Seit zehn Jahren in WaldbrölBesuch im Institut für angewandten Buddhismus

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800 Kilogramm schwer ist die Glocke, die Abt Thay Phap An zu besonderen Anlässen anschlägt.

800 Kilogramm schwer ist die Glocke, die Abt Thay Phap An zu besonderen Anlässen anschlägt.

Waldbröl – Der Wandel ist gegenwärtig, in diesem Teil des Städtchens – am Rande des „Dorfes“, wie die Einheimischen ihr Waldbröl ebenso liebevoll wie despektierlich nennen. Vor 80 Jahren, da war es einer der Größen des Dorfes, ein gewisser Robert Ley, der Waldbröl mit seinen damals knapp 10000 Einwohnern zur größten deutschen Stadt „zwischen Köln und Kassel“ wandeln wollte – nationalsozialistischer Größenwahn, der in monumentalen Bauwerken seine Entsprechung finden sollte: Adolf-Hitler-Schule, Volkstraktorenwerk und eben dieses „Kraft durch Freude“-Hotel am Rande des Dorfes.

Ein fünfstöckiges, zweiflügeliges Haus mit über 200 Zimmern, einer gigantischen, überdimensionierten Freitreppe und einer Wandelhalle als Foyer, die den Geist des Nationalsozialismus vor allem in seinen Mosaiken heroisch überzeichneter Landmänner und Landfrauen widerspiegelt.

Als Hotel wurde das Gebäude nie genutzt, nach dem Zweiten Weltkrieg war es Krankenhaus, bis 2006 beherbergte es unterschiedliche Einrichtungen der Bundeswehr, zuletzt als Zentrum für Transformation. Transformation, das ist auch eine der wichtigsten Lebensaufgaben der aktuellen Besitzer des Hauses am Schaumburgweg: Stress, schmerzhafte Gefühle und seelisches Leiden lassen sich durch erkennende Einsicht wandeln, transformieren. Die jedem Menschen innewohnende Freude, den inneren Frieden und die Weisheit zu stärken, das gehört zu dieser Form der Transformation, erlangt durch mitfühlendes Zuhören und achtsame Sprache.

Europa-Zentrale des „Intersein-Ordens“

All dies sind Säulen der buddhistischen Lehre und Maxime des Mönches Thich Nhat Hanh, der vor zehn Jahren beschloss, das damals leerstehende Gebäude in Waldbröl nebst aller Anlagen zu kaufen, um dort die Europa-Zentrale seines „Intersein-Ordens“ zu etablieren, das Europäische Institut für angewandten Buddhismus.

Ihm, Thay, dem Meister, schien dieses Gebäude mit seiner auch belasteten Geschichte genau das Richtige zu sein, um seine Vorstellung von Heilung durch Transformation zu erreichen. „I have arrived, I am home“ – „Ich bin angekommen, ich bin Zuhause“ , rief Thay Thich Nhat Hanh aus, als er mit zunächst 21 buddhistischen Nonnen und Mönchen von Plum Village im Süden Frankreichs nach Waldbröl zog und dabei eine Herzlichkeit und Freundlichkeit mitbrachte, die das Gebäude zuvor noch nie gesehen hatte.

Niemand „im Dorf“ störte sich an den kleinen, freundlichen Menschen vietnamesischer Herkunft, die mit ihren einheitlichen braunen Kutten und kahlen Köpfen auch die Gleichheit von Frau und Mann nach außen tragen. Im Gegenteil: Keine Religionsgemeinschaft hatte es vor dem Auftauchen der Buddhisten jemals so rasch geschafft, sich in die städtische Gemeinschaft zu integrieren und vor allem offen zu sein für alle. Angewandter Buddhismus heißt eben auch, im Hier und Jetzt zu leben, die Transformation zum Glück, zum Frieden gehört in die Gegenwart, nicht in ferne Zukunft oder sogar ins Jenseits.

Prinzessinnen und Prinzen im Eispalast

„Menschen dabei behilflich zu sein, nicht von Ängsten zerstört zu werden, ist das größte Geschenk überhaupt“, ist einer der unzähligen Lehrsätze und Weisheiten, die Thay, der Meister, im Laufe seines Lebens in unzähligen Schriften und Büchern dargelegt hat. 1967 war er sogar für den Friedensnobelpreis nominiert worden, vorgeschlagen von Martin Luther King, einem der großen Bürgerrechtler der USA. Thich Nhat Hanh hat nicht nur Unrecht erlebt in seiner Heimat, in Vietnam, er hat den Vietnam-Krieg hautnah miterlebt, wurde verbannt, wie so viele seiner Mitbrüder und Mitschwestern.

Schwester Song Nghiem und Thay Phap An mit den Heilenden Herzen, einer Aktion, die an das Leid im Nationalsozialismus erinnert.

Schwester Song Nghiem und Thay Phap An mit den Heilenden Herzen, einer Aktion, die an das Leid im Nationalsozialismus erinnert.

Der Abt in Waldbröl, Thay Phap An, der als einer der fortgeschrittenen Nachfolger Thich Nhat Hanhs gilt, gehörte zu den 1,6 Millionen Menschen, die nach Ende des Vietnam-Krieges als Boatpeople über das südchinesische Meer flüchteten, oft zu Hunderten in schmalen Booten.

Phap An gelangte in die USA, nach Texas, studierte dort Chemie und Mathematik, arbeitete zunächst als Wissenschaftler, ehe er 1992 als Novize ordiniert wurde. Wie einige der mittlerweile älteren Mönche und Nonnen in Waldbröl ist er ein Seiteneinsteiger. Schwester Bi Nghiem beispielsweise, die einzige Deutsche, hat vor ihrer Ordination als Diplombibliothekarin gearbeitet, zuvor hatte sie französische Literatur studiert. Die Literatur war es schließlich, die Schriften Thich Nhat Hanhs, die sie dem angewandten Buddhismus so nahe brachten, dass sie Ende der 1990er Jahren konvertierte. „Vorher hatte ich mit Religion generell nicht so viel zu tun“, sagt sie und lächelt dabei. Schwester Bi Nghiem, deren Taufname Ingrid gewesen ist, gehörte von Anfang an zu den von Thay, dem Meister, ordinierten Dharma-Lehrerinnen, die das Waldbröler Institut seit 2008 aufbauten und dort immer noch mit Baustellen leben müssen. „Hätten wir gewusst, was uns dort alles erwartet, hätten wir das Haus nie gekauft“, sinnierte sie vor einigen Jahren bei einem Redaktionsbesuch, fast schon resigniert klingend.

Unendlich viele baurechtliche Auflagen galt es umzusetzen, so mussten zwei riesige Feuerschutztreppen an den Giebelseiten des riesigen Gebäudes errichtet werden, die gesamte Installation war so marode, dass rostiges Wasser herauskam, wenn ein Hahn aufgedreht wurde. Noch heute ist nur ein Teil des Hauses bewohnbar. Das Erdgeschoss konnte gar erst 2012 endlich eingeweiht werden, in den Sälen dort finden die Meditationen statt und auch die Kurse, die Retreats, die Hunderte auch nicht buddhistischer Menschen aus ganz Europa nach Waldbröl ziehen, viele aus den Niederlanden.

So hat es sich etabliert, dass es Retreats in deutscher und auch in niederländischer Sprache gibt. Es sind aber nicht die Worte, die den Wandel vermitteln, die Transformation durch Verständnis und Erfahrung, sondern die Präsenz, die Art und Weise, mit der die Kursteilnehmer ihre Zeit mit den Mönchen und Nonnen verbringen.

Die Präsenz, die so viel Ruhe ausstrahlt, dass sich ihr niemand entziehen kann. Dabei ist die große Wandelhalle mit ihren monumentalen Mosaiken den Neuankömmlingen unter den Nonnen und Mönchen immer wieder ein Stück weit unheimlich. „Wir sind die Prinzen und Prinzessinnen in einem Eispalast“, sagte ein junge Novizin bei der Einweihung des Instituts eher nachdenklich als scherzhaft.

Menschliche Kälte in Glück zu verwandeln, ist Gegenstand von Märchen, aber hier ist es gelebte Realität. Es ist der Wandel durch das Leben im Hier und Jetzt.

www.eiab.eu

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