Geschichte in OberbergWie die Aggertalsperre eine ganz besondere Premiere erlebte

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Die Aggertalsperre war Schauplatz des historischen Ereignisses.

  • 1931 ergab sich die Chance, den Erholungssuchenden an der Aggertalsperre ein neues Vergnügen anzubieten: Ein Wasserflugzeug für Rundflüge wurde getestet
  • Ein neuer Teil unserer exklusiven Serie zur Geschichte in Oberberg.

Gummersbach – Gischt schäumt hoch, als am 17. Juni 1931 die Schwimmer des Wasserflugzeugs auf der Wasserfläche der Aggertalsperre aufsetzen. Mit immer langsamer werdendem Propeller erreicht der „Globetrotter“ wie ein stolzer Schwan das neu gebaute Holzfloß, das die Brücke zum Ufer bei Bredenbruch bildet. Ob sich die Passagiere der Bedeutung ihres Fluges bewusst sind? Zum ersten Mal ist in Deutschland ein Flugzeug auf einem Stausee gelandet.

Auf der Seite der Motorhaube des sechssitzigen und zehn Meter langen Kleinflugzeugs Bauart Junkers F 13 konnten die Zuschauer die Kennung D-833 lesen. Das kleine Flugzeug war schon viel herum gekommen: im Bäderdienst an der deutschen Nordseeküste, als Begleitmaschine für die Dampfer „Ozeana“ und für das Atlantikschiff „Columbus“, das es auf seiner Weltreise mitgenommen hatte.

Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatten sich die bergischen und oberbergischen Gemeinden und Städte erfolgreich bemüht, die Stadtbewohner zur Erholung ins Umland zu locken: raus aus den stickigen Städten in die frische Luft der Natur. Seit 1929 bot die 20 Millionen Kubikmeter fassende Aggertalsperre ideale Bedingungen für sportliche Betätigung aller Art: Man konnte herumwandern, im Sommer baden, paddeln und segeln und im Winter Eissport treiben. Fast parallel mit der Fertigstellung der Aggertalsperre ging auch die damals modernste Jugendherberge auf dem Hackenberg in Betrieb. Sie sollte wegweisend für den Herbergsbau in ganz Deutschland werden.

Mehrere Todesfälle in Folge

Das Oberbergische setzte auf Feriengäste, nachdem Textil-, Eisen- und Steinbruchindustrie in arge Bedrängnis gekommen waren. Im „Verein Bergisch Land“ fand man sich zusammen. in der Engelskirchener Zeitung „Bergische Wacht“ wurde das Vereinsziel beschrieben: „So haben sich Männer und Frauen, die von der Liebe zu ihrer schönen Heimat erfüllt waren, zusammengefunden, um durch Erschließung der Heimat, eifrige Werbung, durch Schaffung von günstigen Verbindungen Fremde heranzuziehen und so einen neuen Erwerbszweig für das Land und seine Bewohner zu schaffen“.

Leider geschahen auf und an der Talsperre in kurzer Zeit hintereinander tödliche Unglücke. Unvorsichtige Touristen ertranken in der Sperre und wurden nach tagelanger Suchaktion tot geborgen. Bei der Bergung der Opfer gerieten auch noch die Taucher in Lebensgefahr. Der Gummersbacher Landrat Dr. Gustav Haarmann reagierte umgehend und verbot sämtliche Wassersportarten in und auf den öffentlichen Gewässern. Das Verbot stieß auf den energischen Widerstand der bergischen Kommunen, die ihre Bemühungen um die Ankurbelung des Tourismus behindert sahen. Jedoch blieb der Landrat bei seiner Ablehnung.

Neue Attraktionen für die Städter mussten her. 1931 ergab sich die Chance, den Erholungssuchenden an der Aggertalsperre ein neues Vergnügen anzubieten: Ein Wasserflugzeug für Rundflüge wurde getestet. Solch eine Attraktion gab es noch nicht im weiteren Umkreis.

Die Aggertalsperre bildete mit ihren drei Wasserarmen eine perfekte Landefläche für die kleine Junkers-Flugmaschine der Berliner Firma Luftdienst. Die Rheinflugdienstgesellschaft prüfte die Wasserfläche auf ihre Tauglichkeit als Start- und Landefläche für kleine Wasserflugzeuge. Ziel dieses Versuches war der Aufbau eines regionalen Flugbetriebs „Wasserluftdienst Köln – Aggertalsperre“ einschließlich Rundflüge über dem Oberbergischen. Die Tochtergesellschaft der „Luft Hansa GmbH“ (offizielle Schreibweise bis 1933) erfuhr Unterstützung: Die um die Aggertalsperre liegenden Gemeinden Bergneustadt, Gummersbach, Lieberhausen, Marienheide und Meinerzhagen stellten trotz ihrer katastrophalen Finanzen die geforderte Kaution.

Besondere Beachtung verdient, dass sich der Fabrikant Emil Engels aus Engelskirchen als Einzelperson am Zustandekommen der Bürgschaft beteiligte. Eingeleitet wurde die Flugwoche durch einen Demonstrationsflug vom Rhein bei Köln zur Aggertalsperre für die Presse aus Köln und dem Oberbergischen am 17. Juni. Während des Überfluges von Köln nach Gummersbach wurden 20 000 Werbezettel über dem Aggertal abgeworfen. Auch Heinz Mühlenweg von der „Gummersbacher Zeitung“ kletterte in die Junkers. Nach der Landung berichtete er enthusiastisch über das außergewöhnliche Erlebnis.

Beim ersten Flug und anschließender Landung auf dem Genkelarm der Aggertalsperre stellte sich heraus, dass die Bäume der umsäumenden Uferzone zu nahe an der Wasserfläche standen. Damit konnte der erforderliche Sicherheitsabstand nicht eingehalten werden. Es wurde schließlich eine Landefläche in der Nähe von Bredenbruch ausgewählt.

Bei einem weiteren Flug bestiegen der Gummersbacher Bürgermeister Dr. Hermann Kempkens und seine Ratskollegen hoffnungsfroh den Flieger. Aus lauter Begeisterung, so wird berichtet, animierte das Stadtoberhaupt weitere Ratskollegen und die Feuerwehr, das Oberbergische Land von oben zu betrachten. Während der Flugwoche an der Aggertalsperre vom 26. bis 30. Juni, verlängert noch um mehrere Tage, gingen rund 500 Passagiere, darunter 60 Schulkinder, in die Luft. Das epochale Ereignis bannte ein Lüdenscheider Fotograf auf Tonfilm. Start und Landung des Junkersflugzeuges auf der Aggertalsperre wurden bei der Ufa-Wochenschau in Kinos in ganz Deutschland gezeigt.

Rund um den Landeplatz bei Bredenbruch wurde eine Zone für Zuschauer geschaffen. Denjenigen, die das Geld für einen Flug nicht hatten, blieb das Zuschauen. Aber auch das kostete Geld: 50 Pfennige für Erwachsene, 20 Pfennige für Kinder. Mitfliegen konnte nur, wer sich telefonisch bei der „Gummersbacher Zeitung“ angemeldet und zehn Mark bezahlt hatte. Das war nicht wenig für ein weniger als 15-minütiges Vergnügen. „Viel Geld, viel zu viel für allzu viele. Leider, leider“, bedauerte auch „Wacht“-Redakteur Edmund Schiefeling. „Aber wer es erschwingen kann, der soll nicht zögern, einen Flug zu wagen.“

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Redakteur Schiefeling selbst nahm die einmalige Chance wahr, die Heimat aus der Vogelperspektive zu betrachten. So entstand ein emotionales Protokoll seiner Eindrücke (siehe Kasten). Den Bericht schloss Redakteur Schiefeling mit dem Appell: „Laßt euch diese nicht rasch wiederkehrende Gelegenheit nicht entgehen, einen Flug über die engere Heimat zu machen“.

Nach jeder Landung steuerte der Pilot seine Junkers nahe an das Floß heran. Die Flugpassagiere kletterten umständlich über den Flügelansatz und über eine Leiter auf das Floß. Die nächsten Fünf warteten bereits gespannt hinter der Absperrung. Bald erhob sich der „Globetrotter“ von der Wasseroberfläche und kurvte wieder hoch über der Sperrmauer in Richtung Gummersbach.

Die Weltwirtschaftskrise verhinderte, dass die Vision eines regionalen Luftverkehrs mit Landungen auf Seen oder Stauseen Wirklichkeit wurde. Der „Globetrotter“ blieb fast 14 Tage im Oberbergischen. Dann verlegte die Lufthansa seinen Einsatzort in die Eifel und drehte über der Urfttalsperre und dem Laacher See seine Runden.

„Ein merkwürdiges Gefühl“

Edmund Schiefeling, Redakteur der in Engelskirchen erscheinenden Zeitung „Bergische Wacht“, nahm an einem der Flüge teil und berichtete von seinem Abenteuer: „Nun geht’s der sinkenden Sonne nach. Vor uns Gummersbach, das wir in 600m Höhe überfliegen. Prachtvoll liegt es da. Jedes Haus ist zu sehen, jeder Garten, die öffentlichen Gebäude, die Kirchen, die Straßen und die verschlungenen Wege nach den Nachbarorten. Immer neu ist das Spiel der Felder und Wälder. Auch Autos sieht man und Kühe, aber keine Menschen. Wunderbar die engen Täler, in die man ohne Hindernis hineinschaut und deren Verlauf und Verhältnis zu anderen Tälern oft ganz anders ist, als wie man es sich vorher dachte. Gleich unter und vor und neben sich sieht man Höhenzüge und Täler mit unvorstellbarer Deutlichkeit. Darüber hinaus aber verschwinden Höhen und Tiefen zu einer Ebene. Ganz eigenartig sehen Wiesen aus, auf denen das Gras gemäht noch in Mahden liegt; es erinnert an eine Stickerei oder Eisblumen. Auch in Steinbrüche sieht man von oben herab herein.“ Schiefeling entdeckte Müllenbach und Marienheide. „Und immer wieder dieses Schachbrett von Feldern und Wiesen“, bemerkt er entzückt. Ründeroth wurde schnell erreicht, „das auch von hier oben den Ruf, einer der schönsten Orte des Oberbergischen zu sein, nicht verleugnet“.

Da das Flugzeug sich so nah an Engelskirchen befand, versuchte Schiefeling den Piloten zu überreden, ganz dorthin zu fliegen. Der erfüllte zwar den Wunsch, aber aus Zeitgründen konnte er nicht über Engelskirchen kreisen, sondern drehte über der Hardt wieder ab. In seinem Bericht über das Flugerlebnis schreibt Schiefeling: „Es ist ein merkwürdiges Gefühl, zum ersten Male über seiner engeren Heimat zu schweben. Wie schön sie ist!“ Im Überschwange der Gefühle öffnet er ein Schiebefenster und wirft Zettel, mit Grüßen bekritzelt, hinaus. Überschwänglich beschreibt er die oberbergische Landschaft, die von den Strahlen der untergehenden Sonne in warmes Licht getaucht wird: „Immer wieder taucht die Agger auf, wie sie sich durch das Tal windet, von der flinken Sonne zum Blitzen und Leuchten gebracht.“ Unermüdlich schweift sein Blick in die Ferne, fieberhaft versuchte er, so viel wie möglich, bekannte Dörfer und Örtchen wiederzuerkennen, während der Flugzeugführer zum Landeort zurücksteuerte: „Weit dahinter, viele, viele Kilometer lang der Rhein und die Eifel. Ganz deutlich hebt sich das Siebengebirge ab. Ich hatte genug zu tun, Lindlar und sein Hinterland, das Leppetal, Frielingsdorf, Gimborn, Much, Marialinden und Overath auszumachen.“ Als der Flieger zur Landung ansetzte, hatte der Pilot das vorgesehene Zeitkontingent deutlich überzogen. (rup)

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