Neue KooperationMehr Rat und Hilfe für missbrauchte Kinder in Oberberg

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OB Beratung sex Gewalt

Gemeinsam für  den Kinderschutz:  Vertreter von Jugendämtern und Beratungsstellen haben eine Vereinbarung unterzeichnet.  

Oberberg – Es gibt Schätzungen, laut denen in jeder Schulklasse ein bis zwei Kinder sitzen, die sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind. Zum Vergleich: Beim Gummersbacher Jugendamt werden alljährlich weniger als 20 schwere Fälle registriert. Die Dunkelziffer ist also groß. Missbrauch findet auch in Oberberg statt, und nicht nur in Lügde, Münster und Bergisch Gladbach.

Die letztgenannten besonders monströsen Fälle haben die Landesregierung allerdings veranlasst, die finanzielle Förderung von Einrichtungen zur spezialisierten Beratung bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche zu erhöhen. Im Oberbergischen Kreis werden 4,5 zusätzliche Stellen geschaffen. Vertreter der Jugendämter und der vier bestehenden Beratungsstellen haben am Freitag eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet, um das Beratungs- und Präventionsangebot im Kreis auszubauen und zugleich besser abzustimmen. Kreissozialdezernent Ralf Schmallenbach freute sich: „In Oberberg haben alle an einem Strang gezogen.“

Ansprechpartner und -partnerinnen

Offene Ohren

Ein offenes Ohr finden Kinder und Jugendliche bei Ludger Sändker in Wipperfürth, Herbstmühle 3, (0 22 67) 3034, Birgit Wetter-Kürten in Waldbröl, Albert-Schweitzer-Weg 1, (0 22 91) 9 27 80 25, Jessica Gogos in Gummersbach, Am Baumhof 5, (0 22 61) 885718 und Jutta Ringsdorf in Gummersbach, Kaiserstraße 21, (0 22 61) 2 47 92.

Ludger Sändker, Leiter der Wipperfürther Beratungsstelle Herbstmühle, zitiert Studien, laut denen ein betroffenes Kind im Durchschnitt sieben Erwachsene ansprechen muss, bis es endlich Gehör findet. Er ist überzeugt, dass die Nachfrage auch im Oberbergischen Kreis groß sein wird, wenn das Beratungsangebot erst einmal ausgebaut ist. Die Stärkung der vier oberbergischen Beratungsstellen soll gewährleisten, dass die jungen Leute auf kurzem Weg ein niedrigschwelliges Angebot erreichen.

Dazu kommt die Vorbeugung: Die neuen Mitarbeiter besuchen Kitas und Schulen, um deren Personal für ein Verhalten von Kindern zu sensibilisieren, das auf Missbrauch hindeutet. Es gehe darum zu zeigen, „wie man Räume schafft, in denen sich Kinder öffnen können“, sagt Sändker. Olaf Hesse von der Psychologischen Beratungsstelle des Kreises möchte „Kinder so stärken, dass sie Nein sagen können und sich Hilfe holen“. Christian Gröger vom Waldbröler „Haus für alle“ sagt: „Die Kinder müssen hören, dass das, was ihnen passiert, verboten ist.“

„Was man anstößt, muss man auch auffangen“

Dagmar Steinmann von der Gummersbacher Beratungsstelle „Nina + Nico“ weiß aus Erfahrung: „Kinder rufen nicht an und schreiben keine E-Mails. Man muss sie vor Ort abholen.“ Als ihr Verein 1999 an den Start ging, betreute er 40 Fälle, im vergangenen Jahr waren es 250, „trotz Lockdown“. Nina + Nico war bisher nahezu vollständig auf Spenden angewiesen und wird sie weiterhin brauchen. Mit den beiden neuen Stellen sei aber viel gewonnen in der Betreuung der Ratsuchenden, sagt Steinmann: „Denn was man anstößt, muss man auch auffangen.“ Ein Beispiel: Eltern, deren Kind von Dritten missbraucht wurde, bräuchten ebenfalls Beratung.

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Für den Gummersbacher Jugendamtsleiter Thomas Hein ist die neue Vereinbarung nur „der erste Aufschlag“. Er kritisiert, dass potenzielle Täter mit pädophilen Neigungen derzeit bis nach Düsseldorf fahren müssen, um Rat und Hilfe zu bekommen. Opfer von sexualisierter Gewalt müssten oft ein halbes Jahr und länger auf einen Therapieplatz warten. Und Kreisdezernent Ralf Schmallenbach möchte weiter daran arbeiten, dass das Klinikum eine Kinderschutzambulanz bekommt. Die Politik reagiert aus seiner Sicht oft zu schwerfällig. „Kinderschutz duldet keine Kompromisse.“

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