Ruhestand auf RatenLindlars Kämmerer Werner Hütt geht in Pension

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Blumen für die neuen Hausherren. Werner Hütt begrüßte 2012 Familie Froitzheim in ihrem neuen Eigenheim im Neubaugebiet Lindlar-West. Hütt ist auch Geschäftsführer der „Wohnen am Schlosspark GmbH“, eine 50-prozentige Gemeindetochter.

Blumen für die neuen Hausherren. Werner Hütt begrüßte 2012 Familie Froitzheim in ihrem neuen Eigenheim im Neubaugebiet Lindlar-West. Hütt ist auch Geschäftsführer der „Wohnen am Schlosspark GmbH“, eine 50-prozentige Gemeindetochter.

Lindlar – Zum Ende gab es Lob im Ausschuss. Als Werner Hütt in dieser Woche den Quartalsbericht zum Gemeindehaushalt vorlegte, bedankte sich zum Beispiel CDU-Fraktionschef Hans Schmitz für „schnelle und gewohnt hervorragende Arbeit“. Bei der offizielle Verabschiedung im Gemeinderat standen alle Fraktionen auf, um zu applaudieren. Das ist selten und zeigt, den Einschnitt, den es ab kommender Woche geben wird. Werner Hütt ist dann im Ruhestand. Mehr oder weniger, denn alle Aufgaben gibt er noch nicht ab.

Es ist ein Abschied mit Ankündigung und auf Raten. Ursprünglich hatte Hütt – Jahrgang 1953 – schon 2017 seinen Hut nehmen wollen. Doch weil die Gemeinde keinen neuen Kämmerer fand, blieb er weiter im Amt. Nach einer erneuten Bewerberrunde ist nun Cordula Ahlers Nachfolgerin und Hütt bereitet den nächsten Schritt seines Abschieds vor.

Weiter Geschäftsführer

Das Büro des Kämmerers im dritten Stock des Rathauses wird er nächste Woche räumen. Bis es soweit ist, sieht noch kaum etwas nach Abschied aus. Nur zwei Umzugskartons lehnen an der Wand, zusammengefaltet. Hütt wird weiter als einer der beiden Geschäftsführer der gemeindeeigenen Wirtschaftsförderungsgesellschaft BGW arbeiten. „Zumindest halbtags aus dem Home-Office und an zwei Tagen im Rathaus“, erklärt er, auch die Wohnen am Schlosspark GmbH (WAS) führt er weiter. Die WAS ist eine 50-Prozent-Tochter der Gemeinde und war zur Entwicklung des Neubaugebiets Lindlar-West gegründet worden, als der ursprüngliche Investor in die Insolvenz ging. Das Baugebiet ist fertig, die WAS wird bald abgewickelt. „Ich will Sachen zu Ende bringen“, erklärt Hütt seine Entscheidung zum Ruhestand auf Raten.

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Anfang mit Lochkarten

43 Jahre war Werner Hütt bei der Verwaltung beschäftigt, arbeitete unter sechs Bürgermeistern. Dabei wollte er eigentlich in eine andere Richtung: Gelernt hat er Steuerfachangestellter, mit dem Ziel ins Bundesfinanzministerium in Bonn. Doch als der damalige Gemeindedirektor Richard Fabritius davon hörte, holte er ihn stattdessen ins Rathaus. Denn der junge Steuerfachangestellte kannte sich mit Computern aus.

Im April 1975 hatte er seinen ersten Arbeitstag. „Vor genau 43 Jahren und einem Monat“, erinnert er sich. Erste Station war das Steueramt, sein erster Chef hieß Willi Metten. Und der zeigte dem jungen Verwaltungsangestellten, dass ein Amtsleiter vor allem die Menschen kennen muss, für die er arbeitet: Die Bürger. „Mettens Willi kannte jeden in Lindlar, inklusive Eltern, Kindern und Cousinen“, erinnert sich Hütt.

Erste Aufgabe für ihn: Die Gewerbesteuer auf EDV umstellen. Datenübertragung hieß damals noch: Unterlagen in einen Koffer packen und losfahren. Jeden zweiten Tag fuhr er ins Kreishaus des damaligen Rheinisch-Bergischen Kreises nach Bergisch Gladbach. Dort wurde dann alles von Hand eingegeben.

Als Lindlar kurz darauf in der kommunalen Neugliederung oberbergisch wurde, sollte auch die Grundsteuer in den Computer eingegeben werden. Auch die Buchhaltung des Wasserwerks musste aus dem „Amerikanischen Journal“ abgeschrieben werden. „Das war ein riesiges Buch, groß wie mein Schreibtisch“, erklärt Hütt. Zu diesem Zeitpunkt war aber schon das Kreishaus in Gummersbach zuständig. Statt nach Oberberg zu fahren, fragte Hütt einfach bei einen Lindlarer Steuerberater um Hilfe nach und durfte in dessen Büro nach Geschäftsschluss die Lochkarten von Hand selber stanzen.

Firmen fördern

Später wechselte Hütt in die Kämmerei. Haushaltspläne wurden damals noch auf der Schreibmaschine getippt. Weitere Station war die Wirtschaftsförderung ab 1990. Gemeindedirektor Konrad Heimes betraute ihn mit der Vermarktung des Industriegebiets Klause. Als Heimes einen neuen Kämmerer suchte, wollte er Hütt. Bis zur nachträglichen Verbeamtung grünes Licht aus Düsseldorf kam, wurde Hütt kurzerhand Finanzchef genannt. Zwischen den beiden stimmte die Chemie. Heimes war als Bürgermeister herzlich, aber hart, wenn es darauf ankam. „In der Beziehung war er mein Lehrmeister“, sagt Hütt. Gemeinsam heben sie die BGW aus der Taufe, die nun 25-Jähriges feiert.

Vorbild Privatwirtschaft

Die Nähe zur Privatwirtschaft bewahrte sich Werner Hütt trotz des neuen Beamtenstatus’. In den 1990er Jahren kam immer weniger Geld aus Düsseldorf in den kleinen Gemeinden an. „Anfang der 1990er Jahren hatten wir fast immer einen ausgeglichenen Haushalt“, berichtet Hütt. Doch als immer mehr Geld statt in die Provinz in die Ballungsräume umgeleitet wird, beginnen die Sparrunden für die Gemeindekasse.

Hütt fährt nach Erftstadt, dort hatte die Verwaltung gerade die Stadtwerke in einen Eigenbetrieb umgewandelt, als erste Kommune in NRW. Lindlar lernt von dem Konzept und gründet seinerseits das Gemeindewerk. Fortan ist Lindlar seinerseits Ziel von Beamten, die sich das Konzept in der Praxis anschauen wollen. Erfahrung hatten die Lindlarer zuvor schon mit der BGW-Gründung gesammelt. Später folgen Gas- und Strom, denn Lindlar trennt sich von der RWE. „Das hat sogar ein paar Tränen gegeben“, berichtet Hütt. Schließlich wird die Sport- und Freizeitbad Lindlar GmbH (SFL) gegründet, die seitdem das Parkbad betreibt.

Der Schwimmbad-Trick

Auf den Kniff ist Hütt heute noch stolz. „Unser Schwimmbad wirft Gewinne ab, obwohl der Betrieb defizitär ist“, erklärt er. Grund: Die Anteile der Gemeinde am Energieversorger Belkaw – Folge der vorher beschrieben Trennung von der RWE – sind der SFL übertragen worden. Die Gewinne der Ausschüttungen subventionieren den Badebetrieb, reichen für Sanierungen und haben seither auch immer wieder Geld in die Gemeindekasse gespült. So ist zwar in Lindlar nie ein Spaßbad gebaut worden, aber die Schulen müssen keine Sorge um den Schwimmunterricht haben. Auch die Umwandlung des Bauhofs gemeinsam mit Engelskirchen in eine Anstalt des öffentlichen Rechts fällt in diese Kategorie. Hütt referierte zu dem Thema vor Kollegen aus ganz NRW – auf Einladung des Städte- und Gemeindebunds.

Kritik am Land

Auch das Thema Gemeindefinanzierungsgesetz, das regelt, wie viel Geld das Land den Kommunen überweist, wird sein Steckenpferd. NRW verteilt das Geld für die Kommunen nach einem komplizierten Schlüssel. Dabei spielen Einwohnerzahl, Fläche, Schülerzahlen und die Zahl der Sozialhilfeempfänger eine Rolle. Doch wie die Punkte gewichtet werden, führt zum Teil zu kuriosen Rechnungen. So bekommt eine Stadt mit bis zu 85 000 Einwohnern mehr Geld pro einzelnem Bürger, als eine Kommune mit bis zu 25 000 Einwohnern. Gemeinsam mit weiteren Landgemeinden protestierte Lindlar und schickte eine Resolution nach Düsseldorf. Geschrieben hatte die Lindlars Kämmerer.

Bilanz wie eine Firma

Bis Ende der 2000er hatten viele Städte und Gemeinde noch genau so den Haushalt geführt, wie im 18. Jahrhundert: Am Anfang des Jahres wurde eine Summe festgelegt und die musste ausreichen. Oder sie war zu hoch. „Da ist dann in vielen Verwaltungen das Dezemberfieber ausgebrochen“, sagt Hütt. So wurde es früher genannt, wenn Ende des Jahres noch Geld im Budget war und aufgebraucht werden musste. Das habe es in Lindlar natürlich nie gegeben, sagt Hütt und zwinkert. Seit der Umstellung auf das Neue Kommunale Finanzmanagement (NKF) geht das nicht mehr und diese Umstellung ist eine Herkulesaufgabe. Damit zum 1. Januar 2006 die Eröffnungsbilanz steht, werden Überstunden geschoben. „Wir haben jeden Bürostuhl gezählt“, erinnert sich Hütt. Pensionäre werden reaktiviert, um Straßen zu vermessen, Gullideckel und Mülleimer zu zählen. Statt mit starren Budgets arbeitet die Verwaltung heute vergleichbar mit Unternehmen.

Das Rathaus in Sichtweite

Am Donnerstag wurde Hütt offiziell verabschiedet. Blumen und Dank gab es für ihn und seine Frau Doris. Trotz der Aufgabe in BGW und WAS soll nun mehr Zeit sein: Für die Hobbys beim Roten Kreuz zum Beispiel und im Förderverein des Freilichtmuseums, wo er ebenfalls Geschäftsführer ist. Für die Enkel seiner drei erwachsenen Kinder. Und dann ist da noch der Hausbau. Die Hütts ziehen von Frielingsdorf nach Lindlar um. Am Brunnenberg wird schon barrierefrei gebaut – in Sichtweite des Rathauses.

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