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Amtsgerichtsdirektoren im GesprächDie letzte Schreibmaschine ist eingemottet

Lesezeit 8 Minuten
In Saal 101 im Amtsgericht Gummersbach, in dem sonst Strafsachen verhandelt werden, trafen sich (v.l.) Andreas Türpe, Claudia Krieger und Dr. Fabian Krapoth.

In Saal 101 im Amtsgericht Gummersbach, in dem sonst Strafsachen verhandelt werden, trafen sich (v.l.) Andreas Türpe, Claudia Krieger und Dr. Fabian Krapoth.

Oberberg – Drei Amtsgerichte gibt es im Oberbergischen – in Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth. Frank Klemmer sprach mit deren Direktoren Claudia Krieger (Gummersbach), Dr. Fabian Krapoth (Waldbröl) und Andreas Türpe (Wipperfürth) darüber, vor welchen Herausforderungen die Gerichte heute stehen.

In Oberberg hatten wir in den vergangenen Jahren immer wieder eine Sicherheitsdebatte, die auch an den Gerichten nicht spurlos vorbeigegangen sein dürfte, vor allem in Waldbröl. Herr Krapoth, Ihr Gericht ist mitten in der Stadt: Ist Waldbröl gefährlicher geworden?

Krapoth: Es stimmt, es gab einige Vorfälle, vor allem mit den beiden Tötungsdelikten im Jahr 2016, an denen unsere Richter nur im Rahmen des Ermittlungsverfahrens bei der Haftentscheidung beteiligt waren. Dennoch kennen wir unsere Pappenheimer, die immer wieder in anderen Verfahren vor Gericht stehen. Ich kann eine signifikante Zunahme von Gewalttaten da nicht erkennen. Und wir haben auch sehr wenige Intensivtäter.

Eine ähnliche Debatte gab es in Lindlar, das zum Amtsgericht Wipperfürth gehört, und in Gummersbach. Spüren Sie da die Auswirkungen der der neuen Ordnungspartnerschaften?

Türpe: Es stimmt, wir hatten da viele Fälle im Zusammenhang mit dem Kneipenviertel in Lindlar. Da haben wir schon eine Zunahme gespürt, auch schon vor der neuen Ordnungspartnerschaft.

Die Direktoren

Claudia Krieger (53) ist seit November 2013 Direktorin des Gummersbacher Amtsgerichtes. In Gummersbach ist sie schon seit 2006. Zuvor war sie zehn Jahre lang beim Landgericht Köln eingesetzt. Studiert hat sie an die Universität in Köln.

Andreas Türpe (50) lebt in Gummersbach und ist seit 2012 Direktor des Amtsgerichtes in Wipperfürth. Zuvor war er unter anderem im Ministerium eingesetzt, zudem an den Amtsgerichten in Gummersbach und Köln sowie beim Oberlandesgericht Köln. Auch er hat in Köln studiert.

Dr. Fabian Krapoth (55) ist in Engelskirchen aufgewachsen, lebt heute aber in Bonn. Seit 2011 ist er Direktor des Amtsgerichtes Waldbröl, an dem er zuvor schon einmal zehn Jahre lang – von 1992 bis 2002 – als Richter für Strafsachen zuständig war. Wenn er gerade nicht in Waldbröl eingesetzt war, arbeitete er unter anderem am Landgericht Bonn, am Amtsgericht Euskirchen und eine Zeit lang auch beim Generalbundesanwalt – in der Bundeszentrale für Auslandsadoption, für die der damals noch zuständig war. Seine Studienzeit hat Dr. Krapoth in Regensburg verbracht. (kmm)

Krieger: Ich habe mir die Zahlen noch mal angesehen. Ja, es gibt eine Zunahme von Fällen. Bei den Bußgeldsachen kann das durchaus mit den Ordnungspartnerschaften zu tun haben, bei den Strafverfahren vielleicht eher mit einer personellen Aufstockung bei der Staatsanwaltschaft Köln.

Es geht dabei ja auch immer wieder um das Verhältnis zwischen Polizei und Justiz. Wie funktioniert das in Oberberg?

Krieger: Es gibt eine sehr gute Zusammenarbeit. Es findet ein regelmäßiger Austausch statt – mit allen Beteiligten.

Türpe: Da gibt es überhaupt kein Gegeneinander. Wir treffen uns einmal jährlich, und bei uns in Wipperfürth gibt es zum Beispiel einen ständigen Kontakt mit der Polizei vor Ort.

Krapoth: Es gibt auch immer wieder das Angebot, mal im Streifenwagen mitzufahren.

Türpe: Wir haben festgestellt, dass die Straftaten gegen Polizeibeamte zugenommen haben. Das kann aber auch daran liegen, dass bestimmte Verhaltensweisen von Polizei und Staatsanwaltschaft heute einfach rigoroser verfolgt werden. Und natürlich gilt umgekehrt: Vor Gericht ist ein Polizeibeamter ein Zeuge wie jeder andere – mit den gleichen Rechten, aber auch mit den gleichen Pflichten. Auch er muss die Wahrheit sagen, und das Gericht muss sich mit der Glaubhaftigkeit der Aussage auseinandersetzen.

Krieger: Das gehört schließlich zu unserer Aufgabe als dritte Gewalt.

Wie ist das eigentlich bei den Urteilen: Es gilt ja die Unabhängigkeit des einzelnen Richters. Spricht man trotzdem miteinander? Gibt es so etwas wie eine oberbergische Rechtsprechung?

Krieger: Wenn, dann reden wir nur unter den Kollegen innerhalb des Gerichts – und auch das hat seine Grenzen. Und es gibt auf jeden Fall keine abgesprochenen Tarife für bestimmte Straftaten.

Krapoth: Hinzu kommt ja, dass wir auch noch zu unterschiedlichen Obergerichten gehören, die unsere Urteile kontrollieren. Uns in Waldbröl, die wir zum Landgerichtsbezirk Bonn gehören, verbindet mit Gummersbach und Wipperfürth deshalb eigentlich nur, das wir alle Teil des Oberbergischen sind.

Krieger: Das heißt natürlich nicht, dass wir uns nicht austauschen. Nur eben über eine ganze Menge anderer Dinge als über Urteile.

Wir haben jetzt schon viel über Straftaten gesprochen. Die machen aber ja nicht Ihre ganze Arbeit aus . . .

Krieger: Ganz im Gegenteil: Von den zwölf Richtern, die wir in Gummersbach haben, beschäftigen sich gerade mal vier mit Strafrecht. Der überwiegende Teil unserer Arbeit bei Gericht ist vorsorgende Rechtspflege.

Krapoth: Das ist bei uns in Waldbröl genauso. Wir hatten 2017 deutlich mehr Familiensachen als Strafverfahren. Auch Verfahren, in denen es zum Beispiel um die Betreuung von Menschen geht, machen einen großen Teil unserer Arbeit aus. Das gilt übrigens auch für die vielen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit – wie Grundbuchsachen, Zwangsversteigerungen und Nachlassangelegenheiten.

Türpe: Dazu gehört, dass die weitaus meisten der Verfahren vor Gericht völlig reibungslos verlaufen. Wir haben in allen drei Gerichten eine hohe Vergleichsquote.

Die Zukunft der Justiz wirft ihre Schatten voraus, und einer davon soll demnächst auf Wipperfürth fallen, nicht wahr, Herr Türpe?

Türpe: Das stimmt, es ist geplant, dass das Amtsgericht Wipperfürth ab Anfang 2019 eines der Pilotgerichte in NRW für die Einführung der elektronischen Akte werden soll. Die ist dann komplett elektronisch: Anwälte geben ihre Schriftsätze über eine spezielle Software ab, nur die Schreiben der Bürger müssen noch eingescannt werden.

Müsste die Technik nicht eigentlich schon viel weiter sein?

Krieger: Es ist ja nicht so, als hätte sich da noch nichts getan. Seit 2006 gibt es ja schon die Datenbank Judica und ein dazu gehörendes Textverarbeitungsprogramm, die zusammen auch so etwas wie eine elektronische Akte sind – nur eben nicht komplett und als vollständiger Ersatz für das Papier. Vieles machen wir aber schon jetzt anders als noch vor zehn Jahren. In Gummersbach zum Beispiel wird nichts mehr diktiert, das dann noch abgeschrieben werden müsste. Ihre Urteile schreiben die Richter selbst oder diktieren sie mit einer Spracherkennung.

Krapoth: Einen entscheidenden Vorteil bietet die neue Technik vor allem bei der juristischen Recherche. Da war es früher, bevor es die Rechtsprechungs-Datenbank Juris gab, schon mal so, dass ein Richter bei Fachanwälten nachfragen musste, wenn er besondere Literatur oder ein Urteil gesucht hat.

Was bringt denn so eine elektronische Akte effektiv für Sie und ihre Richterkollegen?

Krieger: Es ist schon wesentlich komfortabler, wenn wir auf das ganze Papier verzichten könnten. Dazu gehören ja zum Beispiel auch die Zustellfächer der Rechtsanwälte oder die Ablagefächer auf unseren Geschäftsstellen. Damit brauchen wir auch weniger Platz. Aber vieles geht eben auch erst, seit ein schnellerer Datenverkehr möglich ist. Und gerade dessen Sicherheit muss eben auch erst einmal gewährleistet werden.

Ein Gericht ganz ohne Papier: Können Sie sich das wirklich vorstellen?

Krapoth: Für einige von uns, gerade unter den Richtern und Rechtspflegern, wird das schon eine große Umstellung, wenn man es seit dem Studium gewohnt war, in Büchern zu blättern und nachschlagen zu können.

Löst das dann auch alle Personalprobleme bei Gericht?

Türpe: (schmunzelt) Das ist ja eigentlich gar nicht der Grund für die Einführung der elektronischen Akte. Höchstens zur Endausbaustufe könnten solche Effekte trotzdem eintreten. Bis dahin sollen die Abläufe bleiben, wie sie sind – nur eben elektronisch und ohne Papier.

Apropos Personal: In allen Branchen ist im Oberbergischen von Fachkräftemangel die Rede. Kennen Gerichte im ländlichen Raum solche Probleme auch?

Krieger: Natürlich merken wir, dass der öffentliche Dienst beim Nachwuchs nicht mehr ganz oben auf der Wunschliste steht. Wir müssen uns bemühen, gehen auf Ausbildungsmessen, schalten Zeitungsanzeigen und werben um junge Menschen. Vor allem, wenn es um Justizfachangestellte und Auszubildende geht. Bisher können wir immer noch alle Ausbildungsplätze besetzen, aber das kommt nicht von alleine.

Gilt das auch für Richter?

Krieger: Da ist etwas anders, aber manchmal auch wie bei den Ärzten: junge Richterinnen und Richter, die uns zugeteilt werden und die dann aber lieber in der Stadt wohnen bleiben. Erst wenn sie Familien haben, möchten sie zurück aufs Land.

Türpe: Wir hatten in Wipperfürth da auch Probleme, aber inzwischen hat sich das gelegt.

Krapoth: In Waldbröl haben wir jetzt ebenfalls zwei junge Richter, die im Bezirk wohnen.

Krieger: Bei uns hat da ein Generationenwechsel stattgefunden. Jetzt sieht es aber auch wieder besser aus.

Türpe: Es gibt generell keinen Run in den Staatsdienst, auch wenn die Justiz aus meiner Sicht ein attraktiver Arbeitgeber ist. Deshalb müssen wir uns eben bemühen, im Wettbewerb zu bestehen.

Krapoth: Das könnte natürlich auch etwas damit zu tun haben, dass jüngere Menschen einen vernetzten und mobilen Arbeitsplatz mit Tablet und Handy erwarten, den die Justiz derzeit noch nicht bieten kann. Es ist noch nicht lange her, dass in Waldbröl die letzte Schreibmaschine eingemottet wurde.

Krieger: Vielleicht hilft da dann ja auch die Digitalisierung.

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