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Rosen für das AmtsgerichtClaudia Krieger über die Arbeit der Justiz in der Pandemie

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Claudia Krieger.

Claudia Krieger.

Gummersbach – Claudia Krieger ist seit 2013 Direktorin des Amtsgerichtes Gummersbach. In der Reihe „Alles was Recht ist“ sprach Frank Klemmer mit ihr über die Auswirkungen der Pandemie auf die Justiz – sowohl im Arbeitsablauf als auch in der Rechtsprechung.

15 Monate Corona-Pandemie: Welche Auswirkungen hatte das auf die Arbeit des Gummersbacher Amtsgerichtes?

Claudia Krieger: Ziemlich erhebliche Auswirkungen, vor allem am Anfang. Wir sind ja erst vor zwei Jahren in unser neues Gebäude gezogen. Die Kinderkrankheiten, die es nach einem Umzug immer gibt, waren also gerade erst beseitigt – und dann kam Corona.

Was bedeutete das für Ihre Arbeit?

Vor allem in den ersten Wochen waren wir gehalten, den Publikumsverkehr stark herunterzufahren. Bis auf eilige Verfahren wurde alles vertagt. Wir haben Hygienekonzepte entwickelt und Spuckschutzwände in den Büros und Sälen installiert. Den Sitzungsbetrieb haben wir entzerrt, und wir verhandeln Verfahren in größeren Sälen, wenn es mehrere Angeklagte und Verteidiger oder viele Beteiligte in Familienverfahren gibt.

Außerdem haben wir Räume für Antragsaufnahmen eingerichtet und die Notwendigkeit von Terminvereinbarungen eingeführt, um den Publikumsverkehr auf den Büroetagen zu reduzieren. Vor allem aber haben wir in den ersten Wochen festgestellt, wie systemrelevant die Justiz als tragende Säule des Staats ist.

Inwiefern?

Ich meine nicht nur die Notwendigkeit, zivil- und strafrechtliche Verfahren durchzuführen, sondern vor allem auch wichtige Bereiche wie das Grundbuchamt oder die Nachlassabteilung. Ohne Grundbucheintrag kann keine Grundstücksveräußerung erfolgen, ohne Erbschein können die Erben nicht über den Nachlass verfügen.

Und welche Rolle spielte das Homeoffice?

Das traf uns erst einmal unvorbereitet. Die Richterschaft hatte kein Problem damit, da sie schon vorher einen Teil ihrer Arbeit am heimischen PC erledigt und Akten dafür mit nach Hause genommen hat. Aber in allen anderen Bereichen hatten wir damit keine Erfahrungen. Und auch nicht die Voraussetzungen: Wir in Gummersbach warten ja noch auf die Umstellung auf die elektronische Akte.

Das Amtsgericht Wipperfürth war Pilotgericht für die elektronische Akte in Zivilsachen, auch Waldbröl hat sie inzwischen eingeführt. Bei unserem Amtsgericht erfolgt die Einführung frühestens im Jahr 2022. Das heißt, dass wir immer noch mit Papierakten arbeiten und die Mitarbeiter deshalb zunächst noch keine eigenen Notebooks hatten.

Wie schnell hat sich das geändert?

Es hat ein bisschen gedauert, das Problem war vor allem die Verfügbarkeit der Technik. Wir haben die notwendige Dienstvereinbarung geschlossen und seit Januar sind wir mit Notebooks oder PCs für zu Hause ausgerüstet. Dennoch hatten wir schon im Sommer 2020 noch vor der zweiten Welle viele ermuntert, zumindest einen Teil der Arbeit von zu Hause aus zu erledigen.

Inzwischen sind etwa zwei Drittel der Mitarbeiter zeitweise im Homeoffice, zumindest tageweise. Wir haben es geschafft, dass die, die vor Ort sein müssen, coronakonform in Einzelzimmern arbeiten können. Aber natürlich gibt es auch bei uns Bereiche, in denen Homeoffice unmöglich ist – wie in der Wachtmeisterei. Sitzungs- und Vorführdienste können nur in Präsenz wahrgenommen werden.

Hatten Sie denn Corona-Fälle in der Belegschaft?

Tatsächlich hatten wir nur sehr wenige Einzelfälle. In keinem Fall erfolgte eine Ansteckung bei der Arbeit im Gericht.

Kommen wir zum juristischen Teil der Pandemie: Haben Sie durch die Krise mehr Arbeit? Zum Beispiel im Bereich von Betrugsvorwürfen im Zusammenhang mit Corona-Hilfen?

Nein, exorbitante Anstiege gab es nicht. Es gab einige coronaspezifische Zivilverfahren, zum Beispiel aufgrund von Reisestornierungen und dem Ausfall von Veranstaltungen. Bei den Bußgeldverfahren waren Verstöße gegen die Maskenpflicht, Kontaktbeschränkungen und die Ausgangssperre zu verhandeln. Im Strafbereich kam es zu einer Anklage wegen Betrugs im Zusammenhang mit einer Maskenbeschaffung. Im Übrigen sind wir als Straf- und Zivilgericht kaum betroffen: Alle Maßnahmen des Staates, die zu Grundrechtseingriffen führen, werden vor den Verwaltungsgerichten verhandelt.

Dennoch sind auch vor dem Gummersbacher Gericht weiße Rosen abgelegt worden – zum „Gedenken“ an die vermeintlich beerdigten Grund- und Menschenrechte.

Das stimmt, das war eine Aktion vor einigen Wochen, die eine ganze Reihe von Gerichten in der Region erreicht hat. Es stand im Zusammenhang mit den Ermittlungen wegen des Vorwurfs der Rechtsbeugung gegen einen Kollegen vom Amtsgericht Weimar, der die Maskenpflicht an Schulen in einem familiengerichtlichen Verfahren als Kindeswohlgefährdung angesehen hat. Gegen ihn war Strafanzeige erstattet und ein Ermittlungsverfahren aufgenommen worden.

Ein spannende Frage: Wie weit dürfen Richter im Rahmen ihrer grundgesetzlich garantierten Unabhängigkeit gehen?

Die Grenzen sind klar: Wir sind an Recht und Gesetz gebunden. Wir Familienrichter in Gummersbach sind der Meinung, dass die Rechtmäßigkeit einer Maskenpflicht in Schulen vor dem Verwaltungsgericht zu verhandeln ist. Es geht um den Paragrafen 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Demnach kann ein Gericht von Amts wegen – also aus eigenem Antrieb und ohne Antrag eines Beteiligten – eingreifen, wenn es Hinweise hat, dass entweder die Eltern oder auch Dritte das Kindeswohl gefährden. Dritter kann aber nicht der Staat sein. Denn bei behördlichem Handeln ist das Verwaltungsgericht zuständig, nicht das Familiengericht.

Es klingt, als hätten Sie sich mit der Frage intensiv beschäftigt . . .

Ja, auch bei uns sind zwei Anregungen von Bürgern eingegangen, solche Verfahren nach Paragraf 1666 einzuleiten. Wir haben das im Kollegenkreis diskutiert und sind uns einig, dass die Rechtmäßigkeit der Maskenpflicht in Schulen nicht vor dem Familiengericht zu klären ist.

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Wie haben Sie als Beobachterin – und Juristin – den Umgang mit den Grundrechtseingriffen an den Verwaltungsgerichten erlebt?

Ich fand das Bild durchaus bunt. Es sind ja auch einige Eingriffe gekippt worden. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass die Justiz absolut verantwortungsvoll mit ihrer Rolle in dieser Pandemie umgegangen ist.

Was meinen Sie: Was bleibt von dem, was in der Pandemie notwendig war, wenn diese wirklich vorbei ist?

Was bleibt, ist auf jeden Fall der entspannte Umgang mit dem Homeoffice. Da entsteht eine neue Kultur. Derzeit besteht bei uns die Möglichkeit, bis zu 60 Prozent der Arbeit von zu Hause aus zu erledigen – natürlich nur auf freiwilliger Basis. Sehr gute Erfahrungen haben wir mit der nunmehr eingeführten Videokonferenztechnik gemacht.

Diese nutzen wir für Dienstbesprechungen und in mündlichen Verhandlungen für die Zuschaltung von Zeugen und Prozessparteien. Die Pandemie hat noch einmal deutlich gemacht, wie wichtig die Digitalisierung ist, gerade auch für die Justiz. Dem notwendigen Modernisierungsprozess haben die letzten Monate neuen Schwung verliehen.

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