch Vorsitzender des Hausärzteverbandes und selbst Hausarzt mit Praxis in Gummersbach-Bernberg ist, nennt Zahlen: „In den vergangenen vier Jahren sind von 30 Praxen in Gummersbach acht ohne Nachfolge aufgegeben worden.“ Nicht nur in Dieringhausen gehe die Zahl der Praxen mit jeder Pensionierung zurück. „In Derschlag zum Beispiel gibt es zurzeit noch zwei Praxen, wo es früher fünf waren.“ Auch in Bergneustadt werde es kritisch. „Da schließen drei von neun Praxen – ein Drittel. Patienten irren schon herum auf der Suche nach neuen Ärzten.“

Eigene Sicht der Dinge

Der 81-jährige Drechsler, der dieses Geschehen immer noch sehr aufmerksam verfolgt, hat seine eigene Sicht der Dinge, warum es zwar einzelne Erfolge bei der Neuansiedlung jüngerer Ärzte zum Beispiel in Reichshof und Wiehl gebe, tatsächlich aber bisher keine Trendwende.

„Es ist das intransparente Sachleistungsprinzip bei der Kostenerstattung für Vertragsärzte.“ So gebe es auch kein Bewusstsein bei den Menschen, was eine ärztliche Dienstleistung eigentlich kostet. Auch die Bürgerversicherung, die vor allem die SPD in der Vergangenheit immer wieder gefordert hatte, um durch mehr Beitragszahler weniger Beiträge nehmen zu müssen, sei kein Heilmittel, um den Hausarztberuf attraktiver zu machen.

Im Gegenteil: „Kann ja sein, dass erstmal die Beiträge gesenkt werden. Aber dann dürften schnell Nachschläge fällig werden“, sagt Drechsler. Denn: „Medizin ist teuer.“ Ein Dorn im Auge ist ihm, dass es immer nur Gesundheitsökonomen sind, die bestimmen, wie hoch zum Beispiel die Budgets sind. Und auch digitalisierte Medizin diene am Ende nur der Ökonomie. „Der Mensch ist doch nicht nur eine Ware oder eine Ressource, in der man wühlen kann.“ Computer seien letztlich seelenlos. „Viel wichtiger ist doch, wenn ich merke: Mein Arzt hat Zeit für mich. Ein Arzt darf nicht zum Handlanger von Algorithmen werden.“

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Wie das klappen könnte? Dr. Drechsler setzt auf eine Lobby der Ärzte: „Nur damit geht es.“ Ob das klappt? Der 81-Jährige ist skeptisch. „Im Augenblick glaube ich eher, dass der Hausärztemangel hier auf dem Land erst der Anfang ist. Irgendwann erreicht es auch die Großstädte.“

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