Noch viele offene FragenLindlarer Grabstein aus dem Jahr 1689 gefunden

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Das Datum „1689“ ist auf dem Grabstein deutlich zu lesen.

Das Datum „1689“ ist auf dem Grabstein deutlich zu lesen.

Lindlar-Altenrath – Als Dr. Jörg Müller vom Fund einer Steinplatte mit historischer Inschrift erfährt, schlägt sein Herz höher. Sofort wetzt der Altenrather den Hügel hinauf zu der Stelle, an der der Landwirt den Stein abgelegt hat, den er soeben mit seinem Pflug aus dem Feld befördert hat.

Norbert Wegerhoff und Dr. Jörg Müller (v.l.).

Norbert Wegerhoff und Dr. Jörg Müller (v.l.).

Müller hofft damals, dass die lange vermisste Altenrather Sühnetafel wieder zum Vorschein gekommen ist. Ziemlich genau ein Jahr und unzählige Stunden Forschungsarbeit später steht nun fest: Jörg Müller zog an jenem Märzabend 2020 nicht die abhandengekommene Platte aus dem Dreck (siehe dazu Kasten). Sondern den derzeit ältesten erhaltenen Grabstein in der Gemeinde.

Grabstein hat Vorder- und Rückseite

„Als ich die Jahreszahl 1689 gesehen habe, war mir schnell klar, dass dieser Fund etwas Besonderes ist“, blickt Müller zurück. Rund 70 mal 50 Zentimeter misst der Sandstein im Kreuzformat, dessen Inschrift an den Tod einer Margaretha Faßbender am 2. Oktober vor 332 Jahren erinnert. Die in den Stein gehauenen Buchstaben verraten außerdem, dass Margaretha mit einem Wilhelm verheiratet war und in dem kleinen Örtchen Frangenberg nahe Linde lebte. Die Rückseite ist einem Petter Faßbender gewidmet, verstorben an einem 5. April, allerdings ohne Angabe des Jahres, und vermutlich der Sohn der Margaretha.

Die verschollene Altenrather Sühneplatte

Folgende Überlieferung gibt es zur weiterhin verschollenen Altenrather Sühneplatte: Um 1796 quartierten sich in Lindlar immer wieder zügellose Soldatengruppen ein, die die Bevölkerung mit Plünderungen terrorisierten. Mal hatten die Menschen unter französischen Truppen zu leiden, mal unter den mit Preußen verbündeten Österreichern und Ungarn. Einen der Plünderer sollen Einheimische 1796 nahe einer alten Linde oberhalb von Altenrath erschlagen haben.

In den alten Sterberegistern hat Norbert Wegerhoff tatsächlich einen kurpfälzischen Soldaten namens Laurenz Schäfer gefunden, gestorben am 21. Mai 1796. „Zur Sühne dieses Verbrechens sollen die Altenrather 1798 eine Steintafel, auf der die Heilige Familie dargestellt ist, zwischen den sich gabelnden Hauptästen dieser Linde befestigt haben“, berichtet Hobbyhistoriker Dr. Jörg Müller.

Zuletzt schilderte 1936 ein Zeitungsartikel, dass Stein und Rinde bereits stark miteinander verwachsen seien. Die Sommerlinde steht noch heute, eine Altenrather Straße ist nach ihr benannt. Von der Sühnetafel fehlt inzwischen aber jede Spur. (sfl)

Nach der nicht ganz einfachen Entzifferung der Inschrift wuchtet Müller den Stein ins Auto und bringt ihn ins Lindlarer Gemeindearchiv. Dort trifft er zufällig auf Norbert Wegerhoff, Hobbyhistoriker aus Wipperfürth, der auch für Lindlar forscht und dort schon viele alte Protokolle und Schriften übersetzt hat. Monatelang beschäftigt die beiden Männer die entscheidende Frage: Wie kommt der uralte Grabstein einer Frau aus Linde-Frangenberg in das Feld oberhalb von Altenrath?

Um Kirche St. Severin begraben

Norbert Wegerhoff taucht ab in die alten Kirchenbücher aus Lindlar und Kürten-Olpe. „Verwaltungsmäßig gehörte Frangenberg damals nach Olpe, aber kirchlich zu St. Severin“, erklärt der Wipperfürther. Finanziert habe sich der Klerus zu jener Zeit vor allem durch sogenannte Stolgebühren – Geld, dass die Gemeindemitglieder für Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen zahlen mussten. „Im Todesfall fiel die Gebühr für die Beerdigung in der Heimatgemeinde auf jeden Fall an. Wer woanders bestattet werden wollte, zahlte also doppelt. Das konnte sich aber praktisch niemand leisten“, so Wegerhoff.

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Fest steht für die Männer deshalb, dass Margaretha Faßbender auf der Fläche um die Kirche St. Severin begraben wurde, wie es damals üblich war. Frühestens nach einer 30- oder 40-jährigen Ruhezeit, spätestens aber ab 1803 wurde der Grabstein dort entfernt. „Denn damals erließ Napoleon ein Dekret, dass die Friedhöfe wegen fürchterlicher hygienischer Zustände außerhalb der Siedlungszentren anzulegen sind“, berichtet Wegerhoff. In Lindlar bedeutete dies die Geburtsstunde des alten Teils des heutigen Friedhofs, in Wipperfürth wurden 1838 alle verbliebenen Gräber um die Kirche entfernt.

Wenn Gräber abgeräumt wurden, sicherten sich die Nachkommen oft den Stein, weiß Norbert Wegerhoff. „Wir haben sie schon umgedreht als Treppenstufen oder Teil der Hausmauer entdeckt.“ Nachfahren einer Familie Faßbender im Raum Altenrath konnte der Wipperfürther allerdings nicht ausfindig machen. Der Zusammenhang dürfte vielmehr mit dem genauen Fundort des Steins zu erklären sein, betont Jörg Müller.

Fiel der Stein einst von einem Fuhrwerk?

Denn in unmittelbarer Nähe des heutigen Feldes verlief früher ein Kutschweg, die direkte Verbindung zwischen Lindlar und Engelskirchen. Müller und Wegerhoff halten es für sehr wahrscheinlich, dass der Stein der Margaretha in dem damals noch dicht bewaldeten Terrain von einem Fuhrwerk fiel und für mehrere Jahrhunderte in Vergessenheit geriet. „Der Stein könnte als Baumaterial auf dem Weg ins Aggertal gewesen sein oder zur Umarbeitung in den damaligen Steinbruch nahe Burg“, schätzt Müller.

So oder so: Doris Kisters, Leiterin des Lindlarer Gemeindearchivs, ist stolz auf das neue Altertümchen in der Sammlung. Sie kann sich gut vorstellen, den Stein nach einiger Aufarbeitung in einer Reihe mit weiteren historischen Grabdenkmälern auf dem Lindlarer Friedhof aufzustellen. „Beschlossen ist in dieser Sache noch nichts“, verrät Kisters. „Aber ich finde, der älteste Lindlarer Grabstein sollte auf jeden Fall einen Ehrenplatz bekommen.“

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