Online-KonkurrenzEinzelhandel kämpft hart ums Überleben in Wipperfürth

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Bekleidungsläden sind von der Online-Konkurrenz besonders betroffen – Geschäftsaufgaben und Leerstand sind eine Folge.

Bekleidungsläden sind von der Online-Konkurrenz besonders betroffen – Geschäftsaufgaben und Leerstand sind eine Folge.

Das Kaufverhalten ändert sich. Einige Ladenlokale in Wipperfürth stehen leer, weitere  schließen bald. Sind die großen Onlinehändler wie Amazon und Zalando der Tod des Einzelhandels?  Beim nächsten Wipp-Treff am 7. Juni spricht Dr. Gerhard Wagner, Marketingexperte der Universität Siegen, zum Thema „Digitalisierung im Einzelhandel: Survival of the Fittest“. Stefan Corssen sprach mit ihm.

Der Online-Handel jubelt über neue Umsatzrekorde, immer mehr kleine Geschäfte schließen. Wird es in zehn Jahren den klassischen Einzelhändler überhaupt noch geben?

Ein Blick in die Kristallkugel ist schwierig. Wir forschen seit zwei Jahren in einem Verbundprojekt, das aus Mitteln des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung gefördert wird, an der Frage „was kann der Einzelhandel tun, um zu überleben?“ Ich bin überzeugt, dass es in zehn Jahren noch stationäre Einzelhändler geben wird, befürchte aber, dass die großen Ketten wie Douglas oder Saturn, die Onlinegeschäft und stationären Handel verzahnen können, sich noch weiter ausbreiten werden und die Anzahl der kleinen inhabergeführten Einzelhandelsbetriebe weniger wird. Man könnte sagen, dass im Einzelhandel gerade der reinste Darwinismus stattfindet.

Welche Branchen sind von dieser Entwicklung besonders betroffen?

Schaut man sich die aktuellen Zahlen des Handelsverbandes Deutschland an, dann trifft es zwei Branchen am stärksten: Bekleidung und Elektrogeräte. Andere Geschäftszweige sind schon verschwunden. In vielen Städten gibt es keine Läden mehr, in denen man Musik-CDs kaufen kann. Was natürlich auch mit dem Rückgang an CD-Verkäufen insgesamt zusammenhängt. Eine weitere Folge der Digitalisierung. Heutzutage kann sich kaum mehr eine Branche gänzlich dem Einfluss des Online-Handels entziehen. Nur beim Lebensmittelhandel spielt das Online-Geschäft bislang kaum eine Rolle.

Wie kann ein kleiner Händler mit Riesen wie Amazon oder Zalando konkurrieren?

Gar nicht. Amazon hat alleine in Deutschland rund 230 Millionen Artikel gelistet, und das oft zu günstigeren Preisen als der stationäre Handel. Damit kann kein unabhängiger Einzelhändler mithalten. Was er aber machen kann, ist sich eine Nische zu suchen. Ein Beispiel: Ein neues Smartphone bekomme ich online vielleicht etwas günstiger. Aber der Händler von Ort könnte folgendes anbieten: „Wenn Du dein Smartphone bei mir kaufst, dann organisiere ich für Dich den Umzug vom alten aufs neue Gerät.“ So etwas bieten Amazon und Co. nämlich nicht an. Letztendlich müssen sich Händler immer wieder fragen „welche Bedürfnisse hat mein Kunde und wie kann ich darauf zugeschnittene Mehrwerte anbieten, die einen etwas höheren Preis rechtfertigen?“

Sind die Probleme nicht auch hausgemacht? Hat der Einzelhandel zu lange geschlafen?

Ja. Der Einzelhandel war lange Zeit von einem nicht sehr dynamischen Umfeld geprägt. Jeder konnte, salopp gesagt, sein Ding machen, und es ist gelaufen. Der Online-Handel und die Digitalisierung per se aber haben das Kauf- und Konsumverhalten vieler Kunden radikal verändert. Es reicht nicht aus, wenn ein Einzelhändler heute auch eine Internetseite hat und bei Facebook auf 100 Likes kommt – das haben jetzt alle. Ich muss mir die Frage stellen „warum soll der Kunde überhaupt auf meine Internetseite kommen und warum sollten Kunden mir in den sozialen Netzwerken folgen?“ Die großen Onlinehändler setzen übrigens heute konsequent auf „mobile first“ – insbesondere jüngere Kunden kaufen nicht mehr am Computer, sondern mit ihrem Smartphone ein. Mit dem über die Stimme gesteuertem Voice Commerce steht bereits die nächste Technologie in den Startlöchern, die das Potenzial hat, die Handelslandschaft erneut zu verändern. Ich will nicht sagen, dass man als Einzelhändler alle diese Technologien bespielen sollte, aber man muss wissen, welche Alternativen man dem Ganzen entgegensetzten kann. Setzt man Digitalisierung und Technologien falsch ein, kann das sogar eher schaden als nutzen.

Wenn Sie Einzelhändler wären und zum Beispiel ein Schuhgeschäft hätten – wie würden Sie sich aufstellen?

Ich würde mir die Frage stellen „ist die Branche die gleiche wie vor fünf oder zehn Jahren“? Die Antwort lautet schlichtweg „nein“. Es gibt einen großen Trend hin zu modischen Sneakern, für die gerade junge Männer bereit sind, viel Geld für besonders angesagte oder ausgefallene Modelle auszugeben. In diesem Jahr sind „Ugly Sneakers“ angesagt, also betont hässliche Schuhe, mit denen man auffällt. Interessanterweise haben im Sneaker-Bereich gerade kleinere Einzelhändler, die es verstehen eine Marke zu inszenieren, einen Vorteil gegenüber den Filialisten die Schuhe und Marken in großer Bandbreite verkaufen. Die Filialisten bekommen nämlich nicht die besonders gefragten Modelle, für die besagte junge Männer auch mal eine Nacht vor dem Schuhladen campieren. Diese sind den kleinen und mittlerweile auch größeren Szene-Shops vorbehalten, die genau wissen, was ihre Kunden wünschen. Denn sowohl für Zielgruppe als auch für die Markenunternehmen spielt die Inszenierung der Sneaker – im Ladengeschäft ebenso wie in der Online-Welt – eine entscheidende Rolle.

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