Hendrik Pilatzki„Wir haben noch keine Vorstellungen, was uns die Krise kosten wird“

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Die Lieferketten im Einzelhandel funktionieren, versichert Hendrik Pilatzki. Dennoch seien Engpässe derzeit unvermeidlich.

Die Lieferketten im Einzelhandel funktionieren, versichert Hendrik Pilatzki. Dennoch seien Engpässe derzeit unvermeidlich.

  • Hendrik Pilatzki ist Geschäftsführer der Engelskirchener Handelsfirma August Jaeger Nachf. und IHK-Vizepräsident.
  • Im Interview spricht er über die Auswirkungen der Coronakrise auf die Wirtschaft in Deutschland.
  • Und er erklärt, wieso Wortgefechte und Anfeindungen im Supermarkt aktuell an der Tagesordnung sind.

Oberberg – In unserer Reihe „Über Wirtschaft reden“ spricht Frank Klemmer mit Hendrik Pilatzki, Geschäftsführer der Engelskirchener Handelsfirma August Jaeger Nachf. und IHK-Vizepräsident, über die Herausforderungen in der Coronakrise.

Haben Sie sich Ihren Start als IHK-Vizepräsident auch nur annähernd so vorgestellt, Herr Pilatzki?

Mit Sicherheit nicht. Das ist gerade reines Krisenmanagement. Das neue Präsidium steht täglich im Kontakt, man kann sogar sagen: fast stündlich.

Was kann die IHK Köln in so einer Situation denn tun?

Vor allem eines: Kommunizieren. Die Betriebe brauchen Auskünfte, was jetzt passiert. Und da machen wir bisher auch einen guten Job, finde ich. Das zeigen auch die Rückmeldungen. Viel wichtiger ist aber, dass die Politik jetzt die richtigen Maßnahmen auf den Weg bringt. Da ist schon viel gesprochen worden, jetzt muss aber etwas getan werden. Eine unserer Forderungen ist ja schon aufgenommen worden: Die Stadt Köln hat den Unternehmen die Zahlung der Gewerbesteuer gestundet. Das würde ich mir auch in der gesamten Region wünschen – am besten flächendeckend, wie es in Bayern schon klappt.

Hendrik Pilatzki

Hendrik Pilatzki

Versprochen worden ist schon viel, aber glauben Sie wirklich, dass alle Unternehmen, die jetzt in Schieflage geraten, auch gerettet werden können?

Wenn Sie mich persönlich fragen: Ich glaube, wir haben noch überhaupt keine Vorstellung davon, was uns die Corona-Krise kosten wird. Auf Bundesebene war jetzt von 500 Milliarden Euro Hilfe die Rede: Das wird bei weitem nicht reichen. Und dann stellt sich die Frage, ob eine Wirtschaft, der so über Wochen hinweg die Luft zugeschnürt werden muss, danach wirklich wieder zu sich kommen kann.

Mit Ihren Hit-Märkten haben Sie im Augenblick ganz andere Probleme: Sie stehen mitten im Sturm. Wie ist die Lage?

Es ist eine Ausnahmesituation – etwas, das weder ich noch mein Vater so jemals erlebt haben. Nicht umsonst sprach die Bundeskanzlerin von der schlimmsten Situation seit Kriegsende. Sich auf die Lage einzustellen, ist schwierig. Natürlich haben wir für unseren ganzen Betrieb Pandemie-Sonderpläne erarbeitet. Natürlich arbeiten wir in getrennten Teams, damit wir weitermachen können, wenn ein Bereich unter Quarantäne gestellt wird. Gerade bei der Belieferung von Altenheimen arbeiten wir schließlich in einem hoch sensiblen Bereich. Aber auch in den Verbrauchermärkten ist die Situation extrem.

Wie nehmen Sie das wahr: Hamstern die Menschen immer noch?

Mit Hamsterkäufen sind wir meines Erachtens inzwischen durch. Trotzdem ist die Nachfrage nach wie vor extrem. Die Leute versorgen sich jetzt bei uns für den ganzen Tag, wo sie bisher morgens zum Bäcker, mittags in die Kantine und abends vielleicht zur Würstchenbude gegangen sind. Unsere Märkte sind dafür einfach nicht konzipiert. Wenn wir sonst zum Beispiel den Milchbedarf von 6000 Menschen decken, dann kommt es darin nicht vor, dass jemand mit 50 Litern H-Milch den Laden verlassen will.

Und wie klappt es mit den Nachlieferungen?

Die Lieferketten funktionieren, aber natürlich gibt es auch dort Engpässe. Wenn ich bisher mit einer Palette H-Milch ausgekommen bin, dann kann der Lkw-Fahrer mir trotzdem nicht ohne Weiteres einfach plötzlich vier bis fünf bringen. Sein Wagen ist schließlich voll – auch mit einer Palette.

Geht es nur um H-Milch?

Nein, natürlich geht es vor allem auch um Nudeln, um Mehl und selbstverständlich um Klopapier. Und vor allem um Kühl- und Tiefkühlkapazitäten. So viele Lkw, in denen ich das transportieren kann, ohne die Kühlkette zu durchbrechen, gibt es eben einfach nicht.

Und wie geht es Ihren Mitarbeitern?

Das, was da geleistet wird, kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Und das alles bei der ständigen Gefahr sich anzustecken – zum Beispiel an der Kasse, wo eine Kassiererin über 1000 Leute an einem Tag bedient. Auch wir werden sie jetzt besser schützen – mit Plexiglas an der Kasse, mit Bechern, in die das Bargeld kommt. Dass es trotzdem geht, erkläre ich mir vor allem mit unserem guten Betriebsklima. Umso erschreckender ist, was sich die Mitarbeiter manchmal an Aggressionen gefallen lassen müssen.

Erzählen Sie.

Wohlgemerkt: Die Mehrzahl der Leute ist nett und weiß zu schätzen, was unsere Mitarbeiter leisten. Aber ja, Wortgefechte und Anfeindungen sind an der Tagesordnung – und das zum Beispiel manchmal auch nur deshalb, weil jemand seine spezielle Sorte Kernseife an diesem Tag nicht bekommt. Oder weil er darauf aufmerksam gemacht wird, dass er jetzt zum dritten Mal in den Laden gelaufen ist, um sich Klopapier zu kaufen. Dieser Kunde ruft dann die Geschäftsleitung, um mit der zu diskutieren, dass die Begrenzung ja eigentlich nur pro Einkauf gilt und es immer dann, wenn er die Filiale betritt, ja ein neuer Einkauf sei. Mit so etwas möchte man sich in der jetzigen Situation wirklich nicht beschäftigen müssen.

Infobox: Zur Person

Hendrik Pilatzki ist 42 Jahre alt, hat vier Kinder und lebt mit seiner Familie in Engelskirchen. Nach dem Abitur im Jahr 1997 begann er ein Studium der Betriebswirtschaftslehre in Köln, das er als Diplom-Kaufmann abschloss. 2003 trat er als Vertriebsleiter und Prokurist in das von seinem Vater Reinhard geleitete Unternehmen ein. Seit 2008 ist er gemeinsam mit dem Vater Geschäftsführer der Firma August Jaeger Nachfolger. Mehr als zehn Jahre engagierte sich Pilatzki bei den Wirtschaftsjunioren Oberberg und war deren Vorsitzender. Seit über 15 Jahren ist er Vorsitzender des Prüfungsausschusses für Groß- und Außenhandelskaufleute der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Köln.

Bei den Wahlen zur IHK-Vollversammlung trat Pilatzki auf dem Ticket der Initiative „New Kammer“ um die im Januar neu gewählte Präsidentin Nicole Grünewald an. Bei dieser Wahl wurde auch Pilatzki ins Präsidium gewählt – vorgeschlagen von Grünewald und mit dem besten Ergebnis aller Vizepräsidenten.

Die Keimzelle der Unternehmensgruppe ist die Firma August Jaeger Nachfolger. Das Unternehmen besteht in der siebten Generation. Davon waren drei vor der Familie Pilatzki. Hendrik Pilatzkis Urgroßvater Wilhelm Henn hat das Unternehmen von der Witwe Jaeger 1919 erworben und den Namenszusatz „Nachfolger“ angehängt. Früher hat die Firma als Großhändler vor allem Tante-Emma-Läden beliefert. Nach dem Wegfall der kleinen Läden wurde der Lebensmittel-Zustellservice für Gastronomie, Hotellerie, Altenheime und Krankenhäuser aufgebaut.

Das Tankstellengeschäft entwickelte sich aus einer Hoftankstelle erst Anfang der 1990er Jahre. Zusammen mit der Familie Dohle waren die Pilatzkis Gründungsmitglied der ersten Hit-Märkte in Bonn und Bad Godesberg. 1986 wurde der Markt in Engelskirchen eröffnet – später die Filialen in Rebbelroth, Overath und zuletzt 2018 Marienheide. 2021 ist ein neuer Markt in Wermelskirchen geplant. Mit dem Kauf des Fleischwarenbetriebs „Meister Blumberg’s“ im Nordkreis ist die Firma vor drei Jahren in die Produktion von Lebensmitteln eingestiegen. (kmm)

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