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„Wir verwalten uns zu Tode“Dr. Thomas Aßmann über Impfprobleme und Lockdown

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Dr. Thomas Aßmann ist Landarzt aus Überzeugung mit eigenen Praxen in Lindlar und Engelskirchen.

Dritte Welle, Virus-Mutationen, Lockdown: Seit einem Jahr hat die Corona-Pandemie Deutschland im Würgegriff. Wir sprachen mit dem Lindlarer Hausarzt Dr. Thomas Aßmann über die aktuelle Lage. Thomas Aßmann ist Facharzt für Innere Medizin und Katastrophenmediziner, außerdem zweiter Vorsitzender des Hausärzteverbandes in Oberberg.

Bundesweit bekannt wurde der Lindlarer mit seinem Projekt des „Tele-Landarztes“, für das er bei der Internationalen Funkausstellung 2017 mit dem Telematik-Award ausgezeichnet wurde. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung schreibt Aßmann in einer Kolumne regelmäßig kleine Geschichten aus seiner Landarztpraxis in Lindlar.  

Wo stehen wir nach Ihrer Einschätzung in der Pandemie: Ist die befürchtete „dritte Welle“ bereits angekommen?

Alles zum Thema Impfung

Aßmann: Die dritte Welle ist da. Die Zahl der Fälle, in denen die Mutationen nachgewiesen werden, steigt weiter an. Das ist wie beim Hochwasser mit den Scheitelwellen. Wenn die Scheitelwellen von Rhein und Mosel in Koblenz zusammentreffen, dann säuft Köln ab. Wir müssen sehr vorsichtig sein, denn diese Mutationen, wie die britische und die südafrikanische Variante, sind hoch ansteckend und sehr gefährlich. Wissen Sie auch, warum es bislang keine deutsche Mutation gibt? Nein? Weil es hierfür noch kein Formular und keine Zulassung gibt (lacht).

Es gibt zu viel Bürokratie in Deutschland?

Israel hat 93 Prozent der Bevölkerung geimpft, in Deutschland liegen wir bei 5 Prozent. Ein Jahr haben wir Zeit gehabt, uns auf die nächste Welle vorzubereiten, und wir haben es nicht geschafft. Wir verwalten uns zu Tode, die Gesundheitsämter können nicht auf eine einheitliche Software zurückgreifen, und dann gibt es auch noch Fälle – etwa in einer großen Stadt am Rhein – in denen bereits aufgezogene Impfdosen mit Astrazeneca-Impfstoff vernichtet werden, weil Personen, die zur Impfung angemeldet waren, nicht erschienen sind, und sich niemand traut, diese Impfdosen unbürokratisch an die nächsten erreichbaren Personen zu verimpfen. Dabei zählt jeder Oberarm.

Außer impfen, was kann noch helfen, die weitere Ausbreitung von Corona-Mutationen zu verlangsamen oder zu stoppen?

Aus medizinisch-virologischer Sicht ist eine Lockerung von Maßnahmen der falsche Weg. Der Lockdown, den wir jetzt haben, ist ja ohnehin nur ein Lockdown light – andere Länder gehen sehr viel rigoroser vor. Eine andere Sache ist die politische Sicht. Viele Leute sind Corona-müde, weil sie nicht mehr wissen, wozu sie die ganzen Einschränkungen auf sich nehmen sollen. Was wir meines Erachtens bräuchten, wäre ein bundesweites Ampelsystem, dass Landkreise und Städte je nach der Lage vor Ort, auf Grün, Gelb oder Rot schaltet. Grün heißt „keine Einschränkungen“, Gelb „teilweise Einschränkungen“ und Rot „Stillstand“. Diese Ampel sollte sich sowohl am sogenannten R-Wert als auch an Indizes orientieren. (Der R-Wert beschreibt, wie viele Menschen eine infizierte Person durchschnittlich ansteckt, die Red.)

Lindlar und Wipperfürth haben die Maskenpflicht auf bestimmte Außenbereiche erweitert, Düsseldorf hat ein Verweilverbot für das Rheinufer verhängt. Macht das aus Ihrer Sicht Sinn, oder ist das blinder Aktionismus?

Die Ansteckungsgefahr ist in Innenräumen größer als draußen. Nur im Vorübergehen kann man sich nicht infizieren. Dennoch ist die Maskenpflicht sehr sinnvoll, weil die Menschen, die zum Beispiel draußen spazieren gehen, ja auch stehen bleiben und sich unterhalten – und dann steigt das Infektionsrisiko.

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Bald sollen auch die Hausärzte Impfungen durchführen. Sehen Sie sich dafür gut gerüstet?

Die Hauptsache ist, dass wir genügend Impfstoff kriegen, ansonsten sehe ich keine großen Probleme. In einem normalen Winter führen wir Hausärzte so ganz nebenbei in drei Monaten 20 Millionen Grippeschutzimpfungen durch, da schaffen wir auch 40 Millionen Corona-Impfungen. Entscheidend ist, dass wir beim Impfen schnell vorankommen, dass wir uns vor die Welle setzen. Sonst steigt die Gefahr weiterer Mutationen, die dann möglicherweise auch immun gegen die Impfstoffe sind.

Können Sie den Menschen ein bisschen Mut machen? Sehen Sie ein Licht am Ende des Pandemie-Tunnels?

Wenn wir es schaffen, dass bis zum 30. September der Großteil der Menschen hierzulande geimpft ist, dann bin ich optimistisch. Das Impfen ist der Schlüssel zum Erfolg. Im Oktober habe ich Urlaub, und ich werde jetzt eine Reise buchen.

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