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Keine NachfolgerIn Oberberg sterben die alten Traditionsgaststätten aus

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Eine Zigarre in Ehren: Gerhard Vierkötter, Noch-Besitzer des Rheinischen Hofs, an seinem Lieblingstisch.

  • 153 Jahre hat es den Rheinischen Hof gegeben, vor kurzem musste er schließen – es fehlte ein Nachfolger.
  • Viele Traditionsgaststätten in Oberberg ereilt ein ähnliches Schicksal.
  • Wir erklären, warum der Fortbestand der Kneipen so schwierig ist und was ihr Verlust bedeutet.

Oberberg – Gerhard Vierkötter zieht lange an der dicken Zigarre, lange. Sehr lange. Endlich pafft er weißen Qualm in die leere Schankstube. Wie es ihm gehen wird ohne die Arbeit? „Das weiß ich erst, wenn alles abgewickelt, wenn Ruhe ist“, sagt der 75-Jährige. Dunkel ist es im „Rheinischen Hof“, nur am mehr als 100 Jahre alten Tresen brennt Licht. Auf einem Tisch sind Papiere ausgebreitet, Dokumente, Briefe einer Bank. Stühle stehen kreuz und quer, in einem Ständer warten Ansichtskarten von Nümbrecht wohl vergeblich auf Urlaubsgrüße, in einer Ecke verdorrt der Weihnachtsbaum.

Denn Gerhard Vierkötter hat Schluss gemacht: Nach etwa 153 Jahren ist der Rheinische Hof in der Ortsmitte Nümbrechts geschlossen. Für immer. Einen Nachfolger hat der knorrig-kantige Inhaber nicht, seine Kinder haben abgewinkt. „Und nach einem Pächter habe ich nie gesucht, das tue ich mir nicht an“, erklärt der Ur-Nümbrechter. Pächter kämen und gingen. „Eine Gaststube aber steht und fällt immer mit dem Wirt.“ In Kürze soll das typisch bergische Fachwerkhaus verkauft werden. Gastronomie aber finde in den Räumen des früheren Hotels mit Restaurant nicht mehr statt, berichtet Vierkötter von den Plänen des Käufers. „Ich soll aber den alten Tresen stehen lassen.“ Er selbst will allenfalls ein paar Zinnkrüge mitnehmen, die Gästebücher und natürlich die große Uhr vom Urgroßvater.

„Leider wird das so weitergehen“

Ende des vergangenen Jahres hat Vierkötter mit Stammgästen Abschied gefeiert, vor ihm hatte das Ehepaar Ulrich und Marlies Potthoff in Marienheide-Jedinghagen das Aus der kleinen Dorfkneipe verkündet, dort ist eine 120-jährige Historie zu Ende gegangen. „Leider wird das so weitergehen“, ahnt Mathias Johnen, stellvertretender Geschäftsführer des Bezirks Nordrhein im Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga).

Die Geschichte des „Rheinischen Hofs“

Mit einem Pachtvertrag vom 28. September 1867, ausgestellt für Franz Vierkötter von Volberg, beginnt die Geschichte des „Rheinischen Hofs“, den Gerhard Vierkötter seit 1970 und damit in vierter Generation geführt hat. Schon mit 13 Jahren begann der Ur-Nümbrechter seine Ausbildung zum Koch, am Kölner Hof in Olpe. „Davor und natürlich danach habe ich mein ganzes Leben im Rheinischen Hof verbracht“, sagt er. „Ich habe immer dort gefrühstückt und danach mit den Vorbereitungen für den Tag begonnen.“

Prall gefüllt sind die Gastbücher des Hotels mit Schankstube an der heutigen Hauptstraße im Nümbrechter Ortskern. Darin verewigt hat sich viel Prominenz aus dem Fernsehen und von der Musikbühne, darunter die Chris-Barber-Band, der Volksbarde Heino, Willy Millowitsch, Cindy und Bert, Drafi Deutscher und Harald Juhnke. „Unvergessen sind die nächtlichen Jamsessions mit Chris Barber“, erinnert sich Oldtimer- und Motorradliebhaber Vierkötter. „Dafür haben wir sogar das Klavier verrückt.“ (höh)

Gerade Kneipen und Gaststätten, die von den Inhabern über Jahrzehnte geführt werden, stellt Johnen ein finstere Prognose aus. „Junge Leute scheuen die harten Arbeitszeiten der Gastronomie“, nennt er einen Grund für den Mangel an Nachwuchs. Zahlen erhebt der Dehoga nicht, Johnen beruft sich unter anderem auf eine Studie des Westdeutschen Rundfunks zu „Gaststätten und Restaurants mit deutscher, gutbürgerlicher Küche“: Daraus geht hervor, dass es davon 1987 im Oberbergischen Kreis 381 gegeben hat (bei 452 Gastronomiebetrieben insgesamt). 2017, dem jüngsten Jahr dieser Statistik, waren es nur noch 109 (von 201 insgesamt).

Ende alter Gasthäuser sei ein Verlust von Kulturgut

„Neben den Arbeitszeiten sind es heute vor allem die strikten Vorschriften, mit denen ein neuer Inhaber oder Pächter zu kämpfen hat“, ergänzt der Experte. Werde eine neue Konzession fällig, kämen die Behörden gern zu Besuch, machten Vorgaben für Umbauten. Mögliche Nachfolger scheuten die damit verbundenen Kosten und „auch, dass die Seele eines Hauses danach verloren geht“.

Für Thorsten Derichsweiler, der für den Dehoga-Ortsverband Oberberg aktiv ist und in Nümbrecht den Derichsweiler Hof führt, bedeutet das Ende alter Gasthäuser fast immer einen großen Verlust von Kulturgut: „Viele Gaststätten prägen das Ortsbild in Oberberg und sind über Jahrzehnte eine Anlaufstelle für alle Generationen.“ In stets steigenden Nebenkosten und den eben immer höheren Auflagen sieht er die Hauptursachen für die Angst vor dem Gewerbe. Aber auch, dass die Gastronomie ihren Gästen eine Mehrwertsteuer von 19 Prozent berechnen muss, während für ein Schnitzelbrötchen am Büdchen nur sieben Prozent fällig werden, versteht Dehoga-Mann Johnen als Bürde. „Diese Ungerechtigkeit muss endlich abgeschafft werden“, fordert der Geschäftsführer mit Büro in Köln und verweist auf eine Internetpetition des Dehoga, die eine Reduzierung der Mehrwertsteuer zum Ziel hat.

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Zahl der klassischen Kneipen sinkt seit dem Jahr 1994

Die Zahl der „klassischen Kneipen“ erfasst der in Düsseldorf ansässige Landesbetrieb Information und Technik NRW. „Das sind Schankstuben, in denen es höchstens Kleinigkeiten aus der Küche gibt“, erklärt die Sprecherin Claudia Key. Auch die Zahl dieser Häuser ist im Oberbergischen rückläufig: Sie sank von 132 Betrieben 2007 auf 85 im Jahr 2017. Der Umsatz ist laut Statistik von fast 15,2 Millionen (2007) auf knapp 10,9 Millionen Euro (2017) zurückgegangen.

Der WDR hat mit seiner Studie noch früher angesetzt, nämlich im Jahr 1994. Damals gab es den Erkenntnissen des Kölner Senders zufolge 245 solcher Schankwirtschaften im Kreisgebiet, deren Zahl sich zehn Jahre später um mehr als die Hälfte, nämlich auf 100, reduzierte. (höh)

Zwölf bis 15 Stunden Arbeit am Tag

Wer dennoch eine Gaststätte übernehmen will, der solle ordentlich prüfen, ob der Betrieb bisher ordentlich geführt worden sei, rät derweil Uwe Reinhold, der sich ebenso im Dehoga-Verband Oberberg engagiert und seit bald 50 Jahren Eigentümer eines Landgasthofs mit Hotel in Gummersbach-Lieberhausen ist. „Dann hat das Haus auch weiterhin eine Chance.“ Aber auch seine Kinder wollen den Betrieb nicht weiterführen, das weiß Reinhold schon heute. „In diesem Gewerbe selbstständig zu sein, bedeutet, zwölf bis 15 Stunden am Tag zu schuften.“

Wer gute Küche bieten wolle, müsse sich einen guten Koch leisten und ihn fair bezahlen, ergänzt Herbert Stausberg. Im August 2012 haben der heute 84-Jährige und seine Ehefrau Anita im Morsbacher „Wirtshaus zur Republik“ das Licht ausgemacht, danach wechselten die Pächter – bis Silvester 2018, seither steht es leer. Inzwischen nutzt Sohn Cajus das schmucke Gebäude an der malerischen Kirchstraße im Oberdorf allein für private Anlässe. „Nur, wer mir von Kollegen empfohlen wird und mir dann ein solides, schlüssiges und vor allem tragfähiges Konzept vorlegen kann, kommt noch als Pächter in Frage“, betont der neue Besitzer nach dieser bewegten Vergangenheit. Er selbst möchte auf keinen Fall hinter dem Tresen stehen.

Das schmerzt seinen Vater, ein echtes Original, das die Morsbacher einst „Knoorz“ getauft haben: „Eigentlich habe ich mich damit abgefunden, dass es kein ,Wirtshaus zur Republik’ mehr geben wird.“

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