Wenn alles aus den Fugen gerätPsychisch Kranke sind von Corona besonders betroffen

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Eine hohe Belastung bedeutet die Pandemie für Sylvia Lörwald (o.) und die Bewohner des Dr.-Dieter-Fuchs-Hauses in Lindlar.

Eine hohe Belastung bedeutet die Pandemie für Sylvia Lörwald (o.) und die Bewohner des Dr.-Dieter-Fuchs-Hauses in Lindlar.

Lindlar – Es sind chronisch psychisch kranke Menschen, die bei Sylvia Lörwald im Dr.-Dieter- Fuchs-Haus leben. Menschen, die es woanders nicht schaffen, für die das Leben, der Alltag, eine zu große Hürde darstellt und die deshalb Betreuung brauchen. „Es sind keine geistig Behinderten“, stellt Lörwald klar, „die meisten unserer Bewohner sind hochintelligent“.

Die Einrichtung, die sie leitet ist eine von elf der Oberbergischen Gesellschaft zur Hilfe für psychisch Behinderte (OGB). 18 psychisch Kranke mit extrem unterschiedlichen Krankheitsbildern werden hier rund um die Uhr betreut, 13 wohnen direkt im Haus, fünf extern etwa in betreuten Wohneinrichtungen.

Problematik: Zu viel Zeit

Einige von ihnen arbeiten in den RAPS-Werkstätten in Marienheide, einem Unternehmen, das Menschen mit psychischen Behinderungen die Teilhabe am Arbeitsleben ermöglicht. Und da fängt das Problem an: Wegen Corona sind die Werkstätten geschlossen und plötzlich haben Menschen, für die ein strukturierter Alltag mit das Wichtigste ist, ganz viel Zeit.

Die Pandemie stellt sowohl die Bewohner als auch das acht-köpfige Team von Sylvia Lörwald vor besondere Herausforderungen. „Wir hatten zwei Verdachtsfälle, das war schon Stress genug“, sagt sie. Was passiert, wenn es tatsächlich eine Erkrankung gibt, mag sie sich gar nicht ausmalen. Es sei den Bewohnern fast nicht zu vermitteln, dass sie auf einmal Abstand halten sollten, außerdem gäben das die Räumlichkeiten auch gar nicht her.

„Wir leben hier zusammen wie eine Familie“

„In amtlichen Erlassen werden wir mit normalen Pflegeheimen in einen Topf geworfen, da heißt es dann, bilden Sie Isolierstationen. Ich kann hier keine Station bilden, wir leben hier zusammen wie eine Familie, wir haben einen Speiseraum, ich kann auch niemandem verbieten, das Zimmer zu verlassen“, so die Leiterin. Sie selbst lebt mittlerweile in einer, wie sie sagt, „freiwilligen Quarantäne“ und hat Pläne ausgearbeitet für den Fall der Fälle. „Wenn einer von uns krank wird, haben wir ein Problem“.

Auch ihre Bewohner haben mit dem Virus auf ganz spezielle Art zu kämpfen. Für psychisch Kranke ist Hygiene oft schon im normalen Leben ein Problem. Viele haben zudem eine sehr kurze Spanne der Bedürfnisbefriedigung, wozu auch orale Befriedigung gehört, weshalb fast alle rauchen. „Die sammeln auf der Straße Kippen auf und dröseln sie zu neuen Zigaretten zusammen“, erzählt Sylivia Lörwald. „Da müssen wir ja nicht über Hygiene reden“. Außerdem passt Rauchen nicht gut mit Maske zusammen, auch so ein Thema.

Verhalten von Fremden richtig einschätzen

Ein zentrales Problem für psychisch kranke Menschen ist es, das Verhalten von Fremden richtig einzuschätzen. Mit der Maske sei die Mimik kaum noch zu erkennen und es werde noch schwerer. Sie selbst empfinden das Tragen der Maske oft als belastend, deshalb tun sie es manchmal nicht und werden dann in der Öffentlichkeit angemacht, was wiederum Ängste schürt und Vorurteile scheinbar bestätigt. Ein Teufelskreis. Auch verstehen viele die Zusammenhänge in der Krise nicht, was wiederum Angst macht. „Kunststück“, sagt Sylvia Lörwald. „Corona, wir verstehen es ja auch nicht wirklich“.

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Eine Sache ärgert sie dann aber schon. „Wie gesagt, in Erlassen vom Amt werden wir mit anderen Pflegeheimen in einem Atemzug genannt. Aber eine Prämie vom Land hat von meinen Mitarbeiterinnen keine bekommen.“

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