Arbeitskreis RegionalgeschichteHistoriker forschen nach den 1945 in Lindlar ermordeten Russen

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Einwohner Lindlars müssen an den geöffneten Särgen der ermordeten Kriegsgefangenen vorbeilaufen.

Einwohner Lindlars müssen an den geöffneten Särgen der ermordeten Kriegsgefangenen vorbeilaufen.

Lindlar/Overath – Erschossen, in eine Erdmulde geworfen, die Leichen nur notdürftig mit etwas Erde und Reisig bedeckt. Die Ermordung von zehn Russen in der Nacht auf den 9. April 1945 – verübt durch Mitglieder des „Overather Volkssturms“ als Rache für den Anschlag auf einen NS-Funktionär im Aggertal – hat Lindlar einst zu trauriger Berühmtheit verholfen.

Amerikanische Kameraleute rückten zwei Monate später, am 15. Juni 1945, an, als US-Infanteristen die Lindlarer zwangen, die fast bis auf das Skelett verwesten Körper auf dem Brungerst mit bloßen Händen auszugraben. Die Bilder, wie vor allem Frauen und alte Männer die auf der Eichenhofstraße aufgebahrten Leichen passieren mussten, erreichten schnell die Kinos auf der anderen Seite des Atlantiks. „Wir Kinder wurden verschont – für die Erwachsenen war es schrecklich“, erinnert sich Ulrich Hoffstadt.

Die Film-Sequenz finden Sie als Stream hier.

Doch wer waren die Männer, die oberhalb der Eremitage hingerichtet wurden? 70 Jahre nach den Morden suchte der Arbeitskreis für Regionalgeschichte im Förderverein des LVR-Freilichtmuseums Lindlar nach Antworten – nicht nur auf die Identität der Opfer auf dem Brungerst.

Die meisten Opfer waren erst Anfang 20

Mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, dem Archiv der Gemeinde, der russischen Botschaft in Berlin und dem polnischen Generalkonsulat in Köln nahmen die Ehrenamtler die Historie von drei Grabstellen unter die Lupe. Ihre Ergebnisse fassten sie in einem Arbeitspapier zusammen, das sie jetzt der Gemeindeverwaltung übergaben.

Konkret untersuchte der Arbeitskreis die Ruhestätte der angesprochenen Russen auf dem alten Teil des Lindlarer Friedhofs – an dessen äußere Grenze hatte man die zehn Särge 1947 umgebettet, nachdem sie zunächst auf dem Kirchplatz bestattet worden waren – ein benachbartes Grab für 15 zwischen August 1944 und Mai 1945 verstorbene Zwangsarbeiter aus Russland und Polen, sowie die Frielingsdorfer Ruhestätte für 18 Opfer eines im März 1945 erfolgten Luftangriffs auf das Arbeitslager nahe Würden im Leppetal.

Das Projekt, mit dem man 2014 begonnen hatte, verstehe sei ein Beitrag gegen das Vergessen und Hinweis darauf, dass Frieden nicht selbstverständlich sei, erklärte Winfried Panske vom Arbeitskreis. Erstes Hindernis, zumindest bei den beiden Lindlarer Gräbern, war die Inschrift der Gedenksteine, die in kyrillischer Schrift eingemeißelt ist. Johann Penner, Mitarbeiter im Rathaus, übersetzte die Texte.

Die Namen der Opfer wurden an Wolfgang Held von der Deutschen Kriegsgräberfürsorge weitergeleitet, der etliche Male die deutschen Vertretungen Polens und Russlands kontaktierte, um die Namen der Verstorbenen verifizieren zu lassen. Im Polnischen sei die exakte Schreibweise ungemein wichtig, betonte Held. Vor allem von russischer Seite sei das Lindlarer Projekt gelobt worden. „Es ist den Menschen dort wichtig, dass erinnert wird, solche Anfragen werden sehr genau wahrgenommen – das geht bis nach Moskau.“

Verhältnismäßig schnell gelang die Aufklärung bei einem der Lindlarer Gräber. Bei neun der 15 Toten handelt es sich um Menschen, die in der Roten Armee dienten, aber auch um Zivilisten, die für den Arbeitseinsatz verschleppt wurden. Mindestens drei Frauen sind unter ihnen, die Mehrzahl der Beerdigten starb während der Zwangsarbeit oder im Lager und zwar sehr jung – der häufigste Geburtsjahrgang ist 1923. Die Forschung über sechs weitere Personen läuft noch.

In dem Gemeinschaftsgrab auf dem ehemaligen Friedhof in Frielingsdorf liegen sogar 18 Leichname, statt 13, wie bisher angenommen. Sie alle starben am 13. März 1945. „Der Unterschied kommt dadurch zustande, dass 13 Zwangsarbeiter ihr Leben verloren, aber auch fünf ihrer Aufseher. Beide Gruppen hat man zusammen beerdigt“, vermutete Panske.

Ausgerechnet bei den Toten vom Brungerst geriet die Aufarbeitung ins Stocken. „Der Sowjetarmee gehörten damals Menschen aus vielen inzwischen selbstständigen Staaten an“, bringt Wolfgang Held das Problem auf den Punkt.

Der Arbeitskreis will trotzdem nicht nachlassen und weiter daran arbeiten, den Opfern nach sieben Jahrzehnten Namen geben zu können. Die betreffende Zeit sei bis heute Teil des kulturellen Erbes der Gemeinde, betonte Bürgermeister Dr. Georg Ludwig, der dem Arbeitskreis herzlich für sein Engagement dankte.

Ein Grabstein erinnert an die Opfer

Eine schlichte Steintafel, zwei Kerzen, gleich davor ein alter Ahorn. Das Grab der zehn 1945 auf dem Brungerst erschossenen Russen existiert bis heute am äußersten Südrand des alten Lindlarer Friedhofs. Dorthin wurden die Särge 1947 umgebettet. Das fast sieben Meter breite Grab wird von der Gemeinde gepflegt – sie erhält dafür eine Pauschale vom Bund. „Hier ruhen zehn während des Krieges 1941/45 verstorbene russische Bürger“ ist in kyrillischer Schrift in den Stein gemeißelt. Die Inschrift ist ein Standardtext, den die britische Militärregierung im März 1947 vorgab. Hinweise auf das Verbrechen oberhalb der Steinbrüche fehlen.

Genau das will der Arbeitskreis für Regionalgeschichte jetzt ändern. Er schlägt die Errichtung von drei Grauwackestelen vor, auf dem Grab der Russen und zwei weiteren Ruhestätten in Lindlar und Frielingsdorf. Sie sollen die jeweiligen Schicksale der Getöteten näher beschreiben. „Jeder soll lesen können, was sich hier verbirgt“, wünscht sich Winfried Panske vom Arbeitskreis. Die drei Lindlarer Steinbruchbetriebe stünden als Sponsoren bereit. Die Entscheidung, ob man die Gedenksteine installiert, müsse aber die Lindlarer Verwaltung und Politik treffen.

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