OberbergWarum die Umstellung auf das G9-Abitur für Realschulen zum Problem wird

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Eine Englisch-Lehrerin einer Grundschule schreibt Unterrichtsinhalte an die Tafel.

Eine Lehrerin an einer Tafel.

Schülerinnen und Schüler, die nach der Realschule das Abitur machen wollen, wurden bisher auf Gymnasien in Wipperfürth und Lindlar verteilt. Das geht in diesem Jahr nicht.

Üblicherweise nehmen die Gymnasien in Wipperfürth und Lindlar jedes Jahr eine mittlere zweistellige Zahl von Realschülern auf. Es sind Schülerinnen und Schüler, die nach der Mittleren Reife das Abitur dranhängen wollen. Doch dieses Jahr müssen sie auf andere Schulen ausweichen.

Was ist das Problem?

Nur ganz wenige, sogenannte „Bündelungsgymnasien“ dürften zum kommenden Schuljahr Zehntklässler aus Real-, Haupt- oder Sekundarschulen aufnehmen – die Gymnasien in Wipperfürth und Lindlar zählen nicht dazu. Der Grund dafür ist etwas kompliziert und hängt mit dem Schulrecht zusammen, speziell mit der Umstellung vom Abitur nach acht Schuljahren (G8) auf das G9-Abitur. Die meisten Gymnasien in NRW werden zum Schuljahr 2023/24 keine neue Oberstufe einrichten. Gymnasiasten, die derzeit die Klasse 9 besuchen, wechseln in die Klasse 10 – doch die zählt nicht zur Oberstufe.

Wegen der Umstellung von G8 auf G9 wird es an den allermeisten Gymnasien im Jahr 2026 keine Abiturprüfungen geben. Das NRW-Schulministerium hat stattdessen beschlossen, diesen sogenannten „weißen Jahrgang“ an wenigen „Bündelungsgymnasien“ zu konzentrieren. In Oberberg sind dies genau vier Gymnasien: Das Theodor-Heuss-Gymnasium in Radevormwald (THG), das Lindengymnasium Gummersbach, das Gymnasium der Freien Evangelischen Schulen Gummersbach sowie das Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium Wiehl. Als Alternative bietet sich ein Wechsel zur Gesamtschule an, oder an das Bergische Berufskolleg – das allerdings nur am Standort Wermelskirchen bis zum Abitur führen wird, nicht aber in Wipperfürth.

Was ist mit Wiederholern?

Der „weiße Jahrgang“ speist sich aus Real- und Hauptschülern, aber auch aus Schülerinnen und Schülern anderer Gymnasien, die den Wechsel von der Stufe EF (Jahrgangsstufe zehn) in die Q1 (Stufe elf) nicht schaffen. Im Klartext: Gymnasiasten, die im Sommer in der 10. Klasse sitzen bleiben, müssen auf ein Bündelungsgymnasium, eine Gesamtschule oder ein Berufskolleg wechseln.

Was sagen die Betroffenen?

Die Tochter von Daniel Seidel besucht derzeit die 10. Klasse der Hermann-Voss-Realschule in Wipperfürth. „Als wir unsere hier Tochter angemeldet haben, dachten wir ‚wunderbar, es gibt zwei Gymnasien vor Ort‘,“, so der Vater. Doch diese sind seiner Tochter nun verbaut. Die Familie wohnt in Halver-Oberbrügge. Theoretisch könnte die Tochter ein Bündelungsgymnasium in Lüdenscheid besuchen. „Aber wegen der Sperrung der Autobahnbrücke kommt man dort de facto nicht hin“, erklärt der Vater. Die Gesamtschule in Kierspe sei überlaufen – und so werde die Tochter wohl auf das Lindengymnasium nach Gummersbach wechseln und mit dem Zug pendeln. Ob die Fahrtkosten dafür übernommen werden, weiß die Familie Seidel noch nicht.

Was sagen die Realschulen?

„Unsere Schülerinnen und Schüler wurden rechtzeitig informiert, sie konnten die Infotage der Bündelungsgymnasien besuchen“, sagt Ralf Grünewald, Leiter der Realschule Lindlar. Auf welche dieser Schulen seine Schülerinnen und Schüler wechseln werden, weiß Grünewald zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht. „Man hätte sich eine Lösung gewünscht, die räumlich ein bisschen näher ist.“ Auch an der Wipperfürther Hermann-Voss-Realschule wurden die Schülerinnen und Schüler umfassend informiert. Schulleiterin Claudia Deichsel weist auf ein weiteres Problem hin: „Wer von der Realschule kommt, kann auch auf eine Gesamtschule wechseln. Ob die Gesamtschulen aber Kapazitäten haben, weiß ich nicht.“

Was sagen die Gymnasien?

Am Lindlarer Gymnasium ist man enttäuscht. „Wir hatten uns als Bündelungsgymnasium beworben“, sagt Schulleiter Christoph Menn-Hilger – doch leider sei Lindlar nicht gewollt worden. Die jetzige Situation sei „misslich“. Oberstes Gebot am Lindlarer Gymnasium sei nun, zu erreichen, dass am Ende der jetzigen Stufe zehn möglichst kein Jugendlicher die Klasse wiederholen müsse. Denn das wäre zwingend mit einem Schulwechsel verbunden. Ähnlich ist die Situation am St.-Angela-Gymnasium und am EvB in Wipperfürth. Auch hier will man mit gezielter Förderung den Zehntklässlern helfen, die sitzenzubleiben drohen. „Alle kennen den Ernst der Lage“, sagt Werner Klemp, Schulleiter am St. Angela.

Sein Kollege Erhard Seifert, erklärt, warum sich das EvB-nicht als Bündelungsgymnasium beworben hat. „Wir hätten keinen Vorteil davon gehabt, außerdem gehören wir zu den eher kleineren Gymnasien.“ Da sei es noch schwieriger, mit einem reduzierten Jahrgang ein vernünftiges Kursangebot auf die Beine zu stellen. „Wir müssen mindestens 42 Anmeldungen bekommen“, sagt Jürgen Funke vom Schulamt der Stadt Radevormwald. Deshalb wirbt das THG derzeit massiv um Schülerinnen und Schüler aus Wipperfürth, Hückeswagen und Wermelskirchen. Umso kleiner die Oberstufe ausfällt, desto geringer ist in der Regel auch die Auswahl der Leistungskurse, die angeboten werden.

Was ist mit den Busverbindungen?

Bei der Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Schule dürfte auch die Frage der Busverbindung eine wichtige Rolle spielen. Wer etwa von Wipperfürth nach Radevormwald fahren will, der muss in Hückeswagen in die Buslinie 339 umsteigen. „Wenn wir in Radevormwald viele Anmeldungen aus Wipperfürth und Hückeswagen bekommen, können wir im Busfahrplan vielleicht auch noch Lücken schließen“, sagt Funke. Eine Alternative für Schüler aus Wipperfürth könnte das Röntgen-Gymnasium in Remscheid-Lennep sei, zumal Lennep von Wipperfürth mit der Buslinie 336 gut erreichbar ist. Doch auch hier ist unklar, ob die Fahrtkosten übernommen werden. Dass mit Rade und Lennep zwei Bündelungsgymnasien ausgewählt wurden, die nur acht Kilometer voneinander entfernt liegen, hängt damit zusammen, dass für Rade die Bezirksregierung Köln, für Lennep aber Düsseldorf zuständig ist.

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