Systemrelevante BerufeFrauen marschieren vorneweg

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Aufstehn für die Pflege: Die Streikenden zogen vom Kreiskrankenhaus durch die Stadt zur Kreisverwaltung.

Aufstehn für die Pflege: Die Streikenden zogen vom Kreiskrankenhaus durch die Stadt zur Kreisverwaltung.

Gummersbach – Ist die Corona-Krise nicht der falsche Zeitpunkt, um mehr Geld zu verlangen und dieser Forderung auch noch mit Warnstreiks Nachdruck zu verleihen? Im Gegenteil, meinen die rund 220 Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Demonstrationszugs, der die Tarifauseinandersetzung im Öffentlichen Dienst am Mittwoch in die Gummersbacher Innenstadt getragen hat. Gerade jetzt sei die Zeit für eine Anerkennung einer Arbeit gekommen, die allgemein als „systemrelevant“ bezeichnet, aber nicht angemessen entlohnt werde.

Zu den Streikenden gehörten auch wieder viele Pflegekräfte des Kreisklinikums. Das Gummersbacher Krankenhaus war dann auch die erste Station des Umzugs. Danach ging es aber zum Kreishaus, dem Sitz der größten Kommunalverwaltung in Oberberg.

Besondere Belastung

In Sichtweite des Rathauses wollte die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi dann ein Zeichen dafür setzen, dass in beiden Häusern Menschen arbeiten, die derzeit besonderen Belastungen ausgesetzt sind und Wertschätzung verdienen. Gewerkschaftssekretär Stephan Dreesbach: „Die Kolleginnen und Kollegen in den oberbergischen Kommunalverwaltungen sind es doch, die die Pandemie managen. Und sie machen einen guten Job.“

Das sieht Frank Baroth ganz genauso. Der Technische Sachbearbeiter bei der Immobilienwirtschaft des Kreises ist Mitglied des Personalrats und weist darauf hin, dass 77 Kollegen und Kolleginnen aus anderen Abteilungen beim Gesundheitsamt aushelfen, um die Corona-Krise zu bewältigen. „Und die übrigen Beschäftigten machen deren normale Arbeit mit.“ Er ärgere sich, dass die kommunalen Arbeitgeber die Angestellten mit einer Nullrunde abspeisen möchten. „Das wäre jetzt das falsche Signal. Es geht darum, die Berufe im Öffentlichen Dienst wieder attraktiver zu machen.“

Auf einem Transparent steht die Selbstbeschreibung „Weiblich, systemrelevant, unterbezahlt“. Auffällig viele Frauen finden sich unter den Streikenden. Anne Pampus schätzt, dass es 80 Prozent sind. Nicht ohne Grund, wie die Waldbrölerin weiß, die selbst in der Kreisverwaltung tätig ist. „Frauen sind in den unteren Gehaltstarifen überrepräsentiert, und das nicht nur in den Pflegeberufen.“

Pampus zeigt hoch zu den Fenstern des Kreishauses: „Dort sitzen die Kolleginnen, die derzeit den Laden am Laufen halten.“ Dagmar Thomas-Baldauf steht daneben und nickt. Die bei der Kreisverwaltung beschäftigte Technikerin streikt, um die Sozialberufe zu unterstützen. Und diese würden vor allem von Frauen ausgeübt: „Meine Tochter ist Physiotherapeutin an einer Klinik und verdient nur ein Bruchteil des Einkommens, das mein Sohn als IT-Experte hat.“

Dass die Beteiligung am Streik nicht größer ist, habe mit der besonderen Einsatzbereitschaft von Frauen zu tun, glaubt Thomas-Baldauf: „Sie fühlen sich in der Corona-Krise verantwortlich.“ Dazu passt, dass 35 Beschäftigte der Inneren Medizin des Klinikums in einem offenen Brief an die Geschäftsführung eine neue Notdienstvereinbarung fordern. Diese soll gewährleisten, dass die Beschäftigten ihr Streikrecht wahrnehmen können, ohne dass die Sicherheit der Patienten in Frage steht. Stattdessen werde derzeit „moralischer Druck“ ausgeübt, damit die Pflegekräfte eine personelle Unterbesetzung ertragen und den Betrieb aufrecht erhalten, beklagen die Unterzeichner: „Wir verbitten uns während der Streikauseinandersetzung jegliches Kontaktieren der Streikenden in ihrer Freizeit.“

Am 20. Oktober sind die Arbeitnehmer im Öffentlichen Dienst zu einer Kundgebung in Deutz eingeladen.

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