Interview mit MusikerNico Walser erntet viel Lob für sein Neo-Klassik-Album

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In Hannover aufgewachsen, heute in Bellingroth heimisch: Nico Walser, Jahrgang 1965, hat im Oberbergischen Naturgeräusche aufgenommen und für sein Album verwendet.

In Hannover aufgewachsen, heute in Bellingroth heimisch: Nico Walser, Jahrgang 1965, hat im Oberbergischen Naturgeräusche aufgenommen und für sein Album verwendet.

Bellingroth – Nico Walser, Musiker und Kabarettist aus Engelskirchen-Bellingroth, eröffnete 1997 auf der Hauptbühne das allererste Hurricane-Festival. Jetzt erntet er für sein erstes Neo-Klassik-Album  international gute Besprechungen. Mit ihm sprach Torsten Sülzer.

Herr Walser, was ist Ihre korrekte Berufsbezeichnung?

Ich habe 30 Jahre lang davon gelebt, auf der Bühne zu stehen und 80 bis 100 Konzerte im Jahr zu spielen, als Musiker und Musikkabarettist. Ich mache seit einigen Jahren eine Bühnenpause, weil ich künstlerisch ein wenig Müdigkeit verspürt habe.

Dabei hatten Sie 2004 gerade den renommierten Quatsch-Comedy-Club-Preis gewonnen.

Ja, es klingt vielleicht seltsam, aber irgendwie war mir das nach 30 Jahren alles zu viel Routine geworden. Ich brauchte Veränderung, und die tut mir jetzt richtig gut.

Was hat sich geändert?

Nach der Geburt unseres Sohnes hat sich mein Arbeitsschwerpunkt geändert. Ich habe mir als Mixing-Engineer und Bandcoach einen Namen gemacht. Ich mische Musik anderer Künstler und helfe mit, dass sie besser klingt. Ich arbeite auch viel mit Newcomern zusammen.

In welchen Genres?

Ein Schwerpunkt ist Progressive Rock, der andere Liedermacher, Singer/Songwriter und Musikkabarett. Zudem macht das alles Spaß, weil ich mal nicht selbst im Mittelpunkt stehe, sondern der Vision eines Anderen zuarbeite.

Und das geht in Bellingroth?

Ja, es ist quasi Home-Office. Ich wollte kein abwesender Vater sein. Ich wollte nicht, dass mein kleiner Sohn, wenn er mich mal zu Gesicht bekommt, fragt: Wer ist das denn? Ich habe ein sogenanntes digitales Tonstudio. Bei mir kann also eine Band kein Schlagzeug oder Ähnliches aufbauen und einspielen. Ich bekomme die Aufnahmen zugeschickt.

Haben Sie denn schnelles Internet in Bellingroth?

Nee! (lacht). Nee.

Also bringt Ihnen der Briefträger die Musik ins Haus?

Tatsächlich ging das bis vor zwei Jahren immer per Post mit Daten-Sticks hin und her. Inzwischen nutze ich einen Anbieter, der auch bei langsamer Internetverbindung stabil ist, so dass ich die aktuellen Aufträge übers Netz bekommen und versenden kann. Aber ich hoffe schon sehr, dass es in den nächsten ein, zwei Jahren klappt mit dem schnellen Internet in Bellingroth. Andererseits: In Bellingroth schaue ich bei der Arbeit in den traumhaften Garten meiner Schwiegereltern, das ist auch inspirierend. Wer hat das schon?

Sie wohnen seit 2014 in Bellingroth. Haben Sie Kontakt zu anderen Künstlern in Oberberg?

Ja, hier gibt es viele aus ganz unterschiedlichen Sparten. Schauspieler, Musiker, zum Beispiel Bernt Laukamp, der früher bei der WDR-Big-Band war und unter anderem als Veranstalter tätig ist. Und auch über meine Schwiegereltern Ingrid und Hans-Otto Müller, die bei Engelsart in Engelskirchen aktiv sind, habe ich Kontakte geknüpft.

Sie selbst haben Musikgeschichte geschrieben, als Sie 1997 mit Ihrer Band „Weltempfänger“ das erste Hurricane-Festival im niedersächsischen Scheeßel auf der Hauptbühne eröffnet und unter anderem Rammstein kennengelernt haben.

Hinter der Bühne hatten wir uns mit denen einen Trailer als Garderobe geteilt. Die benahmen sich so furchtbar! Da war ich bereits 32, und Rammstein im ähnlichen Alter haben sich immer noch geriert wie pubertierende Punks. Das war schon recht würdelos.

Jetzt haben Sie mit „ghosts of forsaken ships“ ein Neo-Klassik-Album veröffentlicht. Wie kam es dazu?

Eine Affinität zur klassischen Musik des 20. Jahrhunderts hatte ich bereits als Teenager, damals zu meinen Punkzeiten. Vor zehn Jahren habe ich dann mehrere Leute für mich entdeckt, die ich großartig finde. Da tauchte zum ersten Mal der Begriff Neo-Klassik oder Post-Klassik auf, und ich dachte: Wow, das ist genau mein Ding! Die arbeiten symphonisch, haben aber Elektronik-Elemente mit drin, und teilweise hat es was von Filmmusik. Max Richter ist für mich einer der ganz Großen oder Nils Frahm aus Berlin.

Ist das Album komplett in Bellingroth entstanden?

Ja. Ich war auch mit meinem Handy-Rekorder unterwegs und habe alles Mögliche aufgenommen. Die Klänge, die ich hier auf dem Land finde, baue ich in meine Instrumentalstücke ein. Mein Schwiegervater, der sich hier gut auskennt, hat mir zum Beispiel gesagt, wo ich in Kaltenbach den Specht aufnehmen kann. Der Specht ist nun auf dem Album zu hören.

Und das murmelnde Bächlein, das man auch hört?

Ich habe in Ründeroth die Agger aufgenommen. Und die Schwimmgeräusche sind aus einem Weiher, da bin ich quasi um das Aufnahmegerät herumgeschwommen.

Und wie kam ihr Album jetzt zu der Rezension im amerikanischen XLR8R-Magazin?

Ich hab’s online an relevante Musikmagazine und Blogs bemustert und wollte gucken, was passiert. Ob eine Rezension erscheint oder nicht, ist glaube ich auch einfach Glück. Den Journalisten vom XLR8R hat das Album nachts erreicht, der hat das dann nebenbei laufen lassen. Und das Tolle ist: Der XLR8R ist zumindest in den USA ein namhaftes Magazin. Wenn man erst mal so einen Anker geschlagen hat, gucken natürlich auch andere Magazine hin. Das ist für mich nun ein Türöffner.

Merken Sie schon, dass das funktioniert?

Ja. Ich habe das Album bei Bandcamp im Internet veröffentlicht und ich kann nachsehen, woher die Hörer kommen. Und als das im XLR8R erschien, habe ich – mit einem Tag Versatz – direkt einen Riesensprung in der Statistik gehabt, mit Aufrufen aus USA und Kanada.

Ist das Album live aufführbar?

Ich weiß es noch nicht. Ich drehe gerade kurze Videofilme zu den Stücken, in und um Bellingroth. Das wäre auch ein Weg, es auf die Bühne zu bringen. Mich nur ans Klavier zu setzen, dafür bin ich als Konzertpianist nicht gut genug.

https://giantskeletons.bandcamp.com/releases

Infos zum Künstler

Nico Walser, eigentlich Norbert Walser, wurde 1965 im Allgäu geboren, wuchs  in und um Hannover auf, wo er zur Punk-Szene gehörte. Vor zehn Jahren beschlossen Walser und seine Frau, die aus Engelskirchen-Bellingroth stammt,  in deren alte Heimat zu ziehen. Dort leben sie  heute mit  dem  Sohn (6).

Früher stand Walser  auf der Bühne, war Gründer und Sänger von Bands wie  „Walser & die Geschmacksverstärker“ (Gewinner Deutscher Rockpreis 1990) oder „Weltempfänger“, mit denen er 1995 Vorband bei der  „Fury in the Slaughterhouse“-Tour war und später Musikgeschichte schrieb: Die Band hat 1997 vor 30 000 Menschen das erste Hurricane-Festival in Scheeßel  eröffnet.  Später brachte er als  „Code Blue“ zwei Triphop-Alben heraus. 2002 wandte er sich dem Musiktheater und -Kabarett zu, gewann  2004 den Quatsch-Comedy-Club-Wettbewerb in Berlin, veröffentlichte 2009 das satirische Hörbuch  „Pantoffel Punk“. Seit  sechs Jahren arbeitet  Walser im eigenen Digital-Studio. 

Vor  zehn Jahren entdeckte er die Neo-Klassik für sich, über die die Wochenzeitung „Die Zeit“ schrieb: „Punk ist zurück, sitzt aber am Klavier.“ 2015 lieh der Engelskirchener Musiker Bernt Laukamp Walser einen mehr als 100 Jahre alten Duysen-Flügel, dessen dunkler Klang  Walser zu  Experimenten animierte. Ergebnis: Unter dem Namen „Giant Skeletons“ veröffentlichte er das Album „ghosts of forsaken ships“, das als Neo-Klassik, Ambient, Instrumental Electronica und Kosmische Musik gelistet ist.

Das Album wird international sehr positiv aufgenommen: Das US-Online-Musikmagazin xlr8r.com nennt es  „gorgeous“ (großartig). Das kanadische Magazin  textura.org (Jazz, Klassik, Elektronik) schwärmt schwer übersetzbar von „Walser’s phantasmagoric sensibility“, schreibt von Klanggemälden sowie von anregend-unberechenbarer Musik. (sül)

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