Abo

Nicht wirtschaftlichTräger OGB schließt Demenz-Wohnheim in Hückeswagen

Lesezeit 5 Minuten
Pflege

Alltag im Pflegeheim (Symbolbild)

Hückeswagen – Der Mann von Christa Kraus leidet unter der neurodegenerativen Krankheit Posteriore Kortikale Atrophie (PCA) und ist zudem fast blind. Seit Januar lebt der 72-Jährige im „Wohnwerk“ und hat sich dort nach Aussage seiner Frau inzwischen eingewöhnt. „Er erkennt die Stimmen der anderen und kann sich gut vorantasten“, erzählt die Hückeswagenerin.

Als sie am Freitag den Brief der Oberbergischen Gesellschaft zur Hilfe für psychisch Behinderte (OGB) aufmachte, stockte ihr der Atem. Denn darin steht, dass die OGB als Trägerin des „Wohnwerks“ das Heim zum Jahresende schließen wird. Deshalb kritisiert Christa Kraus: „Für die Menschen dort ist es total schwer, sich umzugewöhnen.“ Die Geschäftsführung hätte doch schon im Januar wissen müssen, dass das Heim vor dem Aus steht. Dann hätte Christa Kraus für ihren Mann wohl eine andere Pflegestelle gesucht.

Kooperationspartner war kurzfristig abgesprungen

Dem widerspricht OGB-Geschäftsführerin Simone Ufer: „Zu diesem Zeitpunkt waren wir noch der festen Überzeugung, dass ein Kooperationspartner das ,Wohnwerk’ übernehmen wird und wir damit eine gute Lösung für unsere Klienten und Mitarbeiter gefunden hatten“, betont sie auf Anfrage unserer Redaktion. Schon seit längerem habe die OGB nach einem Partner oder einem andere Träger gesucht.

Wäre Anfang 2021 jedoch klar gewesen, dass der Kooperationspartner, der großes Interesse am „Wohnwerk“ zu haben schien, sich kurzfristig dazu entscheiden würde, an anderer Stelle eine Einrichtung zu eröffnen, „dann hätten wir natürlich niemanden mehr aufgenommen“, versichert Simone Ufer.

Ende Mai fiel die Entscheidung, das Heim für Demenzkranke an der Peterstraße zum 31. Dezember zu schließen, sagt sie. Dem Betriebsrat und den Mitarbeitern sei schon vor eineinhalb Jahren mitgeteilt worden, dass die OGB einen Kooperationspartner suche. „Wir waren dazu mehrfach im ,Wohnwerk’, und die transparente Kommunikation ist uns sehr wichtig“, sagt die Geschäftsführerin. Sie wisse, dass das jetzt eine „extrem traurige Entscheidung“ sei.

Such nach neuem nach neuem Träger war nicht erfolgreich

Die OGB ist Trägerin von zehn besonderen Wohnformen, zu denen in Hückeswagen neben dem „Lindenhof“ – die Wohnstätte für Alkohol- und Medikamentenabhängige an der August-Lütgenau-Straße – auch das „Wohnwerk“ gehört. Seit seiner Eröffnung hat das Wohnheim Jahr für Jahr rote Zahlen geschrieben, heißt es in einer Pressemitteilung der OGB. Daher sei sie nun gezwungen, das Haus zu schließen.

„Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht“, versichert Rainer Drevermann, Vorsitzender des Vereins zur Hilfe für psychisch Behinderte, dessen Tochter die OGB ist. „Wir haben über Monate vergeblich versucht, einen anderen Träger zu finden.“

Von der Walkerei zum Bauhof zum Wohnheim

Geschichte 1875 war das Gebäude als zweite Fabrik des Hückeswagener Tuchherstellers Lütgenau & Wiehager gebaut worden. Zunächst als Walkerei und Färberei genutzt, wurde daraus später eine Weberei. Nachdem 1962 die Firma aufgehört hatte zu existieren, kaufte die Stadt Mitte der 1960er Jahre das Gebäude an der Peterstraße und richtete dort ihren Bauhof ein.

Umbau Nachdem die Stadt das Gebäude 2007 an die Oberbergische Gesellschaft für psychisch Behinderte (OGB) verkaufte, baute diese das zu einem Wohnheim für Demenzkranke mit zunächst 16, später dann 20 stationären Plätzen um. Den Bewohnern stehen 900 Quadratmeter zur Verfügung, mit Außenanlagen und Orangerie sind es 2000 Quadratmeter.

Eröffnung Am 2. März 2009 wurde das „Wohnwerk“ eröffnet.

20 Plätze gibt es im „Wohnwerk“, coronabedingt sind aktuell nur 16 belegt. „Betreuer und Angehörige sind informiert worden“, berichtet Geschäftsführerin Simone Ufer. „Auch die Belegschaft und der Betriebsrat wissen Bescheid.“

21 Mitarbeitende sind in der Einrichtung nahe des Klingelnberg-Kreisels beschäftigt. „Es ist uns ein großes Anliegen, dass Mitarbeiter und Bewohner von uns größtmögliche Unterstützung erfahren“, betont Drevermann. „Wir werden bei der Suche nach einem neuen Platz in einer Einrichtung wie auch nach einem Arbeitsplatz aktiv tätig.“

Kleine Einrichtungen schwer zu finanzieren

Auch Stadt- und Kreisverwaltung seien informiert. „Der Kreis hat uns sein Bedauern über die Entscheidung signalisiert“, berichtet Drevermann. „Weil einerseits die Qualität der Einrichtung bekannt ist und es andererseits im Nordkreis kaum Alternativen gibt.“ Auch Bürgermeister Dietmar Persian bedauert den Rückzug: „Das ist nicht gut für Hückeswagen.“ Zwar gebe es mit dem Johannesstift und dem ABC-Pflegeversorgungszentrum gute Einrichtungen mit unterschiedlichen Zielführungen, speziell für Demenzkranke werde künftig in Hückeswagen und der Region aber ein Angebot fehlen.

Seine Gedanken seien in erster Linie bei den Bewohnern, für die jetzt ein neues Zuhause gefunden werden müsse. „Da kommt eine schwierige Situation auf sie zu, müssen sie sich doch auf Neues einstellen.“ Als das „Wohnwerk“ gegründet wurde, sei diese Einrichtung in ihrem Konzept visionär gewesen, heißt es in der Pressemitteilung weiter. Sollte hier doch von Anfang an eine sehr individuelle Betreuung stattfinden.

Das könnte Sie auch interessieren:

Wie die übrigen Einrichtungen der OGB sollte auch das Wohnheim für Demenzkranke als kleine Einheit geführt werden, um so die Demenzkranken optimal zu betreuen. „Das Konzept ist sehr stimmig“, versichert Simone Ufer. Doch die Kleinheit ist das Problem, weswegen die Einrichtung stark defizitär sei.

So habe sich herausgestellt, dass das „Wohnwerk“ für die OGB auf Dauer nicht finanzierbar sei. „Heute benötigt man schon etwa 60 bis 80 Plätze“, um schwarze Zahlen zu schreiben, so Ufer. Das gebe das Haus nicht her. „Mit dem Wissen von heute würden wir die Entscheidung zur Einrichtung dieses Wohnheims nicht mehr treffen“, sagt Ufer. Für Christa Kraus und ihren Mann kommt diese Erkenntnis allerdings ein paar Monate zu spät.

Rundschau abonnieren