Zeitreise zum ZuhörenBellingrother arbeitet an „Audio-Geografie“ von Engelskirchen

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In freier Wildbahn sammelte Nico Walser (56) selbst die Töne, Klänge und Geräusche ein – hier zum Beispiel von Bienen.

In freier Wildbahn sammelte Nico Walser (56) selbst die Töne, Klänge und Geräusche ein – hier zum Beispiel von Bienen.

Bellingroth – Nico Walser war selbst skeptisch, ob seiner Engelskirchener „Audio-Geografie“, gespickt mit Klangcollagen, vielleicht doch zu experimentell ist, um auf ein breites Echo zu stoßen. Inzwischen hat er gemerkt, „dass das doch ein Thema ist“. Etwa, wenn er vorab in Sozialen Medien erste Ergebnisse veröffentlicht hat. „Das habe ich nicht erwartet, das freut mich total.“

Sein Album „Von Belkinrode nach Bellingroth“ ist in den vergangenen Monaten prächtig gediehen. „Es ist fast alles fertig, es fehlen nur noch kleine Puzzleteile, die ich aber wichtig finde.“ Eigentlich müsste der 56-Jährige das Album, das 13 Titel mit einer Gesamtlaufzeit von 50 Minuten umfassen wird, erst Ende Juni vorlegen. Das sehen die Statuten des Musikfonds Berlin vor, der das Album finanziell fördert (wir berichteten). Aber Walser möchte das Werk schon im Mai veröffentlichen. Er hofft auf Rezensionen internationaler Fachmedien – würde sich auch beim Musikfonds gut machen.

Andere Klänge in Pandemiezeiten

Coronabedingt wird er einige Aufnahmen wohl nicht machen können, deren Sounds er noch einbauen wollte – in der Schnellenbacher Grundschule etwa, oder bei Dörrenberg Edelstahl. Andere Klänge lassen sich auch in Pandemiezeiten sammeln. „Jetzt gerade war ich unterwegs, um Kaugummiautomaten aufzunehmen.“ Sein neunjähriger Sohn durfte die Automaten ausprobieren, während Papa Nico den Klang aufnahm – als Eröffnungssequenz für das Stück „Abenteuer auf dem Hof“. Das beinhaltet auch lärmende Kinder. Auf die Idee habe ihn eine Leserin dieser Zeitung gebracht, erklärt Komponist und Multiinstrumentalist Walser.

An dieser Stelle hatte er im Januar um Hinweise auf außergewöhnliche Klänge gebeten und einige Tipps bekommen. „Eine Leserin wies darauf hin, dass es schön wäre, wenn auch Kinder zu hören wären. Ich war so fixiert auf Natur und Fabrik, aber natürlich: Ich möchte und muss auch die Menschen abbilden. Und wenn ich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft drin haben will, dann sind Kinder perfekt, um die Zukunft abzubilden.“ Sieben oder acht Leserhinweise hat der Bellingrother verfolgt, die Klänge aufgenommen und in seinen Klangcollagen verwoben. „Ich war sehr dankbar für die Hinweise, vor allem zur hiesigen Vogelwelt.“ Mit seiner Ausrüstung ging er tatsächlich auf die Pirsch, spürte dem Rotmilan nach. „Der war mir vorher nie aufgefallen. Jetzt sehe ich ihn ständig. Man hört ihn jetzt in dem Stück ,Stille fällt auf Castor’, kurz vor den Bienen.“

Grüße über den Gartenzaun

Industriell geht es hingegen in der Stahl-Sinfonie zu. Vor Corona aufgenommene stampfende Maschinen-Sounds verbinden sich mit Klängen der Büroarbeit: Walser arbeitete den Sound alter Faxgeräte ein, die vertrauten Biiip-Laute des Frequenzwahlverfahrens beim Anrufen, sogar ein Fernschreiber und – irgendwie konsequent – die Stimme der telefonischen Zeitansage runden die Anmutung vergangener Arbeitswelten ab: „Beim nächsten Ton ist es – 15 Uhr – 41 Minuten – und 40 Sekunden –Piiiip“.

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Walser hat im Laufe der Arbeit an seiner Audio-Geografie eine Ausweitung der bespielten Zone über Bellingroth und Engelskirchen hinweg vorgenommen und wagt einen Blick über den Gartenzaun: „Ich wollte auch Einflüsse aus der Nachbarschaft einbauen“, erklärt Walser seinen Abstecher nach Kürten (Rheinisch-Bergischer Kreis) zu Karlheinz Stockhausen und nach Wolperath in Neunkirchen-Seelscheid (Rhein-Sieg-Kreis) zu Conny Plank. Beide Künstler hätten ihn sehr inspiriert, sagt Nico Walser. „Begegnet sind sich Conny Plank und Stockhausen mal flüchtig, aber zusammen gearbeitet haben sie nicht. Deshalb habe ich in ,51766 Nicht-Orte’ überlegt, was wohl gewesen wäre, wenn ... Der Titel ist ganz bewusst elektronisch angelegt, man hört Klänge, die man mehr so von Kraftwerk aus den 70ern kennt.“ Kraftwerk, sagt Walser, sei wie Ultravox oder Ideal eine von vielen international gefeierten Bands, die bei Plank in Wolperath aufgenommen haben.

„Von Belkinrode nach Bellinroth“ erscheint am Dienstag, 11. Mai, auf Nico Walsers Bandcamp-Seite. https://giantskeletons.bandcamp.com

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