EngelskirchenVor 90 Jahren eskalierte ein Auftritt des NS-Funktionärs Robert Ley

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Robert Ley, der spätere Reichsorganisationsleiter der NSDAP, bei einem anderen Auftritt: Sein Einzug in den Engelskirchener Saal war nicht so triumphal.

Robert Ley, der spätere Reichsorganisationsleiter der NSDAP, bei einem anderen Auftritt: Sein Einzug in den Engelskirchener Saal war nicht so triumphal.

Engelskirchen – Die späten Jahre der Weimarer Republik waren  in den Städten gekennzeichnet von blutigen politischen Konflikten. Auf dem Land ereigneten sich nur kleinere Scharmützel. Die Auseinandersetzung in Engelskirchen im Januar 1931 war darum in ihrer Ausprägung außergewöhnlich. Die Begegnung zwischen SA auf der einen und dem Reichsbanner, der Schutztruppe von Zentrum und SPD, auf der anderen Seite ist im Gedächtnis der Betroffenen noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg lebhaft präsent geblieben.

Seit 1929, dem Beginn der großen Weltwirtschaftskrise, hatten die Nationalsozialisten immer mehr Zulauf erfahren. Im Oberbergischen Land war der südliche Teil mit den damaligen Gemeinden Nümbrecht, Marienberghausen und Waldbröl ein Schwerpunkt der braunen Bewegung, da hier Dr. Robert Ley, geborener Nümbrechter und gewählter Reichstagsabgeordneter, erfolgreich agitierte.

NSDAP-Presseorgan benutzt

Als Verantwortlicher des „Oberbergischen Boten“ benutzte er skrupellos das NSDAP -Presseorgan, um Hass, Verleumdungen, Drohungen und Lügen zu verbreiten. Leys Motto „Wahr oder nicht –  die Hauptsache, daß es die Leute glauben“ bestimmte die Arbeit  des Oberbergischen Boten.  Der Kampf galt „dem System“. Damit war die Demokratie als Staatsform gemeint.

Ein standhafter Verteidiger der Demokratie war der Engelskirchener Zeitungsverleger und Ortsvorsitzende der Zentrumspartei, Edmund Schiefeling. Mit  seiner    Zeitung „Bergische Wacht“ erreichte er nicht nur viele katholische Zeitungsleser in ganz Oberberg. Die „Bergische Wacht“ stellte   den einzig erfolgreichen   publizistischen Widerstand im Oberbergischen Land dar.  Edmund Schiefeling konterte als Chefredakteur die Lügen und Hasstiraden der NS-Publikationen   mit  Berichten und mutigen Kommentaren. Insbesondere NSDAP-Führer   Ley geriet zunehmend in den Fokus des Engelskirchener Redakteurs.

Dies forderte die oberbergischen Nationalsozialisten bis aufs Äußerste heraus, zumal die Parteianhänger und die Wählerschaft von Adolf Hitler in Engelskirchen eher  unbedeutend waren. Robert  Ley  machte schon sehr früh   Schiefeling zu einer bevorzugten Zielscheibe seiner hasserfüllten  Angriffe im „Oberbergischen Boten“ und bei seinen öffentlichen Auftritten. Ley hoffte, mit massiver  Propaganda die Situation  in Engelskirchen  ändern zu können. Für den 23. Januar 1931 wurde deshalb im Lokal von Hugo Kenntemich eine öffentliche Kundgebung  geplant. In Wipperfürth hatte die NSDAP  zuvor, im April 1929, für eine  Werbeaktion keinen Saal finden können.

Der Gasthof Kenntemich an der Bergischen Straße mitten in Engelskirchen war 1931 Schauplatz der blutigen Auseinandersetzung zwischen  den Nazis und ihren Gegnern.

Der Gasthof Kenntemich an der Bergischen Straße mitten in Engelskirchen war 1931 Schauplatz der blutigen Auseinandersetzung zwischen  den Nazis und ihren Gegnern.

Die öffentliche Veranstaltung wurde danach mit nur zwölf Interessenten in eine Kneipe verlegt. Im Ort Engelskirchen konnte die Hitlerpartei dagegen durch Plakatanschlag   für ihre  Veranstaltung  werben. Sie sollte im 20 Uhr in Kenntemichs Lokal  beginnen. Lediglich der Redner Dr. Robert Ley war benannt, das Thema war nicht angegeben. Die örtlichen Aktivisten von   Zentrum und SPD, im Reichsbanner vereint zur Verteidigung der Republik, wollten diese Veranstaltung verhindern. In einer Besprechung unter der Leitung des Zentrums-Vorsitzenden Schiefeling wurde beschlossen, den Saal der Gaststätte Kenntemich vor Beginn der Sitzung zu besetzen, sodass die aus dem ganzen Oberbergischen und aus Köln anreisenden Nazis keinen Platz mehr finden sollten.

200 Mitglieder versammelt

Am Tag der Veranstaltung versammelten sich  etwa 200 Mitglieder des Reichsbanners vor dem Veranstaltungslokal. Es galt zunächst, den Wirt Hugo Kenntemich zu überzeugen, den Saal  eine Stunde früher zu öffnen. Nach kurzer Diskussion  gab dieser  nach. Kurz nach 19 Uhr strömten die Anhänger des Reichsbanners und einige Kommunisten in den Saal, in dem bald nur noch    die Bühne mit dem Rednerpult unbesetzt blieb. Die Polizei musste  den Zugang wegen  Überfüllung  sperren.

Die  zahlenmäßig überlegenen Mitglieder  des Reichsbanners rechneten nicht mit einer gewaltsamen Auseinandersetzung, im Vorfeld waren sie   aufgefordert worden, keine Waffen oder waffenähnliche Gegenstände mit in die Versammlung zu bringen und   Ruhe zu bewahren.  Weiterhin hatte man   vereinbart, im Lokal keine Getränke zu bestellen, damit   Gläser nicht als Wurfgeschosse eingesetzt werden konnten. Bei massiven mündlichen Attacken seitens der Nazis wollte man den Saal als geschlossene Gruppe unter Absingen der Nationalhymne  verlassen.

Vor der  Veranstaltung hatten  mehr als 150 Nazis mit Hakenkreuzfahnen einen Werbezug  durch Engelskirchen unternommen.  Als die örtlichen Nationalsozialisten  und weitere mit der Eisenbahn aus Köln angereiste Parteigenossen in Engelskirchen vor dem Veranstaltungslokal eintrafen, wurde ihnen durch die Polizei der Zutritt verwehrt, eben weil   im Saal kaum noch Sitzplätze  mehr frei waren.  Dieser Umstand führte zu einer steigenden Gereiztheit. Als dann der Veranstalter   nur noch Nationalsozialisten in den Saal lassen wollte, erhob sich lauter Protest auf der Gegenseite. Schließlich wurden die Hakenkreuzfahnen hereingetragen, begleitet von Heil-Rufen der Nazis und „Nieder“- und „Pfui“-Rufen des Reichsbanners.

Kurz danach erschien um 19.30 Uhr Robert Ley. Der Vertreter des Reichsbanners aus Köln hatte bereits vorher neben der Rednerbühne Platz genommen, um mit Redebeiträgen Stellung  zu beziehen. Inzwischen hatten sich die Nazis in den Gängen  postiert.  Um 19.40 Uhr begann die Veranstaltung vorzeitig, möglicherweise machte der überwiegend mit Reichsbannerleuten besetzte Saal den Nazifunktionär Ley und seine Mitstreiter nervös. Als dann noch der Anführer der Reichsbannerleute  sich mehrfach nach der Länge der Redezeit erkundigte, verlor  Ley die Fassung.

Tätlich angegriffen

Der anwesende Engelskirchener Polizeikommissar Blumberg stellte in seinem Bericht später den Ausbruch der Feindseligkeiten so dar: „Nach meinen Ermittlungen ist die Schlägerei dadurch entstanden, dass der Reichstagsabgeordnete Dr. Ley den ebenfalls anwesenden Gauleiter des Reichsbanners Wendeler aus Köln, als dieser das Wort zur Geschäftsordnung erbat, ohne weiteres tätlich angegriffen hat. Dr. Ley hat zuerst den Wendeler am Rock bzw. Schulter gefasst, ihn gerüttelt und ihn dann mit der Faust gestoßen. Dann übergab Dr. Ley den Wendeler seinen SA-Leuten zum Abtransport aus dem Saale. Nachdem Ley dann das Rednerpult wieder bestiegen hatte, ballte er die Faust und unter herausfordernden Heilrufen schlug er mit der Faust seitwärts, was anscheinend die Aufforderung zum Angriff gewesen ist.“ So der Protokollbericht des Kommissars  vom 26. Januar 1931.

Die SA-Männer im Saal stürzten sich  auf die Reichsbannerleute  und schlugen mit Gürteln, Stuhlbeinen,  Schlagringen, Stahlruten und Feldflaschen auf sie ein.  Aschenbecher flogen durch die Luft. Sogar mit Dolchen wurde von den Nationalsozialisten auf die unbewaffneten Anwesenden eingestochen, wie Opfer später bei der Polizei zu Protokoll gaben. In diesem Tumult wurden Nazis von ihren eigenen Leuten blutig geschlagen, wie Edmund Schiefeling in seinem Zeitungsbericht anmerkt.

Teilnehmer geraten in Panik

Die vier eingesetzten Polizeibeamten konnten die Schlägerei nicht unterbinden. In Panik verließen die Teilnehmer die Versammlung und wurden auf ihrem Weg nach draußen von den Nazis übel traktiert.   Edmund Schiefeling schreibt in der Bergischen Wacht: „Es war ein Glück bei allem Unglück, daß die Ueberfallenen keine Waffen bei sich hatten und nicht in der Absicht gekommen waren, die Versammlung zu sprengen und zu stören.“ Der Polizei gelang es erst vor der Gaststätte, die  Lager zu trennen. Die Anhänger des Reichsbanners versammelten sich danach vor der Höheren Schule in der Nähe des Bahnhofs.

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Die Nazis marschierten   in ihre Stammkneipe auf der Hardt. Auf ihrem Weg wurden sie vereinzelt mit Steinen beworfen. Am Ziel berieten sie sich   das weitere Vorgehen. Zeugen   informierten die Polizei darüber, dass einige Tage später ein großer Aufmarsch in Engelskirchen geplant wurde. Dazu sollten auch größere Abordnungen der SA aus Köln eingeladen werden.  Offenbar wollte man zeigen, dass die Straße in Engelskirchen allein den Nazis gehört. Polizeikommissar Blumberg gab in diesem Wissen eine Empfehlung an die höheren Stellen: „Eine beschleunigte Aburteilung der hier als Täter festgestellten Personen durch den Schnellrichter ist angebracht, damit hier weitere Zusammenstöße vermieden werden.“ Der Regierungspräsident in Köln verbot umgehend den geplanten zweiten Aufmarsch der Nationalsozialisten in Engelskirchen. Vorsorglich wurde geplant, Polizeikräfte an der Köln-Olper Chaussee in Ründeroth und Overath zu postieren, die alle trotz des Verbots anreisenden Nationalsozialisten durch Kontrollen aufhalten sollten. Edmund Schiefeling  sollte Polizeischutz  bekommen.

Schließlich akzeptierte die  NSDAP das Verbot der  Veranstaltung. Eine Verhandlung der Anzeigen gegen zwei nationalsozialistische Mitglieder wurde vor dem Schöffengericht am 8. April 1931 in Köln verhandelt.  Beide Beschuldigte wurden wegen Mangels an Beweisen freigesprochen.

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