Rundgang durch Merkur-RuineSo sieht Waldbröls Schandfleck von innen aus

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Hinter den bunten verklebten Schaufensterscheiben (auf der Seite der Kaiserstraße) war bis September 2009 der Woolworth-Markt im Waldbröler Merkur-Komplex.

Hinter den bunten verklebten Schaufensterscheiben (auf der Seite der Kaiserstraße) war bis September 2009 der Woolworth-Markt im Waldbröler Merkur-Komplex.

  • Im August soll der Merkur-Komplex in der Stadtmitte verschwinden
  • Bald sollen sich auch die Waldbröler über das künftige Aussehen des Areals äußern dürfen
  • Ein Rundgang vor Ort zeigt, wie marode und gefährlich die Ruine in Waldbröl ist

Waldbröl – Es stinkt nicht. Im Gegenteil. Die Luft ist winterlich frisch und kühl. „Ist ja auch gut belüftet“, sagt Christian Kappenstein und meint es ironisch: Eine nichtzerborstene Scheibe wird man am Merkur-Komplex vergeblich suchen. Kappenstein ist Techniker im Fachbereich Bauen der Stadt Waldbröl. Und er hat den Schlüssel zur Ruine im Zentrum, die im kommenden August endlich fallen soll.

Die ist zwar verschlossen und gut gesichert. Aber wer unbedingt hinein will, der finde leider einen Weg, klagt Kappenstein, „trotz aller Sicherungen“. Immer wieder sehen er und seine Kollegen nach dem Rechten. Und mindestens einmal in der Woche, so schätzt Kappenstein, gibt es neue Zerstörungen – obwohl es eigentlich nichts mehr gibt, was noch kaputt zu machen wäre.

Stockfinster ist es im untersten Geschoss, weit reicht der Lichtkegel der Lampe an Kappensteins Smartphone nicht. Man muss sehr vorsichtig sein, langsam einen Fuß vor den anderen setzen – erst in der Tiefgarage, danach im Treppenhaus und schließlich im Erdgeschoss. Dort ist es also durchaus gefährlich – und nicht nur das. „Die Gebäude sind sehr verwinkelt“, warnt der städtische Bautechniker, der sich zum Glück bestens auskennt. „Denn wer sich nicht auskennt, wird im Dunkeln extreme Schwierigkeiten haben, den Weg hinaus zu finden.“

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Auch eine Leiter ist inzwischen verschwunden

Prominentester der ungebetenen Gäste war im Mai 2017 ein Waldbröler, der auf dem Dach des Hauses spazieren gegangen war – ein Luftgewehr in den Händen. Sein Ausflug – vor Gericht sagte der damals 27 Jahre alte Waffennarr, dass er bloß die Maisonne dort oben genießen wollte – führte erst zu einem Großeinsatz der Polizei und dann zu einer Bewährungsstrafe.

So soll es weitergehen

Unter Hochdruck arbeitet Rolf Knott, der Leiter des städtischen Fachbereichs Bauen, an den Vorbereitungen für den Abbruch der Ruine in der Waldbröler Stadtmitte. „Wir arbeiten intensiv daran, einen Gutachter zu bestimmen, damit der Merkur-Komplex, wie geplant, im kommenden August verschwinden kann“, schildert Knott.

In Kürze, nach Angaben des Fachbereichsleiters vielleicht schon im Februar, dürfen sich auch die Waldbröler erstmals äußern und ihre Vorstellungen vom künftigen Aussehen des etwa 12 000 Quadratmeter großen Areals zu Protokoll geben. Dafür will Bürgermeister Peter Koester in Kürze mit öffentlichen Aufrufen Werbung machen.

Zuständig für die Konzeption ist der Düsseldorfer Stadtplaner Hans-Joachim Hamerla vom Büro ASS. Er hatte in der letzten Ratssitzung des vergangenen Jahres einen ersten Fahrplan für die Arbeiten im Zentrum entworfen und der Politik zugesagt, dass die Bürger immer wieder mitreden dürfen. In Beton gegossen ist dabei das Finale: Bis 30. September dieses Jahres müssen sämtliche Anträge formuliert und an die Bezirksregierung Köln geschickt sein.

Im Juni oder Juli soll es laut Planer Hamerla Skizzen der möglichen Neubauten geben, die dann auch von den Waldbrölern bewertet werden können. (höh)

Im Erdgeschoss rauscht hinter bunt verklebten Schaufenstern der Verkehr der Kaiserstraße. Da war einst der Woolworth-Markt, der im September 2009 geschlossen wurde, als letztes Geschäft auf dem Merkur-Gelände. Die anderen waren da schon lange zu. „Hier war mal ein Kühlhaus für Fleischwaren“, weiß Christian Kappenstein und deutet erneut durch zerschlagenes Glas. In den 170 Wohnungen lebten im Mai 2007 noch etwa 20 Waldbröler – wann auch sie gegangen sind, das weiß heute niemand mehr genau. Sie haben viele Möbel zurückgelassen – manche der Wohnungen sehen aus, als ziehe der Mieter gerade aus oder bereite wenigstens eine Renovierung vor. Die Strippen hinter ihren Klingeln am Haupteingang verlieren sich in einem sinnlosen Knoten.

1971 war das Merkur-Haus bezugsfertig. „Schlecht waren die Wohnungen sicher nicht“, überlegt Kappenstein und blickt in eine Küche: Darin steht ein weißer Spültisch, der langsam, aber sicher zu Boden geht. „Bevor das Haus abgerissen werden kann, müssen wir es noch entrümpeln“, erklärt Kappenstein und schüttelt sich. In den früheren Räumen des Casinos und der Spielhalle versinken die Füße im Teppichboden. Vielleicht es diesmal gut, dass es so dunkel ist. Im Scherbenmeer liegt ein Deckenventilator mit Leuchte: Schon bald tritt er die letzte Reise an – Endstation Wertstoffhof.

Endlich Tageslicht. Auf dem Dach des ersten Stockwerks hält Kappenstein plötzlich inne. „Neulich stand hier doch noch eine Leiter“, wundert er sich. Aber auch diese hat Beine bekommen. Der Bautechniker schüttelt den Kopf: „Unfassbar, was die Menschen so alles gebrauchen können.“ Im Inneren der Gebäude sind alle Deckenverkleidungen und auch manche Böden aufgerissen. Metall- und Kupferdiebe haben ganze Arbeit geleistet, um alles mitgehen zu lassen, das sich verhökern lässt und einen Euro verspricht.

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