Einst Mittelpunkt in OberwiehlGaststätte Hildesheim muss einem Neubaugebiet weichen

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Das Caféschild haben Gerda Grümer, Wilfried Hahn (l.) und Udo Kolpe noch schnell abgeschraubt.

Das Caféschild haben Gerda Grümer, Wilfried Hahn (l.) und Udo Kolpe noch schnell abgeschraubt.

Oberwiehl – Mit dem Abriss dreier Häuser an der Oberwiehler Straße verschwinden in dieser Woche steinerne Zeugen der Dorfgeschichte. Die Metzgerei Thomas, die Gaststätte Hildesheim und die angrenzende Lindenapotheke waren über viele Jahrzehnte das soziale und kommerzielle Zentrum des Orts. Nun weichen sie einem Neubauprojekt der OWG (siehe Kasten).

In der alten Apotheke war zuletzt die Begegnungsstätte „Café Else“ untergebracht, benannt nach der Apothekerin und Unternehmerwitwe Else Hans (1915-2017). Vor Beginn der Abbrucharbeiten haben drei Kenner der Oberwiehler Dorfgeschichte, Gerda Grümer, Udo Kolpe und Wilfried Hahn, sich noch einmal vor Ort getroffen, um ihr Wissen über ein bedeutendes Ensemble auszutauschen, das zu ihrem Bedauern nun abgerissen wird.

Älter als die Fabriken

1860 wurde das Wirtshaus „Zur Linde“ errichtet. Auf einer Postkartenzeichnung, die um 1900 entstanden sein dürfte, sieht man, dass es zu dieser Zeit noch keine Kunstwollfabrik Hans und kein Eisenwerk Grümer gab. Das Lokal der Geschwister Hildesheim und der dazugehörige „Hilles Saal“ wurde zum Bindeglied zwischen Altdorf und erblühendem Industriestandort. Während Anna Hildesheim das Lokal führte, arbeitete Bruder Alfred als Steinmetz. Das dritte Geschwisterkind Adam fuhr unter anderem zur See, wie er in seinen 1957 veröffentlichen „Erinnerungen eines oberbergischen Seesoldaten 1901-04“ berichtet.

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Der Schankbetrieb endete noch vor dem zweiten Weltkrieg. Danach war der Saal ein Standort der Oberwiehler Volksschule. Wilfried Hahn erinnert sich, dass er als Drittklässler die Mäuse hinter der Fußleiste mit seinem Pausenbrot fütterte. Die Bühne wurde für Laien- und Krippenspiele genutzt. Das als „et Chörchen“ bekannte, 1948 gegründete Oberwiehler Sängerquartett hatte dort seine ersten Auftritte. Das RWE betrieb eine Werbeausstellung für elektrische Haushaltsgeräte. Udo Kolpe versichert: „Das war hier der Treffpunkt schlechthin.“

Nach der Einweihung der Volksschule am anderen Ende des Dorfs 1953 diente der Saal den Versammlungen der Wiehler Freikirche. Im früheren Gasthaus war von 1949 bis etwa 1958 Dr. Egon Teitscheid, der erste Oberwiehler Hausarzt, ansässig. 1960 wurde der Saal abgerissen und durch den Neubau einer Apotheke ersetzt, den Wollfabrikant Carl Hans für Ehefrau Else errichten ließ. Schon fünf Jahre später starb der Unternehmer, seine Witwe übernahm auch die Leitung der Fabrik, führte aber noch bis 1983 die Apotheke weiter. Später waren hier ein Second-Land-Laden und ein Tätowierstudio zu Hause.

Neubauten

Die Oberwiehler Wohn- und Gewerbepark GmbH (OWG) ist eine Tochter der BPW Bergische Achsen KG. OWG-Geschäftsführerin Rebecca Christmann teilt auf Anfrage mit, dass an der Oberwiehler Straße zwei Gebäude errichtet werden sollen, ein Wohnobjekt am Hans-Teich und eine Gewerbeimmobilie am Netto-Parkplatz. Konkretere Pläne könne sie noch nicht öffentlich machen, da noch Gespräche mit der Stadt zu führen seien und auch nicht feststehe, welche Einzelhändler einziehen werden. (tie)

Ein Haus weiter, etwa dort, wo zuvor das Spritzenhaus der Oberwiehler Feuerwehr gestanden hatte, war wohl bereits seit den 1930er Jahren die Metzgerei Thomas ansässig. Wie Wilfried Hahn versichert, erfreuten sich die hausgeschlachteten Produkte des Familienbetriebs im weiteren Umkreis großer Beliebtheit. Zudem wurden hier die Neuigkeiten ausgetauscht. Zu den unregelmäßigen Kunden an der Theke von Maria Thomas gehörte in den 1970er Jahren ihr prominenter Cousin: der damalige Landesminister und spätere Minister- und Bundespräsident Johannes Rau. 2014 wurde die Metzgerei aufgegeben.

In der früheren Gaststätte Hildesheim wohnten Flüchtlinge, als 2015 am Oberwiehler Bahnhof ein ausrangierter Eisenbahnwaggon in Brand gesteckt wurde. Ausländerhasser hatten irrtümlich angenommen, dass dort Asylsuchende untergebracht werden sollen. Als Reaktion auf den Brandanschlag wird ein Begegnungsort ins Leben gerufen, der seit August 2017 als „Café Else“ firmierte.

Am Rosenmontag fand in der alten Apotheke der letzte Termin statt. Das Café Else soll aber nicht sterben, sondern weiterhin als Treffpunkt vor allem für die Oberwiehler Senioren erhalten bleiben. Nun wird er zunächst in der Pizzeria Portofino stattfinden. Das Caféschild, als jüngstes Relikt der Baugeschichte, haben Udo Kolpe und seine Helfer noch rechtzeitig abgeschraubt.

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