Abo

16 Millionen Euro suchen BesitzerWie dieser Glücksbote auf die Suche nach Erben geht

Lesezeit 4 Minuten
Kai Radek

Bei der Heredium Er­be­ner­mitt­lung in Windhagen arbeitet Ge­schäfts­füh­rer Kai Radek mit einem Team von 22 Mit­ar­bei­tern. Sie re­cher­chie­ren auch in alten Adress­bü­chern.

Gummersbach-Windhagen – Der Glücksbote war nicht willkommen. Die ältere Dame wollte dem Mann an ihrer Tür in Duisburg partout nicht öffnen. Dieser wandte sich daraufhin hilfesuchend an die Polizei. Doch die Beamten misstrauten ihm zunächst ebenfalls und wollten ihn zum Betrugsdezernat bringen. Dann begleiteten sie ihn zu der unwilligen Erbin. Aber auch mit polizeilicher Unterstützung gelang es dem Erbenermittler nicht, die Seniorin davon zu überzeugen, den Geldsegen in Höhe von 300 000 Euro anzunehmen.

Solche Vorbehalte begegnen Kai Radek und seinen Mitarbeitern nicht selten. Der 48-jährige Marienheider ist Geschäftsführer der Heredium Erbenermittlung (von lateinisch heres = Erbe) mit Sitz in Gummersbach-Windhagen. Die Zunahme von Betrugsversuchen übers Telefon oder Internet (oder per Brief aus Hongkong, wie kürzlich in dieser Zeitung berichtet) nährt das Misstrauen besonders von älteren Leuten, wenn ihnen ein unverhofftes Erbe angeboten wird. Auch im Raum Gummersbach, versichert Radek, gebe es mehrere Fälle, in denen die Erben das Angebot seiner Firma noch nicht angenommen hätten.

Der Erbermittler als Detektiv

Um so mehr bemüht sich Radek um Seriosität. Seine Auftraggeber sind in der Regel Anwälte, die im Auftrag eines Amtsgerichts den Nachlass eines Verstorbenen verwalten. Wenn die Nachlasspfleger keinen oder nicht alle Erbberechtigten identifizieren können, beginnt die Detektivarbeit des Erbenermittlers. Und die kann aufwendig sein.

Zur 22-köpfigen Mannschaft von Kai Radek gehört eine ganze Reihe von studierten Historikern. Fachleute, die in staatlichen Archiven recherchieren und Sütterlin-Eintragungen in alten Kirchenbüchern entziffern können. Am Standort Gummersbach verfügen die Rechercheure über eine umfangreiche Bibliothek mit mehr als 100 Jahre alten Adressbüchern aus ganz Deutschland. Nur 40 Prozent der etwa 250 Fälle pro Jahr, mit denen sich die Ermittler zumindest im Anfangsstadium beschäftigten, werden am Ende gelöst.

Ein seriöser Anbieter würde nie einen Vorschuss verlangen oder wie die Internetbetrüger als erstes die Kontodaten abfragen. Die Heredium-Erbenermittler kommen nur auf ihre Kosten, wenn der oder die irgendwann und irgendwo identifizierten Erben am Ende tatsächlich etwas erben. Denn das vertraglich vereinbarte Honorar ist ein Anteil am Erbe. „Wir bearbeiten darum nur positive Fälle“, versichert Radek. „25 Prozent von nichts ist nichts.“

Aufwand muss sich lohnen

Wenn es sich um einen Exklusivauftrag handelt, kann der Anteil bis zu 33 Prozent der Gesamtsumme betragen. Wird der Nachlass dagegen öffentlich bekannt gemacht, treten meist mehrere konkurrierende Erbenermittler auf den Plan und drücken die Preise. Erbenermittlung wird dann zum Wettrennen.

Für Heredium gilt, dass die Erbmasse mindestens 50 000 Euro wert sein muss, sonst lohnt sich der Aufwand nicht. Im Gegenzug bekommen die Kunden eine Dokumentation mit allen erforderlichen Urkunden und Stammtafeln, die für den Erbscheinantrag erforderlich sind. Kai Radek spricht von einem „All inclusive“-Service.

Kontaktaufnahme erfordert Fingerspitzengefühl

Die höchste Erbsumme der Firmengeschichte betrug 16 Millionen Euro, verrät Kai Radek – mit dem Schönheitsfehler, dass der ermittelte Erbe am Ende keinen Vertrag unterzeichnen wollte. „Das muss man sportlich sehen“, sagt Radek.

Die erste Kontaktaufnahme mit dem ermittelten Erben verlangt Fingerspitzengefühl. „Man muss eine persönliche Gesprächsebene finden“, sagt Radek. Zur Vertrauensbildung gibt der Ermittler den Namen des Verstorbenen, aber nicht alle seine Informationen preis. Es liegt in der Natur des Geschäfts, dass es oft sehr entfernte Verwandte sind, die von der Existenz des Erblassers nichts (mehr) geahnt haben.

Stammbaum oft wichtiger als das Geld

Manchmal führt die Verwandtschaftsbeziehung über Geschwister der Großeltern, die noch im 19. Jahrhundert geboren wurden. Und auf dieser Ebene wird eine Ahnentafel sehr breit, die Erbfolge komplex. Das Erbrecht unterscheidet „voll- und halbbürtige“ Nachkommen, der Erbanteil ist Ergebnis einer komplizierten Bruchrechnung. Nicht selten sind mehr als ein Dutzend Nachkommen erbberechtigt. Wenn wie in einem aktuellen Fall 3,5 Millionen Euro zu verteilen sind, kommen dennoch pro Nase erkleckliche Summen zusammen.

Manchmal ist den Erben der Stammbaum wichtiger als das Geld. Und manchmal gibt es rührende posthume Familienzusammenführungen. Kai Radek erinnert sich an unbekannte Halbgeschwister und verschollene Mütter. Und an Moralapostel mit unehelichem Kind.

Das könnte Sie auch interessieren:

Die mit der Corona-Pandemie verbundenen Zugangsbeschränkungen in den Archiven haben dem Geschäft einen Dämpfer verpasst. Doch das Jahr 2019 war das beste der Firmengeschichte. An der Zukunft der Erbenermittlung zweifelt Kai Radek nicht. „In Deutschland wird ja immer mehr vererbt.“ Das Gesamtvolumen beziffert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung auf jährlich bis zu 400 Milliarden Euro. Und nicht selten muss der passende Erbe noch gefunden werden.

Rundschau abonnieren