Theaterstück für Kita-Kinder in LindlarThema: sexuelle Grenzverletzungen

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Spielerisch greift die Theateraufführung von „Zartbitter“ ein ernstes Thema auf.

Spielerisch greift die Theateraufführung von „Zartbitter“ ein ernstes Thema auf.

Lindlar – Als Arno auftaucht, kippt die Stimmung abrupt. Bis gerade sind die Kindergartenkinder Sina und Tim gut gelaunt und abwechselnd in die Rolle des Krankenhausdoktors geschlüpft. Vorsichtig haben sie sich abgetastet. Arno nervt einfach nur. Er trägt ein feuerrotes Stirnband, ist deutlich älter als Sina und Tim und will als Chefarzt sofort bestimmen, wer wo und wie untersucht wird.

Engagement gegen sexuellen Missbrauch an Kindern

Der Kölner Verein Zartbitter, der am Rhein eine Kontakt- und Informationsstelle gegen sexuellen Missbrauch an Kindern betreibt, bringt die Erzählung von Sina, Tim, Arno und dem Rest der fiktiven Marienkäfer-Gruppe in dieser Woche ins Severinushaus. Am Mittwoch und Donnerstag verfolgen knapp 200 Vorschulkinder aus 13 Lindlarer Kindergärten das Theaterstück. Die Zusammenarbeit in dieser Form ist bislang einmalig. Der Förderverein für Kinder und Jugendliche in Lindlar (KiJu) hat fast alle Einrichtungen unter einen Hut bekommen.

Bereits am Dienstagabend stellte Zartbitter-Schauspielerin Imke Schreiber den Eltern Handlung, Figuren und Hintergründe vor. Kulisse der liebevoll gestalteten Szenen ist die Garderobe der Marienkäfer, wo Stoffhase, Turnbeutel und Roboterfigur eine Stimme erhalten und über das Geschehen in der Kita diskutieren. Die Gummistiefel-Zwillinge debattieren mit friesischem Dialekt. Schnell kommt man auf den Streit zu sprechen, den es am Morgen zwischen den Kindern gab.

Die Geschichte

Nachdem Sina und Tim eine Rakete gebaut und Memory gespielt haben, wünscht sich Sina Doktorspiele. Ein Kind untersucht das andere und beide erklären dabei, was sie nicht mögen. Sina kann Berührungen am Hals und den Ohren nicht besonders leiden, Tim hasst es, arg gekitzelt zu werden. Die Grenzen sind damit klar, obendrein vereinbaren die Kinder ein Codewort. Beim Ausruf „Möhrensalat“ ist sofort Schluss, der andere zieht seine Finger zurück.

Arno ignoriert diese Abmachung völlig. Er will bestimmen und lässt sich dabei auch nicht von einem Codewort beirren. Sina und Tim sind stark verunsichert. Sollen sie sich an Kindergärtnerin Lauterbach wenden? Oder gelten sie dann als Petzen? Sollen sie Arno gewähren lassen, obwohl sie dessen Berührungen ablehnen?

Die Eltern sollen bewusst mit ins Boot geholt werden

„Wichtig ist, dass wir die Eltern bei diesem Thema von Beginn an mit im Boot haben“, betonen Stephan Löhr und Mischa Kolpacki, die beiden KiJu-Vorsitzenden, am Dienstagabend bei der Vorstellung der Aktion. Denn erfahrungsgemäß, so berichtet es Imke Schreiber, beeindruckt das 30-minütige Stück mit dem Schwerpunkt sexuelle Grenzverletzungen die Kleinen nachhaltig. Sie kommen nach der Aufführung und berichten ihren Eltern von Sina, Tim und Co.

Sponsoren

Der Förderverein für Kinder und Jugendliche in Lindlar wurde 2016 gegründet und hat seither fast 50 Projekte ganz unterschiedlicher Größe gestemmt. Das Theaterstück „Sina und Tim“ konnte KiJu mit Unterstützung der Kreissparkasse Köln und Erlösen aus dem „PS-Sparen“ der Bank nach Lindlar holen. (sfl)

www.kiju-lindlar.de

Wie man dieses Thema mit dem Nachwuchs am besten bespricht, verraten neben Schreiber auch Ludger Sändker und Dagmar Thomalla von der Wipperfürther Beratungsstelle Herbstmühle, die am Dienstagabend nach Lindlar gekommen sind und den Eltern Rede und Antwort stehen. Fazit: Po, Scheide, Nase oder Ohren – wenn es darum geht, dass man anderen nichts in Körperöffnungen steckt, können die Eltern alle Körperteile ohne eigene Scham nebeneinander beim Namen nennen. „Für Kinder, die noch keine Sexualität im Erwachsenensinne kennen, hat das Einführen in die Ohren keine andere Bedeutung als das Einführen in den Po“, erklärt Schreiber.

Das Thema gewinnt immer mehr an Relevanz

Ludger Sändker berichtet von einer „deutlich gestiegenen Relevanz“ der Fälle sexueller Gewalt unter Kindern und vermehrten Anfragen aus den Kitas im oberbergischen Norden. Rund die Hälfte aller Kölner Beratungsanfragen, so teilt es Zartbitter mit, gehe inzwischen auf Taten zurück, bei denen Kinder oder Jugendliche Grenzen überschritten.

Um die Eindrücke des Theaterstücks weiter zu festigen und die Kleinen insbesondere zu ermutigen, im Notfall Hilfe zu suchen, erhält jedes Lindlarer Kind auch ein Bilderbuch, das zum Stück passt. Kornelia Engelbert, Leiterin des Familienzentrums St. Severin, dankte der KiJu-Initiative im Namen aller Lindlarer Kindergärten. Aufgabe der Kitas sei es, die Entwicklung der Kleinen in allen Facetten zu fördern. Oft genug fehle für Aktionen wie das Theaterstück aber einfach das Geld im Etat.

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