Seltene Schriften aus NS-ZeitBücherei aus Thier landet im Freilichtmuseum Lindlar

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Der Leiter des Freilichtmuseums, Michael Kamp mit NS-Schrifttum aus der ehemaligen Thierer Schulbücherei.

Der Leiter des Freilichtmuseums, Michael Kamp mit NS-Schrifttum aus der ehemaligen Thierer Schulbücherei.

Lindlar/Thier – Das Freilichtmuseum Lindlar freut sich über eine unerwartetes Geschenk. Rund 80 Bücher – der Restbestand der Schulbücherei der ehemaligen Grundschule in Thier – sind in den Bestand des Museums übergegangen. Darunter sind alte Kinder- und Märchenbücher und Banales aus den 1950er, 60er und 70er Jahren wie Enid Blyton und „Hanni und Nanni“.

Aber auch antisemitische Schriften aus der NS-Zeit wie die „Erblehre, Abstammungs- und Rassenkunde in bildlicher Darstellung“ von Alfred Vogel, ein großformatiges Tafelwerk, und das NS-Propagandawerk „Geschichte als Gegenwart“ von Heinrich Eidmann.

Schulgeschichte wird wichtiges Museumsthema

Für Museumsleiter Michael Kamp, der gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern die NS-Schulgeschichte aufarbeitet, sind solche heute seltenen Bücher eine willkommene Bereicherung. Zumal die oberbergische Schulgeschichte künftig ein wichtiges Thema des Museums sein wird, das in der wieder aufgebauten, ehemaligen Volksschule aus Waldbröl-Hermesdorf präsentiert werden soll. „Die NS-Schriften gehören eigentlich in den Giftschrank“, sagt Kamp, „aber wir stellen sie Wissenschaftlern natürlich gerne zur Verfügung.“

Für Historiker interessant ist das „Amtliche Schulblatt“ aus der NS-Zeit, weil es den Lehrkräften genaue Vorgaben für den Unterricht macht. Auch das hat sich in der Thierer Bibliothek erhalten. Wie aber haben die Bücher aus Thier ihren Weg nach Lindlar gefunden? Ende 2007 hatte der Wipperfürther Rat mit den Stimmen von CDU, UWG und FDP beschlossen, die Thierer Schule zu schließen, um damit die ebenfalls in ihrer Existenz bedrohte Grundschule Wipperfeld zu retten. Die Bezirksregierung Köln hatte aufgrund sinkender Schülerzahlen die Schließung beider Schulen angedroht.

Vorsicht im Umgang mit Propagandaliteratur

„Im Sommer 2008, als die Thierer Schule in einer Nacht- und Nebel-Aktion geschlossen wurde, kam Schulleiterin Mechthild Osberghaus zu mir“, erinnert sich Gudrun Flosbach. „Und weil ich damals die Vorsitzende des Bürgervereins Thier war, fragte sie mich, ob ich die übrig gebliebenen Bücher der Schulbücherei nicht aufbewahren könne.“ Zuvor hätten sich schon die anderen Schulen bedienen können, ein Teil der Bücher landete im Altpapier, so Flosbach.

Und so lagerte das Ehepaar Flosbach die Bücher seit 2008 in einem ungenutzten Raum, eben so wie die Thierer Schulchronik. Dass sich unter den Werken auch antisemitische Propagandaliteratur befand, beschäftigte Gudrun Flosbach sehr. „Diese NS-Bücher ekeln mich an. Ich konnte nicht hineingucken und habe überlegt, ob ich sie verbrennen oder in die Tonne werfen soll. Aber wer weiß, in wessen Händen sie dann vielleicht gelandet wären?“

„Ich bin erleichtert, dass ich die Bücher in guten Händen weiß“

Die Kinder- und Märchenbücher habe sie der Thierer Pfarrbücherei angeboten, doch dort fehlte der Platz. Die Schulchronik schenkte sie Ulrich Bürger, Mitglied des Heimat- und Geschichtsvereins Wipperfürth und in Kreuzberg aktiv an der Aufarbeitung der Dorfgeschichte beteiligt. Der wiederum übergab die Chronik dem Wipperfürther Stadtarchiv.

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Nachdem die Bergische Landeszeitung über die Erforschung der NS-Schulgeschichte durch das Freilichtmuseum berichtet hatte, nahm Gudrun Flosbach Kontakt zum Freilichtmuseum auf, wenig später übergab sie die Bücher an Michael Kamp. „Ich bin erleichtert, dass ich die Bücher los bin und sie in guten Händen weiß“, sagt Gudrun Flosbach.

Licht ins Dunkel bringen

Der Museumsleiter will anhand der Bücher und der Thierer Schulchronik nun weiter forschen und Licht ins Dunkel bringen. „Der Rassenatlas von Vogel wurde erst 1943 für die Volksschule Thier angeschafft“, hat Kamp bereits herausgefunden. „Und es war ein vergleichsweise teures Buch, zu dessen Kauf die Schulen nicht verpflichtet waren.“ Damals unterrichten in Thier die beiden Lehrer Josef Schneider und Alfred Niermann.

„Schneider hat von 1930 bis 1962 an der Schule in Thier unterrichtet“, hat Michael Kamp mittlerweile herausgefunden. „Er war kein Nazi, war weder Mitglied der Partei noch des NS-Lehrerbundes. Die Thierer Chronik ist in einem eher sachlichen Stil gehalten.“

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