Babylon EngelskirchenAuch im Oberbergischen gab es 1920 blutige Kriminalfälle

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Bei den Geschehnissen in Babylon Berlin kann auch das Oberbergische der 1920er mithalten.

  • Zum Start der dritten Staffel der Krimiserie „Babylon Berlin“ werfen wir einen Blick in die 1920er Jahre in Oberberg.
  • Engelskirchen war damals Schauplatz eines Kriminalfalls mit blutigem Ausgang.
  • Damals griffen Ermittler und Verdächtige zu ungewöhnlichen Mitteln.

Engelskirchen – Es war eine unruhige Zeit vor 100 Jahren in der gerade gegründeten ersten Republik in Deutschland. Hintergrund war die Wirtschaftskrise nach dem verlorenen Krieg. Im Rückblick stellte der Redakteur der Bergischen Wacht in Engelskirchen für das Jahr 1920 fest: „Leider war die Moral so tief gesunken und die Gier nach unrechtem Gut übergroß.“

Auch in Oberberg nahm die Zahl der Straftaten stetig zu. In einem Inserat in der Bergischen Wacht warb der Inhaber des elektrotechnischen Geschäftes in Engelskirchen, Rudolf Schmidt, im Frühjahr 1920: „Kein Einbruch mehr! Elektrische, selbständige Alarmapparate, überall anzubringen, melden das Öffnen jeder Tür und jeden Fensters. Durchaus zuverlässiger Schutz. Billig.“ Die Polizeibeamten entlang der Eisenbahnstrecke im Aggertal reagierten mit  einer wirksame Ermittlungsstrategie: Die Eisenbahnschaffner meldeten verdächtige Personen, die mit Koffern oder Säcken nach Köln fahren wollten, den Gesetzeshütern.

Haupttäter war schnell geschnappt

Die Ordnungshüter passten im nächsten Bahnhof den Zug ab. Ende Februar 1920 wurden in Ründeroth mehrere Einbruchdiebstähle verübt und  Kaninchen erbeutet. Schon einen Tag später wurde der Haupttäter, ein Dieringhausener, im Zug von der Polizei verhaftet. Er führte einen Korb und ein Paket mit sich. Darin kamen neun geschlachtete Kaninchen zutage. Fleisch und Pelze sollten in Köln verkauft werden. Der Beschuldigte, der bereits häufiger polizeilich in Erscheinung getreten war, wurde auf Anordnung des Bürgermeisters unverzüglich dem Gericht in Gummersbach zugeführt.

Engelskirchen,_Leppebruecke_-_Plateau

Das Bild aus den 30er Jahren zeigt die Leppebrücke im Zentrum,  Ort der Schießerei zehn  Jahre zuvor.

Andere Tiere passten nicht in die Eisenbahn. So beklagte der Bauer Wirtz in Hardt bei Engelskirchen  einen besonders dreisten Viehdiebstahl. Die Diebe waren nachts durch ein Fenster in den Stall eingestiegen und hatten zwei Kühe auf Schleichwegen bis nach Oesinghausen getrieben. Dort verlor sich ihre Spur. Den örtlich zuständigen Wachtmeister, ein Mann namens Blumberg, forderte dieses Verbrechen heraus. Ihm war bekannt, dass einige Tage vor dem Diebstahl  in Dieringhausen frisches Fleisch unter der Hand verkauft worden war, das aus einem anderen Diebstahl stammen musste. Seine Nachforschungen ermöglichten es Blumberg, im Zug nach Köln den Hehler mit der blutigen Ware festzunehmen. Die Diebe hatten die gestohlenen Kühe in einer Tannenschonung bei Dieringhausen geschlachtet und zerlegt.

Polizeibeamter war von Ganoven gefürchtet

Der Polizeibeamte Blumberg, stationiert in Engelskirchen, war unter den Ganoven im Umkreis gefürchtet, wie auch diese Begebenheit beweist: Ende 1920 wurde ein Mann im Wald bei Lindlar von zwei Ganoven überfallen, die mit dem Ruf  „Geld oder das Leben“ aus dem Gebüsch sprangen. „Das Opfer reagierte geistesgegenwärtig und rief nach rückwärts: ,Herr Blumberg, kommen Sie doch schnell’“, wie die Bergische Wacht berichtete. „Das war für die Räuber das Signal, von ihrem Vorhaben abzulassen und Hals über Kopf zu fliehen.“ Mancher Straftäter, der eine Luftveränderung in der vermeintlich gefahrloseren Umgebung auf dem Land suchte,  erlebte sein blaues Wunder.

So erging es einem Kaufmannslehrling aus Köln, der im Februar 1920 eine hohe Summe Bargeld unterschlagen hatte. Anschließend reiste er bis nach Engelskirchen und gedachte, es sich auf dem Land  gut gehen zu lassen. „Hier kaufte er sich einen neuen Ueberzieher, neuen Anzug, Schuhe, Hemd usw.“, wie die Bergische Wacht in Erfahrung brachte. „Am anderen Tage wollte er angeblich auf Hagen zu.“ Dazu kam es  nicht, weil Wachtmeister Blumberg am Abend gegen 22 Uhr, wohl nach Hinweisen aus der Bevölkerung, den Übeltäter verhaftete.

Textilfirmen waren besonders gefährdet

In Dieringhausen war das Lager der Textilfabrik Wollenweber Ziel dreister Einbrecher. Sie plünderten das Lager und schafften die Ware zum Wegschaffen auf den Firmenhof. Allerdings erfreuten sich die Ganoven nicht lange ihrer Beute, berichtete die Bergische Wacht. „Bei dem versuchten Abtransport der gestohlenen Waren wurden sie von dem hiesigen Polizeibeamten überrascht. Unter Hinterlassung der gesamten Beute haben die Einbrecher das Weite gesucht.“ Eine der größten Textilfirmen im Aggertal, die Baumwollspinnerei Ermen & Engels, geriet 1920 ebenfalls in den Fokus von Diebesbanden. Immer wieder verschwanden größere Mengen von Baumwollgarnen aus dem Lager. 

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Anfang April 1920 wurde der Textilfirma aus dem Elektrolyseraum das gesamte Platin im Werte von 35 000 Mark entwendet. Die kleinen  Metallblätter  wurden  in der Bleicherei der Baumwollspinnerei eingesetzt. Nachdem das Unternehmen neues Platin gekauft hatte, wurde das Edelmetall im November   erneut gestohlen. „Der Dieb sprengte dabei mit Gewalt drei schwere Schlösser und verschwand, ohne gefaßt zu werden“, wie die Bergische Wacht berichtete.

Beute von 600 Pfund Baumwolle

Polizeiwachtmeister Blumberg ermittelte – und hatte Erfolg. Der Zugriff erfolgte kurz vor dem Weihnachtsfest. Die Diebesbande umfasste zwölf Personen. Die Langfinger wohnten in Engelskirchen, Ründeroth, Vollmerhausen, Dieringhausen und in Köln. Es gelang Blumberg mit Hilfe Kölner Kriminalbeamter zudem sämtliche Hehler beweiskräftig zu ermitteln.  Der Weg der gestohlenen Ware ließ sich genau nachzeichnen: „Die Baumwollgarne wurden durch einen Fuhrunternehmer von auswärts nächtlicherweise nach Köln geschafft.“

Dort wurden sie seit Januar 1920 an ein dort ansässiges Unternehmen verkauft. Ende des Jahres konnte die Polizei den Rest der Beute von 600 Pfund Baumwolle beschlagnahmen und  der Firma Ermen & Engels zurückgeben. Das Platin war Beute derselben Diebesbande geworden. Über Kölner Hehler war das teure Metall bereits an Interessenten im Ausland verkauft worden.

Weiterer schwerer Diebstahl

Ein weiterer schwerer Diebstahl ereignet sich in Ehreshoven: Bei einem Einbruch in das Frachtlager des Bahnhofs öffneten die Täter   eine zum Versand bereit gestellte Kiste und entwendeten Strümpfe im Wert von etwa 11 000 Mark.

In der Nacht auf den 10. März drangen die Langfinger in das Lager der Textilfabrik von Heinrich Halbe in Loope ein und stahlen 10 000 Paar schwarze Strickstrümpfe und Socken.  Die erbeutete Ware konnte über der Looper Durchgangsstraße schnell nach Köln   abtransportiert werden. Das Raubgut war  so umfänglich, dass mehrere Diebe an der Straftat beteiligt gewesen sein mussten. Die Tat rief  Empörung und Unsicherheit   hervor. Bereits zwei Tage später lud der Engelskirchener Bürgermeister Julius Hübner über die Bergische Wacht die Bevölkerung zu einer Besprechung in die Gaststätte neben der Fabrikhalle an der Köln-Olper Chaussee ein. Einziger Besprechungspunkt: die Einrichtung einer Bürgerwehr.

Blumbergische Ermittlungen

Das Auge des Gesetzes nahm derweil seine Ermittlungen auf, berichtete die Zeitung. „Von Herrn Blumberg wurden in weitem Umkreise Leute beauftragt, an der Bahn und den Straßen nach verdächtigen Anzeichen Ausschau zu halten.“ Der Erfolg stellte sich kurz danach ein. ein Einwohner von Vilkerath lieferte den entscheidenden Tipp. Er hatte zwei Männer mit Packen Strümpfen in den Zug nach Köln einsteigen sehen und verständigte umgehend die Polizei. Die Polizeibeamten in Overath beendeten die Eisenbahnfahrt der beiden Verdächtigen und baten sie zum Verhör.

Die Männer stammten nicht aus dem Oberbergischen, kannten aber die Örtlichkeit in Loope, da sie auf der Grube Bliesenbach gearbeitet hatten. Den Besitz der Strümpfe erklärten sie damit, dass dies das Schweigegeld der eigentlichen Einbrecher sei.  Zu dem Verbleib der restlichen Beute konnten sie Auskunft geben. Ein Teil war im Wald vergraben worden. Alle an dem Diebstahl Beteiligten konnten durch die Aussagen ermittelt werden. Dass der Anführer, ein Mann namens Ewald Westerwick, nicht ungefährlich war, ging aus den weiteren Aussagen der  Zeugen hervor. Er hatte jedem, der mit der Polizei kooperieren würde, den Tod angedroht. Am 16. März vermeldete die Bergische Wacht, dass Polizeiwachtmeister Blumberg acht Personen verhaftet habe.

Verdächtige griffen zu ungewöhnlichem Mittel

Die noch in Freiheit lebenden Verdächtigen griffen zu einem ungewöhnlichen Mittel: In der Bergischen Wacht vom 24. März veröffentlichten sie eine Anzeige: „Mit dem Strumpfdiebstahl in Ehreshoven und Loope haben wir nichts zu tun. Wir warnen hierdurch jeden, uns mit der Sache in Verbindung zu bringt, da wir jeden, der diesbezügliche Verdächtigungen ausspricht oder nacherzählt, zur Anzeige bringen werden.“ Derselbe Text erschien zwei Tage später noch einmal, gezeichnet von zwei weiteren Verdächtigen. Mit diesen Anzeigen gingen die mutmaßlichen Verbrecher in die Offensive und hofften, die  Gerüchte und eventuell die Ermittlungen zu stoppen.

Parallel zu den polizeilichen Bemühungen versuchte nun der Geschädigte, der Fabrikbesitzer Heinrich Halbe, durch Anzeigen in der Bergischen Wacht wieder in den Besitz seiner gestohlenen Ware zu kommen. Dafür setzte er 1500 Mark Belohnung aus und sicherte dem Informanten absolute Verschwiegenheit zu.

Hausdurchsuchung überführt gefährlichen Berufsverbrecher

Die Polizei führte nach dem Geständnis der inhaftierten Diebe erfolgreich eine Hausdurchsuchung in einem Haus in Dumpe durch, dem Schlupfwinkel des 30-jährigen Anführers Ewald Westerwick. Dieser war ein gefährlicher Berufsverbrecher. Wie sich herausstellte, stand er in dem Verdacht, in Köln seine Frau erdrosselt und ihre Leiche im Rhein versenkt zu haben. Ein Teil der Beute aus dem Einbruch bei der Firma Halbe war im Ziegenstall vergraben worden. Im Unterschlupf der Verbrecher wurde jedoch niemand angetroffen. Ein Komplize  konnte bald  zusammen mit einem  Burschen aus der Leppestraße in Engelskirchen festgenommen werden. Beide wurden  von Polizeiwachtmeister Blumberg in das Lindlarer  Amtsgerichtsgefängnis  eingeliefert.

Und erneut ein Glücksfall: Bei seiner Rückkehr nach Engelskirchen gegen 13 Uhr erkannte Blumberg den gesuchten Banditen Westerwick an der Kleinbahn im Ortszentrum.  Dieser weigerte sich jedoch, zur Wache im Rathaus mitzugehen und zog einen Revolver. Blumberg blieb kaltblütig. „Auf Zureden des Beamten ging er jedoch mit, immer den Revolver in der Hand haltend“, wie die Bergische Wacht  schilderte. Auf dem Weg zur Leppebrücke entsicherte Blumberg seinen eigenen Revolver.

Blutiges Ende

Dann ging alles blitzschnell, wie die Zeitung wusste: „An der Brücke sprang der Verbrecher plötzlich einige Schritte vor, drehte sich auf den Anruf des Beamten herum und schoß auf diesen, glücklicherweise ohne zu treffen. Darauf schoß in der Notwehr auch Blumberg und traf den Verbrecher in die Herzgegend. Ein weiterer Schuß Westerwicks verfehlte ebenfalls das Ziel, ging aber dem Beamten durch den Mantel. Schon zusammengebrochen, versuchte er die Waffe zum dritten Male auf Blumberg zu richten, der ihn jedoch durch zwei weitere Schüsse, von denen einer in die Brust, der andere in den Kopf traf, inzwischen völlig unschädlich gemacht hatte.“

Gleich nach der Schießerei wurde eine Hausdurchsuchung in einem schlecht beleumundeten Haus an der Leppestraße durchgeführt. Dort wurde der letzte Komplize von Westerwick, der sich hinter der Eingangstür versteckt hatte, festgenommen. Damit fand der Looper Strumpfraub sein Ende.

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